Kommentar zur Grundsatzrede von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche
Wenn eine Ministerin vor Unternehmern steht und erklärt, dass Deutschland im Stillstand verharrt, dann ist das kein Weckruf mehr, sondern ein Alarm. Katharina Reiche hat beim Außenwirtschaftstag klar gesagt, was viele längst spüren. Unser Land ist müde geworden. Wir laufen mit angezogener Handbremse durch eine Welt, die längst im Turbo-Modus unterwegs ist. Früher waren wir Exportweltmeister und stolz auf unsere Ingenieurskunst. Heute zählen wir lieber Verordnungen als Visionen.
Reiche hat vieles richtig erkannt. Deutschland hat sich in ein Netz aus Regeln, Vorschriften und Kommissionen verstrickt. Jeder, der schon einmal versucht hat, ein Unternehmen zu gründen oder zu investieren, weiß, wie lähmend Bürokratie sein kann. Statt Ideen entstehen Aktenordner. Statt Mut entsteht Angst vor Formularen. Und wenn Reiche sagt, Europa dürfe kein „Silicon Valley der Bürokratie“ werden, dann trifft sie damit genau den Nerv. Denn das, was einmal unser Vorteil war – Ordnung, Sorgfalt, Planung – ist inzwischen unser größter Bremsklotz.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Reiche tut so, als könnte man die alte Wettbewerbsfähigkeit einfach durch Bürokratieabbau und neue Handelsverträge zurückholen. Doch die Welt hat sich verändert. Wir leben in einer Zeit, in der Wirtschaftspolitik nicht mehr nur um Wachstum geht, sondern um Sicherheit, Macht und Überleben im globalen Wettbewerb. Wenn sie sagt, dass China sieben Schritte macht, während wir einen machen, dann stimmt das. Aber die Frage ist doch, warum wir überhaupt so langsam geworden sind. Es liegt nicht nur an Gesetzen, sondern auch an einer Haltung, die Angst vor Risiko mit Vernunft verwechselt.
Wir haben uns in einer Komfortzone eingerichtet. Jahrzehntelang hat der Exportboom die Politik bequem gemacht. Man musste nichts verändern, solange die Maschinen liefen und die Aufträge aus China kamen. Jetzt, wo Lieferketten bröckeln und Energiepreise explodieren, fällt auf, dass wir uns zu sehr auf alte Erfolge verlassen haben. Reiche ruft zu mehr Risikobereitschaft auf, aber sie übersieht, dass Risiko Mut braucht, und Mut braucht Vertrauen. Vertrauen in stabile Rahmenbedingungen, in verlässliche Energiepreise, in eine Regierung, die mehr liefert als Absichtserklärungen.
Es ist leicht, den Unternehmern mangelnden Mut vorzuwerfen. Doch wo soll der Mut herkommen, wenn Investitionen durch Steuern, Auflagen und Unsicherheit gebremst werden. Reiche redet von der Notwendigkeit, neue Märkte in Afrika oder Asien zu erschließen. Das klingt klug, doch dafür braucht es nicht nur Handelsverträge, sondern auch politische Stabilität, Schutz vor Korruption und faire Spielregeln. Wenn Deutschland wirklich global mitspielen will, dann muss es auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch.
Ihr Lob auf Freihandel klingt nostalgisch, fast wie aus einer anderen Zeit. Als ob offene Märkte allein das Heilmittel für alle Probleme wären. Dabei wissen wir längst, dass Globalisierung Schattenseiten hat. Sie hat Wohlstand gebracht, aber auch Abhängigkeiten, Ungleichheit und Umweltzerstörung. Die alte Formel „mehr Handel, mehr Wohlstand“ funktioniert heute nur noch bedingt. Wenn wir wirklich eine starke Wirtschaft wollen, müssen wir auch über faire Löhne, nachhaltige Produktion und technologische Unabhängigkeit reden.
Reiche spricht von einer „neuen Weltordnung“ und davon, dass Staaten heute nicht nur Grenzen, sondern auch Daten, Rohstoffe und Netzwerke sichern. Das ist richtig und erschreckend zugleich. Denn es zeigt, dass Wirtschaft längst nicht mehr neutral ist. Sie ist Machtpolitik mit anderen Mitteln. Wer keine eigene Chipproduktion, keine seltenen Erden und keine digitale Souveränität hat, ist abhängig. Und Abhängigkeit ist das Gegenteil von Stärke.
Ihr Appell zum Schluss klingt fast pathetisch. Deutschland müsse wieder Kraft und Zuversicht finden. Doch Worte allein reichen nicht. Wir brauchen keine Reden über Mut, sondern Entscheidungen, die Mut zeigen. Weniger Symbolpolitik, mehr Konsequenz. Wenn die Ministerin wirklich will, dass Deutschland wieder auf die Beine kommt, dann muss sie anfangen, das System zu verändern, das sie selbst verwaltet.
Deutschland steht am Scheideweg. Wir können weitermachen wie bisher und hoffen, dass uns die Welt nicht abhängt. Oder wir fangen an, neu zu denken. Weniger Papier, mehr Pioniergeist. Weniger Angst, mehr Tatkraft. Die Zukunft wartet nicht auf den, der zögert.
