Die jüngsten Zahlen zu Asyl-Erstanträgen in Deutschland zeigen einen deutlichen Rückgang. Im Oktober 2025 wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums rund 8.823 Erstanträge gestellt – ein Minus von 55 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) wertet dies als Beleg für die Wirksamkeit seiner „Migrationswende“. Deutschland habe, so der Minister, die „Pull-Faktoren“ reduziert und die „Magnetwirkung“ auf illegale Migration gebrochen. Doch die nüchterne Datensicht zeichnet ein komplexeres Bild.
Europaweiter Trend, nationale Akzente
Nicht nur Deutschland verzeichnet sinkende Flüchtlingszahlen. Laut der European Union Agency for Asylum (EUAA) sind die Asylanträge in der EU + Staatengemeinschaft (EU, Norwegen, Schweiz) im ersten Halbjahr 2025 um 23 Prozent zurückgegangen. In Deutschland beträgt der Rückgang im gleichen Zeitraum sogar rund 43 Prozent, also fast doppelt so stark wie im europäischen Durchschnitt. Der EUAA zufolge gingen insbesondere die Anträge syrischer und afghanischer Staatsbürger deutlich zurück – Ursachen seien veränderte Fluchtbedingungen und restriktivere Grenzregime entlang der Mittelmeerroute.
In der europäischen Verteilung hat sich damit auch das Gewicht verschoben: Länder wie Frankreich und Spanien verzeichneten im Frühjahr 2025 erstmals mehr Asylanträge als Deutschland. Während also der Rückgang hierzulande überdurchschnittlich ausfällt, ist der Trend europaweit eindeutig – ein Hinweis darauf, dass strukturelle und geopolitische Faktoren mindestens ebenso stark wirken wie nationale Maßnahmen.
Politik mit symbolischer Kraft – Wirkung unklar
Dobrindt führt die Zahlen auf seine Politik der „konsequenten Rückführungen“ und „Migrationszentren in Drittstaaten“ zurück. Tatsächlich hat das Innenministerium die Prüfung syrischer Asylanträge nach Jahren der Aussetzung wieder aufgenommen und die Zahl der Abschiebungen leicht erhöht. Ob diese Schritte jedoch ausschlaggebend für den Rückgang sind, bleibt fraglich. Migrationsexperten verweisen auf externe Faktoren – etwa den relativen Rückgang von Konflikten in einigen Herkunftsregionen, stärkere Grenzkontrollen der EU-Außengrenzen sowie verschobene Fluchtrouten über Nordafrika.
Ein klarer kausaler Zusammenhang zwischen Politik und Zahlen lässt sich derzeit nicht nachweisen. Der Rückgang ist real, aber seine Ursachen sind multifaktoriell. Was bleibt, ist die politische Deutungshoheit – und die nutzt der Minister geschickt.
Einordnung und Ausblick
Der Rückgang der Asylanträge könnte Deutschland kurzfristig entlasten, birgt aber auch Risiken: geringere Zahlen könnten zu einem trügerischen Sicherheitsgefühl führen. Solange strukturelle Ursachen – etwa unzureichende Asylverfahren in Drittstaaten und schleppende EU-Abkommen – ungelöst bleiben, kann sich die Lage schnell wieder drehen. Für die Bundesregierung bleibt daher entscheidend, ob der Trend nachhaltig ist oder sich nur als kurzfristige Delle erweist.
