Strategien für Wachstum, Investitionen und Strukturreformen im Jahresgutachten 2025/26 des Sachverständigenrats

Hauptpunkte des Jahresgutachtens 2025/26 des Sachverständigenrats – „Perspektiven für morgen schaffen – Chancen nicht verspielen“:

1. Konjunktur mit mäßigem Schwung

Die deutsche Wirtschaft befindet sich nach einer Rezession 2023/24 in einer Stagnationsphase. Ursachen sind einerseits konjunkturelle Faktoren, andererseits strukturelle Probleme wie sinkende Wettbewerbsfähigkeit, demografischer Wandel und geopolitische Unsicherheiten. Das Wachstumsmodell, das stark auf Export und fossile Energieabhängigkeit beruht, verliert an Tragfähigkeit.
Prognose: Für 2025 wird ein BIP-Wachstum von 0,2 % erwartet, für 2026 von 0,9 %. Die Inflation bleibt mit etwa 2 % stabil. Risiken bestehen insbesondere durch mögliche Preissteigerungen infolge des Finanzpakets und einer schleppenden Mittelverwendung.
Kritische Einschätzung: Der Rat warnt, dass ohne Strukturreformen und Investitionsimpulse das geringe Wachstum verharren könnte. Die makroökonomischen Anpassungen bleiben bisher unzureichend.

2. Zusätzlichkeit und Investitionsorientierung des Sondervermögens verbessern

Das neue Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) über 500 Mrd € bis 2037 soll Investitionsrückstände abbauen. Der Rat kritisiert jedoch, dass es an Zusätzlichkeit (d.h. echten, neuen Investitionen) und Zielgenauigkeit mangelt: Gelder ersetzen teils bestehende Haushaltsmittel und werden nicht ausreichend investiv eingesetzt.
Empfehlungen:

  • Mehrjähriger Finanzplan, zentrales Monitoring und gesetzlich verankertes Kontrollgremium.
  • Einheitliche Definition der Investitionsquote und verpflichtende Weitergabe von Landesmitteln an Kommunen.
  • Keine Zweckentfremdung des Fonds zur Finanzierung konsumtiver Maßnahmen (z.B. Mütterrente).
    Bewertung: Ohne klare Governance droht der Fonds zu einem reinen Verschiebebuch zu werden, was langfristig die Schuldenstandsquote (möglicherweise über 85 % des BIP) erhöht.

3. Europas Zukunft gemeinsam sichern

Die EU leidet unter einem schwachen Produktivitätswachstum und sicherheitspolitischen Defiziten. Der Rat fordert eine Vertiefung des Binnen- und Kapitalmarkts und eine gemeinsame Verteidigungspolitik.
Wirtschaftspolitische Vorschläge:

  • Abbau territorialer Handelshemmnisse und Schaffung eines „28. Unternehmensrechtsregimes“.
  • Integration der Kapitalmarktaufsicht durch die ESMA und Förderung paneuropäischer Wagniskapitalmärkte.
  • Aufbau eines European Safe Asset (z. B. ESBies).
    Sicherheitspolitische Vorschläge:
  • Europäische Koordinierung der Rüstungsbeschaffung, gemeinsamer „European Defence Mechanism“ (EDM).
  • Mehr Mittel für FuE und Innovationen im Verteidigungsbereich, Finanzierung über EU-Haushalt.
    Kritische Einschätzung: Die EU droht, wirtschaftlich und sicherheitspolitisch zwischen USA und China marginalisiert zu werden, falls sie keine Integrationstiefe gewinnt.

4. Unternehmen entlasten, Besteuerung effizient gestalten

Deutschland weist mit etwa 28,5 % eine hohe effektive Unternehmenssteuerquote auf. Diese verzerrt Investitionsentscheidungen und fördert Verschuldung.
Reformvorschläge:

  • Steuerliche Neutralität zwischen Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung (z. B. Allowance for Corporate Equity oder Cash-Flow-Steuer).
  • Ausweitung von Abschreibungsregeln und steuerlicher FuE-Förderung.
  • Vereinfachung der Forschungszulage.
  • Unterstützung einer globalen Mindeststeuer, aber Warnung vor Rückschritten durch den US-Rückzug.
    Kritik: Das aktuelle Steuerrecht hemmt Investitionen und unterminiert Wettbewerbsfähigkeit. Langfristige Wachstumsimpulse erfordern strukturelle, nicht nur temporäre Steuerentlastungen.

5. Vermögensaufbau stärken, Erbschaften und Schenkungen gerechter besteuern

Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist hoch und stabil. Haushalte mit niedrigen Einkommen können kaum sparen, während große Erbschaften Ungleichheit verfestigen.
Vorschläge:

  • Einführung eines staatlich geförderten Vorsorgedepots zur Kapitalmarktteilhabe aller Erwerbstätigen.
  • Vereinheitlichung staatlicher Sparförderung, Anknüpfung an Frühstart-Rente.
  • Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer:
  • Lebensfreibetrag statt mehrfacher Freibeträge.
  • Reduktion der Begünstigungen für Betriebsvermögen (< 26 Mio €) und Abschaffung übermäßiger Verschonungsabschläge.
  • Stundungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Liquiditätsproblemen.
    Kritische Bewertung: Der Rat plädiert für mehr Leistungsfähigkeit und Gleichheit im Steuerrecht – ein umstrittener Punkt, da er auf stärkere Belastung von Familienunternehmen hinausläuft.

6. Chancen des Finanzpakets nutzen

Das 2025 beschlossene Finanzpaket erweitert durch Ausnahmen von der Schuldenbremse den fiskalischen Spielraum erheblich. Der Rat betont die Notwendigkeit, diese investiv statt konsumtiv zu nutzen.
Empfehlungen:

  • Mindestinvestitionsquote (10 % des Kernhaushalts) gesetzlich festschreiben und schrittweise erhöhen.
  • Investitionsorientierung auch für Länder und KTF verbindlich machen.
  • Dauerhafte Fonds für Verkehrsinfrastruktur und Bildung etablieren.
  • Verteidigungsausgaben langfristig wieder im Kernhaushalt (2 % des BIP) verankern.
    Bewertung: Nur bei konsequenter Investitionsorientierung und Strukturreformen bleibt das Paket EU-konform und wachstumswirksam. Eine Reform der Schuldenbremse bleibt notwendig.

7. Überflüssige Bürokratie umfassend abbauen

Die Bürokratiekosten betragen rund 65 Mrd € jährlich, was 1,7 % der Arbeitsstunden bindet.
Empfehlungen:

  • Digitalisierung und Automatisierung von Verwaltungsprozessen, One-Stop-Shops, Once-Only-Prinzip.
  • Beschleunigung von Genehmigungsverfahren (Genehmigungsfiktionen).
  • Qualitätskontrolle bereits im Gesetzgebungsprozess („Digital-Check“).
  • Wettbewerb zwischen Verwaltungen durch transparente Leistungskennzahlen.
    Kritische Anmerkung: Der Rat sieht in der Bürokratie einen strukturellen Wettbewerbsnachteil Deutschlands, der politische Priorisierung („Chefsache“) erfordert.

8. Strukturwandel regional gestalten

Der beschleunigte Wandel durch Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie erzeugt regionale Ungleichgewichte.
Zentrale Empfehlungen:

  • Flächendeckende Investitionen in Digital- und Energieinfrastruktur.
  • Förderung von Innovation und Qualifikation, statt Subventionen für nicht zukunftsfähige Industrien.
  • Gezielte Regionalförderung für strukturschwache Gebiete.
  • Arbeitsmarktpolitisch: Umschulung, Weiterbildung, „Arbeitsmarktdrehscheiben“.
    Bewertung: Der Rat betont einen zukunftsorientierten, sozial flankierten Strukturwandel – im Gegensatz zu teuren Erhaltungsstrategien, die den Wandel verzögern.

Gesamteinschätzung

Das Gutachten verbindet kurzfristige Stabilisierung mit langfristiger Reformstrategie. Es betont Haushaltsdisziplin, Investitionsfokus und europäische Integration. Kritisch ist anzumerken, dass die Vorschläge zwar ökonomisch stringent sind, jedoch politisch schwer umsetzbar erscheinen: Die geforderte Umwidmung von Ausgaben und die Reduktion von Privilegien (z. B. bei Betriebsvermögen) treffen auf erheblichen Widerstand. Die Stärke des Gutachtens liegt in seiner konsistenten Verbindung von makroökonomischer Analyse und ordnungspolitischem Denken; seine Schwäche in der politischen Realitätsferne mancher Reformvorschläge.


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