1. Ausgangspunkt: Zwei Konzerne im gleichen Wandel – aber mit unterschiedlichen Ergebnissen
Toyota und Volkswagen zählen seit Jahrzehnten zu den globalen Schwergewichten der Automobilindustrie. Beide verfügen über große Plattformen, weltweite Produktionsnetze und eine historisch gewachsene Abhängigkeit von hohen Stückzahlen. Beide müssen zudem denselben Strukturwandel bewältigen: die Umstellung auf Elektromobilität und die Transformation zum Softwareunternehmen.
Trotz ähnlicher Voraussetzungen unterscheiden sich die aktuellen Ergebnisse deutlich: Toyota wächst und erzielt hohe operative Margen, während VW trotz solider Umsätze Verluste ausweist.
Kritik:
Die Gegenüberstellung ist grundsätzlich korrekt, sollte jedoch berücksichtigen, dass auch Toyota unter globalem Preisdruck, regulatorischen Veränderungen und Investitionszwängen steht – wenn auch weniger intensiv als VW.
2. Software: Der entscheidende Hebel der Differenzierung
Toyota hat seine traditionelle Schwäche im Softwarebereich strategisch adressiert. Woven City, die Software-Tochter Woven by Toyota und die Arene-Plattform schaffen klare Entwicklungsprozesse, stabile Teams und langfristige Produktpläne.
Volkswagen kämpft weiterhin mit inkonsistenten Softwarearchitekturen, Verzögerungen bei Updates und teuren Fehlschlägen. Die Software bleibt eine strukturelle Engstelle und bremst die gesamte Modellpipeline.
Kritik:
Die Darstellung überzeugt, doch Toyotas Softwarekompetenz ist relativ neu und muss sich langfristig erst bewähren. VW dagegen leidet zwar unter Rückschlägen, investiert aber massiv weiter; der endgültige Abstand ist daher weniger stabil, als der Text suggeriert.
3. Marktabhängigkeiten: Diversifikation vs. Konzentration
Toyota verteilte sein globales Geschäft früh über mehrere Märkte – etwa Indien, Südostasien, Nordamerika und den Nahen Osten. Dadurch ist China für Toyota wichtig, aber nicht existenziell.
VW dagegen war jahrelang übermäßig abhängig von China. Während früher fast die Hälfte der weltweiten VW-Auslieferungen aus China kam, sinken dort inzwischen Absatz und Gewinnbeitrag deutlich.
Kritik:
Die Argumentation ist schlüssig. Allerdings sollte erwähnt werden, dass Toyota in China langfristig ebenfalls stärker unter Druck geraten kann – etwa durch lokale BEV-Hersteller und politische Spannungen zwischen China und Japan.
4. Technologiepfade: Flexibilität statt Dogmatismus
Toyota setzt auf einen multipfadigen Ansatz: Hybrid, Plug-in, Batterie, Wasserstoff und Verbrennung. Dieser Ansatz entstand aus strukturellen Rahmenbedingungen des Heimatmarkts – teurer Strom, schwache Ladeinfrastruktur – und erwies sich als strategischer Vorteil. Die Hybridtechnologie boomt, während reine Elektroautos im globalen Wettbewerb zunehmend Margendruck ausgesetzt sind.
VW investierte früh und umfassend in Elektroplattformen – getrieben auch von chinesischen Vorgaben und dem Wunsch, Technologieführerschaft zu erreichen.
Kritik:
Der multipfadige Ansatz ist aktuell erfolgreich, birgt jedoch das Risiko eines zu späten Übergangs zu BEVs, falls globale Regulierungen schneller verschärft werden. Toyotas heutiger Vorteil muss langfristig nicht zwingend bestehen bleiben.
5. Lieferketten und Produktion: Resilienz als Wettbewerbsfaktor
Toyotas Keiretsu-Struktur – ein eng verbundenes Netzwerk von Zulieferern mit gegenseitigen Beteiligungen und langfristigen Partnerschaften – schafft hohe Robustheit. Während der Chipkrisen liefen Toyotas Bänder weiter, weil das Unternehmen diversifizierte Bezugsquellen und taktische Vorräte aufgebaut hatte. Das klassische „Just in Time“ wurde gezielt zu „Just in Case“ weiterentwickelt.
Volkswagen hingegen arbeitet mit starken, aber organisatorisch unabhängigen Zulieferern. Dieses Modell bietet Effizienz, offenbart jedoch in Krisen seine Grenzen.
Kritik:
Die Bewertung ist weitgehend zutreffend. Allerdings hat auch das Keiretsu-Modell Schwächen – etwa geringere Kostendynamik, Abhängigkeit von einzelnen Partnern und potenziell langsamere Strukturveränderungen. Diese Perspektive sollte für ein vollständiges Bild berücksichtigt werden.
6. Preispositionierung und Produktstrategie: Massenmarkt vs. Premiumdrift
Toyota bleibt eng am Massenmarkt: Ein Corolla Hybrid ist deutlich günstiger als ein Golf oder ID.3. Diese Preispolitik stabilisiert die Nachfrage in einem globalen Umfeld, das von Inflation, Zinsdruck und Konsumzurückhaltung geprägt ist.
VW bewegt sich zunehmend in Richtung höherpreisiger Segmente und verliert damit an Breite im Mittelklassemarkt.
Kritik:
Der Befund ist valide. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass höhere Preise teilweise auch aus regulatorischen Vorgaben, Sicherheitsstandards und Elektrifizierungszwängen resultieren – also nicht allein strategische Entscheidungen von VW sind.
7. Gesamteinschätzung
Toyota liegt derzeit aus mehreren Gründen klar vor Volkswagen:
- konsistente Software-Strategie und klare Entwicklungsprozesse
- breite internationale Diversifizierung statt China-Abhängigkeit
- flexibler Technologieansatz statt einseitiger Elektrostrategie
- robuste Lieferketten und ein widerstandsfähiges Industrienetzwerk
- preislich wettbewerbsfähige Produkte für breite Zielgruppen
Volkswagen kämpft dagegen mit hohen Investitionskosten, strukturellen Softwareproblemen, Marktverengung und übergroßen Abhängigkeiten.
Kritisches Schlusswort:
Der Vorsprung Toyotas ist real und derzeit stabil. Dennoch ist die Analyse nur dann vollständig, wenn man berücksichtigt, dass Toyota langfristig eigene Risiken trägt – regulatorische Elektrozwänge, Batteriekompetenz, geopolitische Spannungen, Abhängigkeit von Hybridmargen. Die gegenwärtige Dominanz ist daher weniger ein endgültiger Sieg, sondern vielmehr das Resultat überlegener Anpassung an die aktuellen Rahmenbedingungen.
