Die Trinity-Studie

Die 4%-Regel ist eine aus der Finanzwissenschaft abgeleitete Faustregel zur Entnahme aus einem Vermögen im Ruhestand. Sie geht auf die sogenannte Trinity-Studie zurück, eine empirische Untersuchung von US-Ökonomen der Trinity University (Texas) aus den späten 1990er-Jahren.

1. Ursprung: Die Trinity-Studie

Ziel der Studie

Untersucht wurde die Frage:

Wie hoch darf die jährliche Entnahme aus einem Portfolio sein, damit das Vermögen mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens 30 Jahre reicht?

Methodik (vereinfacht)

  • Historische US-Daten (ca. 1926–1995)
  • Unterschiedliche Portfolios (Aktien/Anleihen-Mischungen)
  • Feste Entnahmerate, inflationsbereinigt
  • Ruhestandsdauer: 30 Jahre

Die Studie analysierte, in wie vielen historischen Zeiträumen ein Portfolio nicht vorzeitig aufgebraucht wurde.

2. Die 4%-Regel: Kernaussage

Die zentrale Schlussfolgerung lautet:

Wer im ersten Ruhestandsjahr 4 % des Anfangsvermögens entnimmt und diesen Betrag anschließend jährlich an die Inflation anpasst, hatte historisch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Portfolio mindestens 30 Jahre überlebt.

Beispiel

  • Startvermögen: 1.000.000 €
  • Entnahme im Jahr 1: 40.000 €
  • Jahr 2: 40.000 € + Inflationsausgleich
  • usw.

Wichtig:
Die Entnahme ist nicht jedes Jahr 4 % des aktuellen Vermögens, sondern ein konstanter realer Betrag.

3. Voraussetzungen und Annahmen

Die Regel gilt nur unter bestimmten Bedingungen:

Portfolio

  • Typisch: 50–75 % Aktien, Rest Anleihen
  • Stark aktienlastige Portfolios schnitten langfristig besser ab

Zeitraum

  • Ruhestand von 30 Jahren
  • Nicht lebenslang, nicht generationenübergreifend

Marktannahmen

  • Historische Renditen der USA
  • Keine Berücksichtigung extremer Strukturbrüche

Steuern und Kosten

  • In der Originalstudie nicht oder nur vereinfacht berücksichtigt

4. Warum funktioniert die Regel?

Der entscheidende Mechanismus ist das sogenannte Sequence-of-Returns-Risiko:

  • Schlechte Renditen zu Beginn des Ruhestands sind besonders gefährlich
  • 4 % erwiesen sich historisch als ausreichend konservativ, um auch ungünstige Startphasen zu überstehen

Die Regel ist also kein Renditemittelwert, sondern ein Risikopuffer.

5. Stärken der 4%-Regel

Vorteile

  • Einfach verständlich und anwendbar
  • Historisch gut abgesichert (für US-Daten)
  • Nützlicher Planungsanker für finanzielle Unabhängigkeit
  • Vermeidet emotionale Fehlentscheidungen

Praktischer Nutzen

  • Grobe Abschätzung des benötigten Vermögens:

    Jahresausgaben × 25 ≈ Zielvermögen

6. Zentrale Kritikpunkte und Grenzen

6.1 Historische Daten ≠ Zukunft

  • Die Studie basiert auf außergewöhnlich starken US-Kapitalmärkten
  • Andere Länder zeigen deutlich niedrigere „sichere“ Entnahmeraten

6.2 Niedrigzins- und Bewertungsumfeld

  • Anleihenrenditen heute deutlich niedriger als im Untersuchungszeitraum
  • Hohe Aktienbewertungen könnten zukünftige Renditen dämpfen

→ Viele Experten halten heute 3–3,5 % für realistischer.

6.3 Starre Entnahmeregel

Die 4%-Regel unterstellt:

  • konstante reale Ausgaben
  • keine Anpassung an Marktphasen

In der Realität:

  • Menschen geben flexibel aus
  • Kürzungen in Krisenjahren erhöhen die Nachhaltigkeit deutlich

6.4 Lebensdauer-Risiko

  • 30 Jahre Ruhestand sind für viele zu kurz
  • Frühverrentung oder hohe Lebenserwartung erfordern niedrigere Entnahmen

6.5 Steuern, Kosten, Krankenversicherung

  • Je nach Land und Struktur können diese die reale Entnahmerate deutlich reduzieren
  • Besonders relevant außerhalb der USA

7. Weiterentwicklungen und Alternativen

Flexible Entnahmestrategien

  • Guardrail-Ansätze (z. B. Guyton-Klinger)
  • Prozentuale Entnahmen vom aktuellen Vermögen
  • Variable Ausgaben je nach Marktlage

Dynamische Regeln

  • Anpassung an Bewertung (CAPE-basierte Entnahmen)
  • Kombination mit Mindest- und Höchstbeträgen

Diese Ansätze sind komplexer, aber oft robuster.

8. Einordnung und Fazit

Die 4%-Regel ist keine Garantie, sondern:

  • eine historische Wahrscheinlichkeitsaussage
  • ein konservativer Ausgangspunkt
  • ein Planungswerkzeug, kein Gesetz

Zusammenfassend:

  • Als Faustregel sehr nützlich
  • Als starre Lebensstrategie problematisch
  • Heute eher als Obergrenze denn als Zielwert zu verstehen

1. Ausgangspunkt: Warum die 4 % für Europa nicht übertragbar sind

Die Trinity-Studie basiert auf:

  • außergewöhnlich guten US-Aktienrenditen
  • einem langen Zeitraum ohne dauerhafte Vermögenssteuern
  • einem einheitlichen Kapitalmarkt
  • historisch hohen Anleiherenditen

Europa unterscheidet sich strukturell in mehreren Punkten:

Zentrale Unterschiede

  • geringere historische Aktienrenditen (v. a. ex USA)
  • stärkere Fragmentierung der Kapitalmärkte
  • niedrigere Anleiherenditen über lange Phasen
  • höhere Steuern auf Kapitalerträge
  • teils zusätzliche Abgaben (Sozialversicherung, Vermögensbesteuerung, Krankenversicherung)

Eine niedrigere Entnahmerate ist rational begründbar.

2. Methodischer Rahmen für eine europäische Ableitung

Da es keine „europäische Trinity-Studie“ mit vergleichbarer Datenqualität gibt, erfolgt die Ableitung bottom-up:

  1. Erwartbare reale Renditen heute
  2. Inflations- und Zinsumfeld
  3. Sequence-of-Returns-Risiko
  4. Steuer- und Kosteneffekte
  5. Längere Ruhestandsdauer

3. Realistische Renditeannahmen (heutiger Stand)

3.1 Aktien (Europa / global ex USA)

Langfristige reale Renditeannahmen (vorsichtig):

  • Europa: ca. 3,5–4,5 %
  • Global (inkl. USA): ca. 4–5 %

(unter Annahme moderater Bewertungskorrekturen)

3.2 Anleihen (Euro-Raum)

  • Reale Rendite: 0–1 % (vor Kosten, nach Inflation langfristig)

3.3 Typisches Ruhestandsportfolio

Beispiel:

  • 60 % Aktien (global diversifiziert)
  • 40 % Anleihen / Cash

→ Erwartete reale Portfoliorendite:
ca. 2,5–3,2 %

4. Zentrale Risikofaktoren

4.1 Sequence-of-Returns-Risiko

  • In Europa besonders relevant wegen geringerer Renditepuffer
  • Frühverluste wirken stärker als im US-Fall

4.2 Inflationsunsicherheit

  • Höhere strukturelle Inflation in Europa historisch möglich
  • Staatliche Repression (Realzins < 0) kein Ausnahmefall

4.3 Längere Zeiträume

  • 40–50 Jahre Ruhestand bei früher finanzieller Unabhängigkeit realistisch
  • Jede Verlängerung senkt die sichere Entnahmerate deutlich

5. Steuern und Kosten (entscheidend!)

Je nach Land:

  • Kapitalertragsteuer: ca. 25–30 %
  • Teilfreistellungen oft unvollständig
  • Krankenversicherung im Ruhestand häufig einkommensabhängig
  • Depotkosten / Fonds-TER

Realistischer Abzug von der Bruttorendite:
0,8–1,2 % pro Jahr

6. Ableitung der realistischen Entnahmerate

Konservativer Rechenansatz

FaktorWirkung
Reale Bruttorendite+2,5–3,2 %
Steuern & Kosten−1,0 %
Sicherheitsmarge (Sequenzrisiko)−0,5–0,7 %
Längere Laufzeit (40+ Jahre)−0,3–0,5 %

Ergebnis:

Nachhaltige reale Entnahmerate:

≈ 2,5–3,0 %

7. Differenzierte Empfehlung (statt einer Zahl)

7.1 Je nach Zielsetzung

ZielEntnahmerate
Sehr hohe Sicherheit (40–50 Jahre)2,5 %
Realistisch-konservativ2,7–2,8 %
Mit Flexibilität & Anpassungen3,0–3,2 %
Starre Entnahme (nicht empfohlen)≤ 3,0 %

8. Einordnung im Vergleich zur 4%-Regel

RegelKontext
4 %US-Daten, 30 Jahre, historische Sonderphase
3–3,5 %Optimistische Europa-Annahme
2,5–3,0 %Heutige europäische Realistik

Die 4 % fungieren für Europa nicht als Richtwert, sondern eher als Warnmarke.

9. Wichtiger Zusatz: Flexibilität schlägt Präzision

Empirisch zeigt sich:

  • Bereits 10–15 % Ausgabenkürzung in Krisenjahren
  • erhöht die nachhaltige Entnahmerate um 0,5–0,8 Prozentpunkte

Das bedeutet:

Wer flexibel ist, kann mit 3 % leben –
wer starr plant, sollte bei 2,5 % bleiben.

10. Fazit

Kernaussagen

  • Für Europa ist eine realistische sichere Entnahmerate heute 2,5–3,0 %
  • Die 4%-Regel ist nicht übertragbar
  • Steuern und lange Zeiträume sind der größte Renditekiller
  • Flexibilität ist der wichtigste Sicherheitsfaktor

Wenn du möchtest, können wir im nächsten Schritt:

  • die Entnahmerate für ein konkretes Land (z. B. Deutschland, Österreich, Schweiz) berechnen,
  • ein konkretes Portfolio simulieren,
  • oder eine dynamische Entnahmestrategie entwickeln, die 3 % tragfähig macht.

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