Abschiebeflug nach Afghanistan, nur eine Show?

Deutschland öffnet diplomatische Hintertüren: Abschiebeflug nach Afghanistan und stille Kooperation mit den Taliban

Am 18. Juli 2025 erfolgte erstmals seit dem Fall Kabuls im Sommer 2021 ein Abschiebeflug von Deutschland nach Afghanistan. 81 vollziehbar ausreisepflichtige Männer – laut Behörden großteils vorbestrafte Straftäter – wurden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen nach Kabul ausgeflogen. Dieser Flug markiert nicht nur eine Wende in der deutschen Rückführungspraxis, sondern auch eine diskrete Annäherung an ein international weitgehend isoliertes Regime: die Taliban.

Denn die Rückführung war kein einseitiger Verwaltungsakt. Sie war Ergebnis monatelanger technischer Verhandlungen – unter maßgeblicher Vermittlung Katars – mit der De-facto-Regierung in Kabul. Im Zuge dieser Gespräche wurde vereinbart, dass zwei Vertreter der afghanischen Konsularverwaltung nach Deutschland entsandt werden. Ihre Aufgabe: administrative Unterstützung bei künftigen Rückführungsmaßnahmen, insbesondere durch Identitätsfeststellungen und Passausstellungen. Diese Konsularbeamten sollen in den afghanischen Botschaftsräumen in Berlin und Bonn tätig werden, wenngleich es sich formal um keine offizielle Anerkennung der Taliban-Regierung handelt.

Die Bundesregierung betont die technische Natur dieser Zusammenarbeit. Doch die diplomatische Substanz dieser Maßnahme ist offenkundig: Deutschland wäre damit der erste EU-Mitgliedstaat, der faktisch diplomatische Repräsentanten des Taliban-Regimes aufnimmt. Zwar firmiert dieser Schritt unter dem Etikett „praktischer Notwendigkeit“, doch seine politische Signalwirkung ist unübersehbar. Er legt offen, wie sehr Realpolitik und sicherheitspolitisches Kalkül selbst in humanitär aufgeladenen Kontexten wie der Asylpolitik dominieren.

Die innenpolitische Stoßrichtung ist klar: Nach Jahren massiver Kritik an einer vermeintlich zahnlosen Abschiebepolitik – insbesondere gegenüber straffällig gewordenen Ausreisepflichtigen – will die Bundesregierung Handlungsfähigkeit beweisen. Die Rückführung nach Afghanistan, so Bundesinnenministerin Faeser, sei ein „notwendiges Zeichen der Ordnung“. Der Koalitionsvertrag sieht ausdrücklich die konsequente Rückführung von Straftätern und Gefährdern vor – und die aktuelle Maßnahme ist ein symbolträchtiger Schritt in diese Richtung.

Die kommenden Wochen dürften zeigen, ob es sich bei diesem Abschiebeflug um einen Einzelfall handelt – oder um den Auftakt einer neuen Phase deutscher Migrationspolitik, die unter dem Druck politischer Realitäten bereit ist, Prinzipien der wertebasierten Außenpolitik dem Pragmatismus zu opfern. Ein klarer Kurs ist bislang nicht erkennbar. Was jedoch sichtbar wird, ist das Ringen zwischen humanitärem Anspruch und politischem Kalkül – ein Konflikt, der das politische Deutschland wohl noch lange begleiten wird.

Ob es sich bei dem Abschiebeflug vom 18. Juli 2025 lediglich um eine politische „Show“ handelt oder um den Auftakt einer neuen Phase konsequenter Rückführungspolitik, hängt wesentlich davon ab, wie die Bundesregierung in den kommenden Wochen handelt – und welche konkreten Schritte auf diesen symbolträchtigen Erstflug folgen.

Bislang spricht vieles für die These, dass es sich primär um ein demonstratives Signal handelt – ein symbolischer Akt, inszeniert, um Handlungsfähigkeit zu beweisen. Dies lässt sich aus mehreren Indizien ableiten:

1. Fehlende konkrete Folgeplanung: Auf der Regierungspressekonferenz vom 21. Juli ließ sich kein Vertreter der Bundesregierung zu konkreten nächsten Flügen ein. Man verwies allgemein auf den Koalitionsvertrag und die grundsätzliche Absicht, Straftäter konsequent abzuschieben – doch ein detaillierter Rückführungsplan, ein Zeitplan oder eine öffentlich nachvollziehbare Strategie fehlen. Das ist bemerkenswert, denn ohne Kontinuität verliert ein erster Flug rasch an politischer Substanz.

2. Kommunikationsstil der Regierung: Die Bundesregierung spricht bewusst nur von „technischer Zusammenarbeit“ und meidet jegliche Formulierung, die eine institutionelle oder diplomatische Anerkennung der Taliban auch nur andeuten könnte. Der Versuch, eine Maßnahme politischen Gewichts in technokratischer Sprache zu kaschieren, ist typisch für symbolpolitische Akte, die primär innenpolitische Wirkung entfalten sollen.

3. Mediale Rahmung und Zeitpunkt: Die Durchführung des Fluges in den Sommermonaten – einer politisch und medial ruhigeren Phase – sowie die begleitende exklusive Berichterstattung etwa durch die FAZ deuten auf eine kontrollierte Kommunikationsstrategie hin. Ziel scheint es zu sein, das innenpolitische Bedürfnis nach „Ordnung“ zu bedienen, ohne sich dem vollen Sturm außen- und menschenrechtlicher Kritik auszusetzen.

4. Mangel an europäischer Koordination: Ein nachhaltiger Strategiewechsel in der Afghanistan-Politik müsste europäisch abgestimmt sein. Dass Deutschland jedoch im Alleingang Taliban-nahe Konsularbeamte zulässt – als erster EU-Staat – zeigt nicht nur diplomatische Isolation, sondern auch, dass man wohl weniger an langfristiger Umsetzung als an kurzfristiger Demonstration interessiert ist.

5. Inkompatibilität mit bisherigen Grundsätzen: Noch im Frühjahr 2025 hatte das Auswärtige Amt betont, dass Afghanistan unter den Taliban kein sicheres Herkunftsland sei. Eine systematische Rückführung würde eine Neubewertung dieser Position voraussetzen. Dass diese nicht erfolgt ist, legt nahe, dass man keine dauerhafte Politikänderung anstrebt, sondern einen Ausnahmepfad geht.

Fazit: Ja, vieles spricht dafür, dass der Abschiebeflug zunächst als symbolisches Manöver zu deuten ist – ein politisches Signal an eine migrationskritische Öffentlichkeit, das innenpolitisch Handlungsstärke demonstrieren soll, ohne eine substanzielle Neuausrichtung der Abschiebepolitik einzuleiten. Sollte in den nächsten Wochen keine konkrete und wiederholbare Rückführungsstruktur erkennbar werden, muss man diesen Akt in erster Linie als eine „Show“ begreifen: rechtlich heikel, moralisch ambivalent und diplomatisch isoliert.

Es bleibt also bei der zentralen Frage: Wird der politische Wille zur Rückführung nun durch Taten gestützt – oder war dieser Flug das wohlkalkulierte Maximum dessen, was eine von inneren Widersprüchen geprägte Koalition politisch zu leisten vermag?


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