Abschiebung von 81 Afghanen

Das Dokument „Drucksache 21/1472“ des Deutschen Bundestages vom 3. September 2025 enthält die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Bünger, Anne-Mieke Bremer, Katrin Fey, Dr. Gregor Gysi, Luke Hoß, Ferat Koçak, Jan Köstering, Sonja Lemke, Tamara Mazzi, Bodo Ramelow, David Schliesing, Aaron Valent, Donata Vogtschmidt, Christin Willnat sowie der Fraktion Die Linke (Drucksache 21/1160). Die Anfrage bezieht sich auf die Abschiebung von 81 afghanischen Staatsangehörigen nach Afghanistan am 18. Juli 2025 – die zweite solche Maßnahme seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021.

Hintergrund und Kritik der Fragesteller

Die Abgeordneten kritisieren die Abschiebung scharf, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Afghanistan:

  • Die Taliban-Regierung steht international unter schweren Vorwürfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, darunter systematische Diskriminierung und Verfolgung von Frauen, Mädchen und Menschen, die von den vorgegebenen Geschlechternormen abweichen. Diese Praxis wird von vielen Organisationen als „Gender-Apartheid“ bezeichnet.
  • Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte kurz vor der Abschiebung Haftbefehle gegen zwei führende Taliban-Funktionäre erlassen.
  • In Afghanistan herrscht eine extrem schwierige humanitäre Lage: Über 3 Millionen Menschen leiden unter lebensbedrohlichem Hunger, fast 24 Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Aufgrund von Finanzierungslücken droht laut WHO der Zusammenbruch von 80 Prozent der geförderten Gesundheitszentren.
  • Trotz dieser Lage und des völkerrechtlichen Verbots der „Non-refoulement“ (keine Rückführung in Länder, in denen Folter oder unmenschliche Behandlung droht) wurde die Abschiebung durchgeführt.
  • Die Bundesregierung plant weitere Abschiebungen und will laut Angaben des Bundesinnenministers Alexander Dobrindt sogar direkte Vereinbarungen mit den Taliban treffen.
  • Die Taliban haben erstmals seit ihrer Machtübernahme eigene Konsularbeamte nach Deutschland entsandt, denen Visa erteilt wurden. Diese arbeiten in der Botschaft in Berlin und im Konsulat in Bonn, während das Generalkonsulat in München bereits länger mit den Taliban zusammenarbeitet.

Die Bundes- und Landesbehörden betonten, die Abschiebung habe sich gegen „schwere Straftäter“ gerichtet (z. B. Sexualstraftäter, Mörder, Gewalttäter). Journalistische Recherchen deuten jedoch darauf hin, dass auch gut integrierte Personen mit psychischen Erkrankungen abgeschoben wurden – darunter mehrere, die nach § 63 StGB (Maßregelvollzug wegen Schuldunfähigkeit oder Verminderten Schuldfähigkeit) untergebracht waren. Diese Menschen seien in Afghanistan besonders gefährdet, da ihnen dort adäquate medizinische und psychosoziale Versorgung fehle.

Antwort der Bundesregierung

Die Bundesregierung betont, dass die Durchführung von Abschiebungen gemäß der föderalen Zuständigkeit primär Sache der Länder ist, während der Bund lediglich unterstützend tätig wird.

Zusammensetzung der Abgeschobenen

  1. Verteilung auf die Bundesländer:
    • Baden-Württemberg: 13
    • Bayern: 15
    • Berlin: 4
    • Brandenburg: 1
    • Hamburg: 2
    • Hessen: 9
    • Niedersachsen: 15
    • Nordrhein-Westfalen: 7
    • Rheinland-Pfalz: 6
    • Sachsen-Anhalt: 2
    • Schleswig-Holstein: 3
    • Thüringen: 4
    • Gesamt: 81 Personen
  2. Beteiligung der Länder:
    Alle genannten Bundesländer beteiligten sich an der Maßnahme. Kein Land hat sich ausdrücklich enthalten.
  3. Strafliche Vorbelastung:
  • Die Abgeschobenen seien insbesondere wegen Tötungsdelikten, Sexualstraftaten, Gewalttaten und Drogendelikten auffällig geworden.
  • Konkrete Einzelangaben werden nicht gemacht – diese seien bei den jeweiligen Ländern zu erfragen.
  1. Gefährder:
  • Keine der abgeschobenen Personen wurde als sogenannter „Gefährder“ eingestuft.
  1. Abschiebung aus der Strafhaft:
  • Zuständig sind die Länder; konkrete Zahlen werden nicht genannt.
  • Verwiesen wird auf die Antwort zu Frage 3.
  1. Abschiebung aus psychiatrischen Einrichtungen / psychische Erkrankungen:
  • Zuständig sind die Länder (PsychKG, Maßregelvollzug).
  • Keine konkreten Angaben durch die Bundesregierung.
  • Verwiesen wird auf Frage 3.
  1. Unterbringung nach § 63 StGB:
  • Die Bundesregierung verweist auf die Antwort zu Frage 6 – es erfolgt keine Bestätigung oder Dementi der Meldung, dass einige Betroffene nach § 63 untergebracht waren.
  1. Medizinische und psychosoziale Versorgung in Afghanistan:
  • Das Auswärtige Amt (AA) stützt sich auf Berichte der Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen.
  • Das Gesundheitssystem gilt als belastet, der Zugang zu medizinischer Versorgung – besonders in ländlichen Gebieten – ist stark eingeschränkt.
  • Spezifische Angaben zur psychosozialen Versorgung psychisch Erkrankter werden nicht gemacht.
  1. Asylantrag in Deutschland:
  • Alle 81 Personen hatten zum Stichtag 31. Juli 2025 einen Asylantrag nach ihrer letzten Einreise im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst.
  1. Aufenthaltsdauer in Deutschland:
    • Unter 3 Jahren: 1 Person
    • 5 bis 10 Jahre: 74 Personen
    • Länger als 10 Jahre: 6 Personen
    • Durchschnittliche Aufenthaltsdauer also über 5 Jahre, viele seit mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland.
  2. Ausweisungsverfügungen:
    • Zuständigkeit liegt bei den Ländern – keine Angaben durch die Bundesregierung.
  3. Altersstruktur der Abgeschobenen:
    • 21–30 Jahre: 52 Personen
    • 31–40 Jahre: 20 Personen
    • 41–50 Jahre: 7 Personen
    • 51–60 Jahre: 1 Person
    • Über 60 Jahre: 1 Person
    • Keine Minderjährigen oder Personen unter 21 Jahren.
  4. Scheitern der Abschiebung in letzter Minute:
    • Es kam kein Abbruch „in letzter Minute“ durch Gerichte oder andere Instanzen.
    • Drei Personen wurden vorher von der Rückführung ausgeschlossen – aus Gründen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts werden die Gründe nicht genannt.
  5. Rechtsmittel gegen die Abschiebung:
    • Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden keine Rechtsmittel gegen die Abschiebung als solche eingelegt.
  6. Fesselung während der Abschiebung:
    • Bei 38 Personen wurden durch die Bundespolizei Hilfsmittel (Fesseln) im Rahmen des unmittelbaren Zwangs angewendet – aufgrund des Verhaltens der Betroffenen während der Bodenabfertigung in Deutschland.
  7. Kosten der Abschiebung:
    • Die Gesamtkosten können noch nicht abschließend beziffert werden.
    • Die Länder tragen die Kosten für den Charterflug.
    • Die Personalkosten der Bundespolizei für die Bodenmaßnahmen werden aus deren Haushalt finanziert.
  8. Fluggesellschaft:
    • Die Benennung der Fluggesellschaft wird aus Gründen der Geheimhaltung (VS – Nur für den Dienstgebrauch) nicht öffentlich gemacht.
    • Begründung: Schutz von Staatswohlinteressen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gemäß Artikel 12 GG, sowie um Fluggesellschaften vor öffentlicher Kritik und Boykott zu schützen, die die Zukunft von Rückführungsflügen gefährden könnte.
    • Die Angabe wird gesondert in einer nicht veröffentlichten Anlage an das Parlament übermittelt.
  9. Wahl des Abflughafens Leipzig:
    • Der Flughafen wurde unter Berücksichtigung einsatztaktischer Belange und der verfügbaren Ressourcen der Bundespolizei gewählt.
  10. Begleitung durch Behörden:
    • Es erfolgte keine Begleitung durch Beamte der Bundespolizei oder der Länder auf dem Flug.
    • Angaben zum Sicherheitspersonal anderer Staaten oder Fluggesellschaften werden aus Vertraulichkeitsgründen nicht gemacht.
  11. Beteiligung Katars:
    • Die Abschiebung wurde durch den Staat Katar im Rahmen der strategischen Sicherheitspartnerschaft vermittelt.
    • Keine Gegenleistung wurde erbracht.
    • Weitere Details werden aus Vertraulichkeitsgründen nicht genannt.
  12. Beteiligte Ministerien und Behörden:
    • Alle zuständigen Landesbehörden, das Bundesministerium des Innern (BMI), das Bundeskanzleramt und das Auswärtige Amt (AA) waren beteiligt.
  13. Übermittlung einer Liste an die Taliban:
    • Gemeinsam mit den Fragen 20 und 23 beantwortet: Es wird nicht bestätigt, ob eine Liste übermittelt wurde. Die Bundesregierung verweigert hierzu aus Vertraulichkeitsgründen eine Aussage.
  14. Gegenleistung an die Taliban:
    • Es wird versichert, dass keine Gegenleistung erbracht wurde.
  15. Sicherheitsüberprüfung der Taliban-Diplomaten:
    • Bei der Erteilung der Visa wurden die üblichen und erforderlichen Überprüfungen durchgeführt, insbesondere nach § 73 Abs. 1a AufenthG (Terrorabwehr, Gefährdung der öffentlichen Ordnung).
  16. Details zum Visumverfahren der Taliban-Vertreter:
    • Konkrete Angaben zu Antragsstellung, Ausstellung, Einreisedatum oder zuständiger Auslandsvertretung werden aus Gründen des Datenschutzes und der Vertraulichkeit nicht gemacht.
  17. Kosten der Abschiebung vom 30. August 2024 (Nachfrage):
    • Bei der Bundespolizei sind Rechnungen in Höhe von 7.385,38 Euro eingegangen (für Verpflegung, Dolmetscher, Terminmiete).
    • Weitere Kosten (z. B. für den Flug) werden nicht genannt.

Zentrale Kritikpunkte und offene Fragen

  • Die Bundesregierung weicht bei zentralen Fragen (z. B. Fluggesellschaft, psychische Erkrankungen, Einzelheiten zu den Betroffenen) auf die Zuständigkeit der Länder oder Geheimhaltung aus, was die Transparenz einschränkt.
  • Die Abschiebung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die möglicherweise nach § 63 StGB untergebracht waren, wirft schwerwiegende ethische und rechtliche Bedenken auf – insbesondere vor dem Hintergrund der katastrophalen medizinischen Versorgung in Afghanistan.
  • Die mittlere Aufenthaltsdauer von über 5 Jahren (für viele sogar über 10 Jahre) zeigt, dass viele Betroffene längst in Deutschland integriert waren – entgegen der Darstellung, es handle sich nur um „schwere Straftäter“.
  • Die Nutzung Katars als Vermittler und die Anerkennung von Taliban-Vertretern als Konsularbeamte deuten auf eine de-facto-Anerkennung der Taliban-Regierung hin, obwohl diese international nicht anerkannt ist.
  • Die fehlende Rechtsmittel-Einlegung könnte auf mangelnden Zugang zur Rechtsberatung oder auf beschleunigte Verfahren hindeuten.

Fazit

Die Abschiebung vom 18. Juli 2025 steht im Spannungsfeld zwischen innerer Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und föderalen Zuständigkeiten. Während die Bundesregierung die Maßnahme als notwendig und rechtmäßig darstellt, übt die Opposition starke Kritik an ihrer humanitären, rechtlichen und ethischen Vertretbarkeit. Die Antwort der Bundesregierung bleibt an vielen Stellen vage oder ausweichend, was die Debatte über Transparenz, humanitäre Verantwortung und die Zukunft von Abschiebungen in Krisengebiete weiter anheizen wird.


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