Abschiebungen und Rückführungspolitik in Deutschland – Halbjahresbericht 2025

Quelle: Deutscher Bundestag, Drucksache 21/1532 – Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gottfried Curio, Dr. Bernd Baumann, Christopher Drößler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 21/996 –

1. Einleitung und Überblick

Die vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der AfD-Fraktion (Drucksache 21/996) beleuchtet detailliert die Situation der Abschiebungen und die Durchsetzung der Ausreisepflicht in Deutschland im ersten Halbjahr 2025. Sie offenbart weiterhin bestehende Defizite und Herausforderungen im Rückführungssystem, trotz des Rückgangs der Gesamtzahl ausreisepflichtiger Ausländer Ende 2024. Dieser Rückgang wird maßgeblich auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, insbesondere durch das Chancen-Aufenthaltsgesetz, und weniger auf eine signifikante Steigerung der Abschiebungen zurückgeführt. Die Bundesregierung erkennt die Dysfunktionalität des Dublin-Systems an und arbeitet an einem kohärenten Ansatz zur Verbesserung der Rückführungskooperation mit Herkunftsstaaten.

2. Zentrale Daten und Statistiken (1. Halbjahr 2025)

  • Ausreisepflichtige Personen: Zum 30. Juni 2025 befanden sich 226.506 vollziehbar ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Davon waren 184.988 geduldet und bei 147.264 war ein abgelehnter Asylantrag gespeichert.
  • Abschiebungen: Im ersten Halbjahr 2025 wurden bundesweit 11.807 Abschiebungen vollzogen. Davon entfielen 7.663 auf Rückführungen in die Herkunftsstaaten und 3.109 auf Dublin-Überstellungen.
  • Monatliche Aufschlüsselung:Januar: 1.733
  • Februar: 2.141
  • März: 2.277
  • April: 1.985
  • Mai: 1.995
  • Juni: 1.676
  • Verteilung nach Bundesländern: Nordrhein-Westfalen (2.494), Baden-Württemberg (1.816) und Bayern (1.788) führten die meisten Abschiebungen durch.
  • Charterflüge: 129 Charterflüge wurden durchgeführt, mit denen 4.074 Personen abgeschoben wurden. Die Zielländer umfassten unter anderem die Türkei, Georgien, Syrien und Afghanistan.
  • Durchschnittliche Aufenthaltsdauer: Abgeschobene Personen hatten sich durchschnittlich etwa zwei Jahre und drei Monate in Deutschland aufgehalten, bevor sie abgeschoben wurden.
  • Freiwillige Ausreisen: 17.293 Personen reisten im ersten Halbjahr 2025 freiwillig aus. Die häufigsten Nationalitäten waren die Türkei (4.163), Syrien (1.533) und Albanien (973).
  • Rückkehrförderung: 7.609 Ausreise- und Reintegrationsförderungen (Länder-, Kommunal- und Bundesmittel) wurden erfasst. Über das Bund-Länder-Programm REAG/GARP reisten 7.344 Personen freiwillig aus, darunter 3.602 mit Aufenthaltsgestattung und 1.778 mit Duldung.
  • Gescheiterte Abschiebungen: Es gab 16.918 gescheiterte Abschiebungen vor Übergabe an die Bundespolizei und 675 während/nach Übernahme durch die Bundespolizei. Dies steht im starken Kontrast zu den 20.084 erfolgreichen Abschiebungen im gesamten Jahr 2024.
  • Häufigste Gründe für Scheitern: Nicht erfolgte Zuführung (11.248), Stornierung des Ersuchens (5.430), passivem Widerstand (116) und Weigerung der Beförderung durch Luftverkehrsgesellschaften (207).

3. Hauptthemen und Herausforderungen

  • Chancen-Aufenthaltsgesetz: Das Ende 2022 in Kraft getretene Chancen-Aufenthaltsgesetz (BGBl. I S. 2307) führte dazu, dass 2024 etwa 16.003 zuvor Ausreisepflichtige eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG erhielten. Bis zum 30. Juni 2025 erhielten insgesamt 63.343 Personen eine solche Erlaubnis, weitere 11.155 Personen wechselten zu § 25a oder § 25b AufenthG. Gleichzeitig fielen 7.303 Personen (davon 4.060 im 1. Halbjahr 2025) nach einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c AufenthG wieder in den Status der Duldung zurück. Dies deutet darauf hin, dass die Reduzierung der Ausreisepflichtigen weniger auf effektiven Abschiebungen als auf Statuswechseln beruht.
  • Dysfunktionalität des Dublin-Systems: Die Bundesregierung sieht weiterhin eine „Dysfunktionalität des Dublin-Systems“ als maßgebliche Ursache für Probleme bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht. Über 40.000 Asylverfahren gingen allein 2024 auf Deutschland über, weil Überstellungen in zuständige Mitgliedstaaten nicht erfolgten. Im ersten Halbjahr 2025 gelangten lediglich 3.109 Überstellungen, obwohl andere Mitgliedstaaten 14.294 zustimmten. Insbesondere Italien und Griechenland gelten als „besonders unkooperativ“, mit nur 0 bzw. 20 Überstellungen an diese Länder im ersten Halbjahr 2025. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch Abschiebungen von nicht-vulnerablen, bereits als schutzberechtigt anerkannten Asylbewerbern dorthin für rechtlich zulässig erklärt.
  • Kirchenasyl: Die Zahl der Kirchenasylfälle stieg 2024 auf 2.386 und betrug im ersten Halbjahr 2025 bereits 1.433. Die Fragesteller kritisieren, dass Kirchen gezielt den Vollzug geltenden Rechts sabotieren, indem sie Asylbewerbern Unterschlupf gewähren, bis die Überstellungsfristen ablaufen und die Zuständigkeit auf Deutschland übergeht. Das BAMF verzeichnete 1.354 Fälle im ersten Halbjahr 2025, in denen die Überstellungsfrist im Kirchenasyl abgelaufen war. Die Bundesregierung plant aktuell keine Überarbeitung der Vereinbarung mit den Kirchen.
  • Mangelnde Kooperation der Herkunftsstaaten: Viele Herkunftsstaaten verweigern oder erschweren die Rücknahme ihrer Staatsbürger. Beispiele sind Nigeria und Somalia, die neun Monate Zeit für die Passbeschaffung oder eine Freiwilligkeitserklärung verlangen. Die Bundesregierung will dem mit einem „kohärenten Ansatz“ begegnen, der Visavergabe, Entwicklungszusammenarbeit sowie Wirtschafts- und Handelsbeziehungen als Instrumente nutzt. Bisher wurde der „Visahebel“ (Art. 25a Visakodex) nur gegenüber Gambia und Äthiopien eingesetzt. Die Kooperationsbereitschaft Äthiopiens hat sich positiv entwickelt, was Sammelcharterflüge ermöglicht. Im ersten Halbjahr 2025 wurden 31 äthiopische Staatsangehörige per Charterflug abgeschoben.
  • „Anti-Abschiebeindustrie“ und Informationslecks: Ausländerbehörden stehen vor Hürden, da Ausreisepflichtige oft „Schlupflöcher“ nutzen. Linke Internetseiten wie „Abschiebealarm“ informieren Asylbewerber über bevorstehende Chartertermine, was zu einem „Untertauchen“ führen kann. Die Bundesregierung und einzelne Bundesländer fordern verschärfte Maßnahmen, wie die Strafbarkeit der Vorabinformation und den Ausschluss staatlicher Förderung für Organisationen, die solche Informationen verbreiten. Eine rechtliche Handhabe gegen Betreiber solcher Webseiten hängt vom Einzelfall ab.
  • Interne Organisationsdefizite und Verfahrensdauer: Behörden müssen vor der zwangsweisen Passbeschaffung alle Verfahren und eine mehrmonatige Frist zur Selbstbeschaffung abwarten. Die „schiere Zahl der Fälle“ durch „illegale Migration“ und hohe Ablehnungsquoten bei Asylanträgen überfordert personell oft unzureichend ausgestattete Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte. Dies führt zu längeren Verfahren und erschwert zeitnahe Rückführungen. Die geplante sechsmonatige Verfahrensdauer im neuen GEAS wird von Praktikern als unrealistisch angesehen, stattdessen werden bis zu zwei Jahre befürchtet. Die durchschnittliche Dauer eines Gerichtsverfahrens gegen eine Ablehnung betrug im Zeitraum Januar bis Mai 2025 15,1 Monate, mit einer Erfolgsquote von 6,5 Prozent.
  • Identitätsklärung: Für etwa 64 Prozent der im ersten Halbjahr 2025 negativ beschiedenen Asylerstantragstellenden ab 18 Jahren lagen keine Identitätspapiere vor. Zum 30. Juni 2025 hatten 16.429 Personen eine Duldung mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG), wobei Indien, ungeklärte Nationalität, Nigeria, Türkei und Iran die häufigsten Herkunftsländer waren. Die Bundesregierung prüft aktuell nicht, die Regelung zur Passersatzbeschaffung zu ändern.
  • Wiedereinreisen: Im ersten Halbjahr 2025 reisten 1.245 Personen nach einer Dublin-Überstellung erneut ein, 94 Personen nach einer geförderten freiwilligen Ausreise, und 3.493 Personen trotz geltender Wiedereinreisesperre. Ein erheblicher Teil dieser Wiedereingereisten stellte erneut Asylanträge (896 nach Dublin-Überstellung, 44 nach geförderter Ausreise, 976 trotz Wiedereinreisesperre).

4. Ergriffene und geplante Maßnahmen der Bundesregierung

  • Rückführungsoffensive: Der Koalitionsvertrag sieht eine Rückführungsoffensive vor, die den verstärkten Abschluss von Migrations- und Rückführungsabkommen umfasst.
  • Migrationsabkommen: Umfassende Migrationsabkommen wurden mit Indien, Georgien, Usbekistan und Kenia beschlossen. Das deutsch-usbekische Migrations- und Mobilitätspartnerschaftsabkommen trat am 5. März 2025 in Kraft und regelt die Anerkennung des „Europäischen Reisedokuments für die Rückkehr“.
  • Rechtsänderungen: Eine Formulierungshilfe zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten und zur Abschaffung des anwaltlichen Vertreters bei Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam wurde beschlossen und soll im November 2025 in Kraft treten.
  • Abschiebungen nach Afghanistan: Am 18. Juli 2025 unterstützte die Bundesregierung die Länder bei der Abschiebung von 81 afghanischen Staatsangehörigen, die straffällig geworden waren. Weitere Möglichkeiten für Abschiebungen nach Afghanistan werden geprüft. Für Syrien werden weitere Maßnahmen geprüft.
  • Zentrale Ausreisezentren: Die Bundesregierung prüft gemeinsam mit den Ländern die Einrichtung von bundesbetriebenen Bundesausreisezentren.
  • Kooperation mit Herkunftsstaaten: Der „kohärente Ansatz“ zur Verbesserung der Kooperation der Herkunftsstaaten wird umgesetzt, indem Visavergabe, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschafts- und Handelsbeziehungen als Instrumente genutzt werden. Die Europäische Kommission schlägt vor, Zollpräferenzen vorübergehend zurückzunehmen, wenn schwerwiegende Mängel bei der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger festgestellt werden.
  • GEAS-Implementierung: Der Nationale Implementierungsplan (NIP) zur Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde am 20. Dezember 2024 veröffentlicht. Die Bundesregierung prüft zudem eine Rückkehrberatung im Grenzverfahren.
  • Dublin-Task-Force: Die Ergebnisse der Dublin-Task-Force von Bund und Ländern werden derzeit in einem Bericht finalisiert.

5. Fazit und Ausblick

Die Bundesregierung steht weiterhin vor erheblichen Herausforderungen bei der effektiven Durchsetzung der Ausreisepflicht. Obwohl die Zahl der Ausreisepflichtigen Ende 2024 leicht sank, ist dies primär auf Statuswechsel und weniger auf eine Steigerung der Abschiebungen zurückzuführen. Das Dublin-System bleibt dysfunktional, die Kooperation einiger Herkunftsstaaten ist mangelhaft, und Phänomene wie Kirchenasyl und die „Anti-Abschiebeindustrie“ erschweren den Vollzug.

Die ergriffenen Maßnahmen, wie der Abschluss von Migrationsabkommen und die Prüfung von Rechtsänderungen und zentralen Ausreisezentren, zeigen den Willen der Regierung, die Rückführungspraxis zu verbessern. Der Erfolg dieser Maßnahmen wird jedoch stark von der nationalen Umsetzung und der internationalen Kooperation abhängen. Die langen Verfahrensdauern und die hohe Zahl ungeklärter Identitäten bleiben zentrale Problemfelder, die eine umfassende Lösung erfordern. Die Evaluierung des Rückführungsverbesserungsgesetzes in drei Jahren soll weitere Erkenntnisse liefern.


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