In der öffentlichen Debatte um die sogenannten „Afghanen-Flüge“ kursieren derzeit zahlreiche Fehlinformationen und emotionale Zuschreibungen. Dabei wird häufig übersehen, dass die Aufnahme afghanischer Staatsangehöriger nicht willkürlich oder rechtsfrei erfolgt, sondern auf einer klaren gesetzlichen und verfassungsrechtlich legitimierten Grundlage beruht.
Die rechtliche Basis dieser humanitären Aufnahmen bildet die Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 19. Dezember 2022, gestützt auf § 23 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit § 24 Aufenthaltsgesetz. Sie sieht eine gezielte, kontingentierte Aufnahme besonders gefährdeter Afghaninnen und Afghanen vor – etwa solcher, die sich durch ihr Engagement für Menschenrechte exponiert haben oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts oder ihrer religiösen Zugehörigkeit Verfolgung ausgesetzt sind.
Diese Maßnahme ist nicht nur ein Ausdruck humanitärer Verantwortung, sondern auch Bestandteil der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Sie ist das Ergebnis sorgfältiger Abstimmungen zwischen Bund und Ländern und unterliegt strengen Auswahl- und Sicherheitsprüfungen.
Die Diskussion um diese Flüge sollte deshalb sachlich geführt werden – auf der Grundlage rechtlicher Fakten und im Bewusstsein der deutschen Verantwortung gegenüber Menschen, die aufgrund ihrer Nähe zu westlichen Werten nun konkret bedroht sind. Es handelt sich nicht um eine „unkontrollierte Zuwanderung“, sondern um ein geordnetes, staatlich legitimiertes Verfahren zur Rettung besonders schutzbedürftiger Personen.
Die „Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat“ vom 19. Dezember 2022 regelt die Aufnahme von besonders gefährdeten afghanischen Staatsangehörigen nach § 23 Abs. 2 und 3 i. V. m. § 24 Aufenthaltsgesetz. Ziel ist es, unter humanitären Gesichtspunkten Afghaninnen und Afghanen Schutz in Deutschland zu bieten, die aufgrund ihres Engagements oder ihrer Identität besonderen Gefahren in Afghanistan ausgesetzt sind.
Zentrale Inhalte der Anordnung
1. Kontingentierte Aufnahme besonders gefährdeter Personen
- Monatlich sollen bis zu 1 000 Afghaninnen und Afghanen sowie ihre berechtigten Familienangehörigen aufgenommen werden.
- Die Kontingente sind übertragbar auf Folgemonate, falls sie nicht ausgeschöpft werden.
- Aufnahmeberechtigt sind insbesondere:
- Personen mit exponierter Tätigkeit in Bereichen wie Menschenrechte, Justiz, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft,
- sowie Menschen, die aufgrund Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion oder anderer besonderer Merkmale spezifischer Verfolgung ausgesetzt sind.
2. Einbeziehung der Kern- und erweiterten Familie
- Zur Kernfamilie zählen Ehepartner und minderjährige, ledige Kinder.
- Auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner und weitere Angehörige können berücksichtigt werden, wenn besondere Abhängigkeiten oder Bedrohungslagen bestehen.
3. Kriterien der Auswahl
Die Auswahl erfolgt anhand folgender Hauptkriterien:
- Vulnerabilität (z. B. LSBTI+, medizinische Bedarfe),
- Deutschlandbezug (z. B. Sprachkenntnisse, Voraufenthalte, Bindungen zu deutschen Organisationen),
- persönliche Exponiertheit,
- politisches Interesse Deutschlands an der Aufnahme der betroffenen Person.
4. Verfahren der Antragstellung
- Vorschläge zur Aufnahme erfolgen ausschließlich durch meldeberechtigte Stellen, darunter:
- zivilgesellschaftliche Organisationen mit Afghanistan-Bezug,
- Bundesministerien oder das Auswärtige Amt.
- Die Eingabe erfolgt über eine gesicherte IT-Anwendung.
5. Sicherheitsprüfung
- Vor der Aufnahme werden Identität und sicherheitsrelevante Aspekte durch deutsche Sicherheitsbehörden geprüft.
- Ausschlussgründe sind unter anderem:
- frühere schwere Straftaten,
- Verbindung zu kriminellen oder terroristischen Gruppen,
- extremistische Bestrebungen,
- Falschangaben oder Verfahrensverweigerung.
6. Rechtsstellung und Aufenthalt
- Es wird eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG gewährt.
- Verlängerung und Möglichkeit auf Daueraufenthalt sind geregelt (§ 8, § 9a, § 26 Abs. 4 AufenthG).
- Wohnsitzregelungen sowie Zuweisungen folgen dem Königsteiner Schlüssel, Ausnahmen bei Bereitschaft zur überproportionalen Aufnahme.
7. Unterbringung und Verteilung
- Zentrale Erstaufnahme für bis zu 14 Tage ist vorgesehen.
- Sollte das nicht möglich sein (z. B. pandemiebedingt), übernehmen Länder direkt die Aufnahme nach Einreise.
Kritische Einordnung
Diese Anordnung stellt einen wichtigen humanitären Schritt dar, insbesondere im Hinblick auf die deutsche Mitverantwortung für die Lage in Afghanistan seit dem Truppenabzug. Die Begrenzung auf monatlich 1 000 Personen ist allerdings angesichts der prekären Lage vieler Afghaninnen und Afghanen kritisch zu betrachten. Angesichts von Millionen Gefährdeter erscheint das Kontingent gering.
Positiv hervorzuheben ist die enge Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie die Berücksichtigung von LSBTI+ und religiösen Minderheiten. Die Kriterien sind umfassend und detailliert formuliert. Problematisch bleibt jedoch die Abhängigkeit vom Zugang zum System über meldeberechtigte Stellen, was eine Hürde für Betroffene ohne entsprechende Kontakte darstellen kann.
Auch die Sicherheitsklauseln sind verständlich, aber sie bergen das Risiko, dass selbst geringfügige Verdachtsmomente zu einem Ausschluss führen könnten – hier fehlt es an einem klaren Maß für Verhältnismäßigkeit.