Während die öffentliche Aufmerksamkeit in Europa sich auf die Eskalationen in der Ukraine, den Taiwan-Konflikt oder die instabile Lage im Nahen Osten richtet, führt die Supermacht USA einen kaum beachteten Luftkrieg am Horn von Afrika. Über 50 Luftschläge allein im laufenden Jahr 2025 – Stand Mitte Juli – dokumentieren die wachsende militärische Präsenz Washingtons in Somalia. Es ist eine Intervention ohne klare politische Debatte, ohne greifbare Exit-Strategie, aber mit beträchtlichen geopolitischen Implikationen.
Der Gegner, so die offizielle Lesart des US Africa Command (AFRICOM), ist das radikalislamische Netzwerk al-Shabaab sowie die kleinere, aber nicht minder brutale Fraktion ISIS-Somalia. Beide Gruppen haben sich in den letzten Jahren trotz aller internationalen Bemühungen in unzugänglichen Landesteilen verschanzt und kontrollieren teilweise ganze Regionen – insbesondere im Süden und Nordosten. Die jüngsten US-Angriffe konzentrieren sich auf die Cal-Miskaad-Berge in Puntland, wo sich ISIS-Stellungen befinden. Parallel dazu greifen US-Drohnen al-Shabaab-Ziele in Jubaland und der Zentralregion Hiiraan an.
Ziel dieser militärischen Operationen sei laut Pentagon die Schwächung terroristischer Strukturen, die nicht nur die fragile somalische Regierung destabilisieren, sondern langfristig auch den Westen bedrohen könnten. Der Treueschwur al-Shabaabs auf al-Qaida (2012) und die Anschläge auf kenianische und ugandische Zivilisten gelten Washington als hinreichende Begründung für ein robustes Eingreifen – vor allem unter Präsident Trump, der seit seinem erneuten Amtsantritt im Januar 2025 deutlich auf offensive Antiterrormaßnahmen setzt.
Doch genau hier beginnt die strategische Ambivalenz. Denn die Vereinigten Staaten greifen militärisch massiv ein, ohne dass eine kohärente politische Agenda erkennbar wäre. Zwar unterstützt man den Aufbau der Danab-Spezialkräfte, liefert Ausrüstung und ist beratend präsent – doch die Legitimität der Regierung in Mogadischu bleibt brüchig, Korruption grassiert, und mit dem geplanten Rückzug der Afrikanischen Unionstruppen bis Ende 2024 droht ein gefährliches Machtvakuum.
Noch bedenklicher ist die schleichende Erosion der Transparenz. Seit Monaten veröffentlicht AFRICOM keine konkreten Opferzahlen mehr. Ob Zivilisten getroffen werden, bleibt im Dunkeln. Menschenrechtsorganisationen warnen vor zunehmender Intransparenz und kritisieren eine Rückkehr zur „drone war“-Logik der frühen 2010er Jahre – nur diesmal unter einem deutlich medienabgewandteren Deckmantel. Tatsächlich berichtet kaum ein deutsches Leitmedium regelmäßig über die Eskalation. Die Informationen stammen zumeist aus US-Militärverlautbarungen, somalischen Regionalportalen und internationalen Nischendiensten.
Dabei verdient der Konflikt dringend mehr Aufmerksamkeit. Denn Somalia ist kein isoliertes Krisengebiet, sondern ein neuralgischer Punkt globaler Sicherheitsarchitektur: Die Seewege vor seiner Küste gehören zu den meistbefahrenen der Welt. Ein Zusammenbruch staatlicher Strukturen würde nicht nur neue Pirateriewellen, sondern auch Flüchtlingsbewegungen, Drogen- und Waffenhandel in einer der fragilsten Weltregionen auslösen. Zudem bieten Machtvakuum und Frustration Nährboden für neue Rekrutierungswellen islamistischer Netzwerke – mit potenziellen Rückwirkungen bis nach Europa.
Aus deutscher Perspektive stellt sich damit die Frage, ob unsere Außenpolitik zu einseitig auf akut sichtbare Konflikte fokussiert ist und dabei jene Räume übersieht, in denen westliches Versagen langfristige Krisen gebiert. Der Fall Somalia mahnt zur Ehrlichkeit: Militärische Luftschläge mögen taktisch wirken – strategisch jedoch bleibt der Westen eine Antwort auf die Kernfrage schuldig, wie aus zerfallenden Staaten wieder funktionierende Ordnungen entstehen sollen. Die Hoffnung, dass Terrorismus sich aus der Luft besiegen lasse, hat sich in Afghanistan bereits als Illusion erwiesen. Somalia droht, das nächste Beispiel zu werden.
Fazit:
Der Luftkrieg der USA in Somalia ist real, intensiv und folgenreich – und doch findet er fast vollständig im medialen Abseits statt. Es braucht dringend eine breitere Debatte über die Legitimität, Effektivität und politischen Ziele westlicher Interventionen in fragilen Staaten. Wer Somalia ignoriert, wird übermorgen dessen Folgen nicht ignorieren können.