Von Redaktionen oft übersehen, in politischen Kulissen jedoch allgegenwärtig: Die Angst ist nicht nur ein soziales Gefühl, sondern ein machtpolitisches Instrument. Wer sie zu lenken versteht, kann Zustimmung sichern, Opposition diskreditieren und institutionelle Macht ausbauen – ganz ohne Gewalt, rein durch Narration.
In der Geschichte der politischen Herrschaft nimmt Angst eine zentrale Rolle ein. Bereits Niccolò Machiavelli empfahl dem Fürsten, eher gefürchtet als geliebt zu werden – sofern die Furcht dosiert, kalkulierbar und nicht in Hass umschlägt. In der Neuzeit wurde Angst zum Legitimationsinstrument umfassender Staatsgewalt: Der Philosoph Thomas Hobbes rechtfertigte den „Leviathan“ als notwendigen Souverän, um die Angst vor dem „Krieg aller gegen alle“ zu bannen. Die moderne Sicherheits- und Krisenpolitik hat diese Logik internalisiert – allerdings unter demokratischem Vorzeichen.
Die Ökonomie der Furcht
Die politischen Mechanismen, mit denen Angst zur Machterhaltung instrumentalisiert wird, sind vielfältig:
Zunächst geschieht eine Konstruktion von Bedrohung, oft unter Rückgriff auf wissenschaftlich nicht vollständig abgesicherte Szenarien. So wird ein Sachverhalt – etwa Migration, Klima, Krieg oder Pandemie – nicht bloß als Herausforderung dargestellt, sondern als existentielle Gefahr („Kollaps“, „Systemversagen“, „Dritter Weltkrieg“). Dieses „Framing“ erzeugt einen Legitimitätsschub für jene Kräfte, die sich als Retter, Hüter oder Präventionsträger in Szene setzen.
Daran anschließend erfolgt eine Ausnahmelogik: Ist die Krise erst einmal als alternativlos anerkannt, wird der politische Diskurs verkürzt. Widerspruch gilt als verantwortungslos oder sogar gefährlich. Das ermöglicht Maßnahmen, die in normalen Zeiten nicht mehrheitsfähig wären – Lockdowns, Generalmobilmachung, Grenzschließungen, Verbotsregime oder exekutive Sondervollmachten. Aus der freiheitlichen Gesellschaft wird, schleichend oder schlagartig, ein Interventionsstaat im Namen der Sicherheit.
Von der Gefahr zur Ressource
Angst wird unter diesen Vorzeichen zur politischen Ressource.
• Für Regierungen bedeutet sie Zustimmung ohne Debatte.
• Für Medien ist sie Klickgarant und Aufmerksamkeitsanker.
• Für Behörden und Institutionen erlaubt sie Budgetausweitungen und neue Kompetenzen – siehe Verteidigung, Gesundheit, Klima.
• Für Wirtschaftsakteure entstehen neue Märkte: für Sicherheitstechnologien, Versicherungen, „krisenfeste“ Produkte.
Diese Koalition aus politischer Macht, medialer Dramaturgie und wirtschaftlichem Interesse kann zu einem regelrechten Krisenkomplex anwachsen – ein System, das sich durch die dauerhafte Erzeugung von Bedrohung selbst legitimiert und reproduziert.
Demokratie in der Alarmzone
Dabei ist der Schaden weniger unmittelbar als strukturell. Eine Gesellschaft, die sich dauerhaft im Modus der Angst befindet, verliert nicht nur ihre Debattenkultur, sondern auch ihre geistige Souveränität. Politische Gegner werden nicht mehr als legitime Konkurrenten wahrgenommen, sondern als Gefahrenträger – ob in Form der „Verharmloser“, „Klimaleugner“, „Querdenker“, „Putinversteher“ oder „Systemfeinde“. Die öffentliche Sprache verroht, das Vertrauen in Institutionen erodiert, das Feld der rationalen Argumentation schrumpft.
In diesem Klima fällt es schwer, langfristige Politik zu machen. Angst verhindert Prioritätensetzung, sie bevorzugt Aktionismus statt Prinzipientreue, Zentralismus statt Subsidiarität, Paternalismus statt Mündigkeit.
Eine liberalkonservative Antwort
Eine marktwirtschaftlich und bürgerlich verankerte Ordnung sollte daher auf folgende Maximen bestehen:
- Verhältnismäßigkeit – Kein Gesetz, kein Eingriff, keine Steuer darf mit einem diffusen Bedrohungsempfinden begründet werden, ohne dass eine faktenbasierte Risikoanalyse vorliegt.
- Sunset-Klauseln – Jede Notstandsmaßnahme muss befristet und überprüfbar sein. Macht auf Zeit verhindert ihre Entgrenzung.
- Pluralismus der Deutung – Kein Narrativ, kein „Expertenrat“ darf Deutungshoheit beanspruchen. Die Demokratie lebt vom Wettbewerb der Erklärungen.
- Vertrauen in Freiheit – Gerade in der Krise zeigt sich, ob ein Staat seinen Bürgern zutraut, eigenverantwortlich zu handeln, oder ob er sie zu ängstlichen Objekten degradiert.
Fazit
Angst ist ein wirksames Mittel zur Machterhaltung – aber kein nachhaltiges. Wo sie zur Strategie wird, degeneriert Politik zur Psychologie, Führung zur Bevormundung. Eine Republik der Freien und Gleichen darf sich nicht dauerhaft von der Angst leiten lassen. Sie braucht Mut zur Mündigkeit, Augenmaß in der Krise und das Vertrauen in eine Gesellschaft, die mehr ist als eine Herde zu beschützender Untertanen. Nur so bleibt Demokratie wehrhaft – nicht gegen äußere Feinde allein, sondern auch gegen die Versuchung ihrer inneren Erosion.