Annalena Baerbock übernimmt Präsidentschaft der UN-Generalversammlung – ein Meilenstein für Deutschland und den Multilateralismus

Die deutsche Ex-Außenministerin Annalena Baerbock ist zur Präsidentin der 79. Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen gewählt worden. Mit dieser Wahl übernimmt sie eine der wichtigsten Ämter im multilateralen Gefüge der Weltpolitik – und setzt zugleich ein historisches Zeichen: Baerbock ist erst die fünfte Frau in der Geschichte der UN, die diese Funktion ausübt.

Ein symbolträchtiger Moment für Deutschland

Für Deutschland ist diese Wahl ein diplomatischer Meilenstein. Noch nie zuvor stand eine deutsche Politikerin an der Spitze der UN-Generalversammlung, einem Gremium, in dem 193 Mitgliedsstaaten gleichberechtigt über globale Herausforderungen debattieren. Baerbocks Ernennung unterstreicht das gewachsene internationale Vertrauen in Deutschlands Rolle als Vermittlerin, als Verfechterin internationaler Ordnung und als Stimme des Multilateralismus in einer zunehmend fragmentierten Welt.

Die Präsidentin der Generalversammlung wird jeweils für ein Jahr gewählt. Ihre Aufgabe ist es nicht, exekutive Macht auszuüben, sondern Debatten zu organisieren, politische Prozesse anzustoßen und Kompromisse zwischen unterschiedlichsten Interessen zu vermitteln. Es ist ein Amt mit begrenzter Durchsetzungskraft, aber mit enormem diplomatischem Gewicht.

Ziele und Schwerpunkte: Eine UN „fit für die Zukunft“

In ihrem Antrittsinterview mit der Deutschen Welle zeichnete Baerbock ein klares Bild dessen, was sie in ihrer Amtszeit erreichen will: Die Vereinten Nationen sollen „fit für die Zukunft“ gemacht werden. Angesichts wachsender politischer Spannungen, multipler Krisen – vom Krieg in der Ukraine über die Lage in Nahost bis hin zu den globalen Herausforderungen durch den Klimawandel – sei es zentral, die Effizienz, Relevanz und Handlungsfähigkeit der UN zu stärken.

Besonders hervor hob Baerbock drei Hauptthemen ihrer Agenda:

  1. Selbstreflexion und Neuausrichtung zum 80. Jubiläum der UN (2025):
    Baerbock sieht das anstehende Gründungsjubiläum nicht als Anlass für Selbstbeweihräucherung, sondern für kritische Selbstprüfung. Die UN müssten sich fragen lassen, wo sie heute konkret wirken – und wo sie sich reformieren müssen, um ihren Auftrag für Frieden, Sicherheit und Menschenrechte auch im 21. Jahrhundert glaubwürdig zu erfüllen.
  2. Strukturelle Reform und Effizienzsteigerung („UN80-Prozess“):
    Aufbauend auf Reformvorschlägen von UN-Generalsekretär António Guterres will Baerbock die Arbeit der UN verschlanken und koordinieren. Besonders betonte sie die Doppelstrukturen etwa im Migrationsbereich – mit verschiedenen UN-Institutionen, die häufig unkoordiniert agierten. Baerbock fordert, solche Überschneidungen aufzulösen, digitale Werkzeuge besser zu nutzen und klare Redezeitbegrenzungen einzuführen – nicht aus Sparzwängen, sondern zur Erhöhung der Wirksamkeit.
  3. Vorbereitung der Wahl eines neuen UN-Generalsekretärs:
    In ihrer Amtszeit beginnt der Prozess zur Auswahl des nächsten Generalsekretärs. Baerbock betonte, dass der Ruf nach einer Frau an der Spitze der UN lauter denn je sei – getragen von vielen Mitgliedsstaaten. Auch wenn sie als Präsidentin nicht selbst über die Wahl entscheidet, will sie dafür sorgen, dass das Verfahren transparent, inklusiv und offen für weibliche Kandidaturen gestaltet wird.

Ein neues Rollenverständnis: Von der deutschen Außenministerin zur globalen Moderatorin

Im Gespräch mit der DW machte Baerbock deutlich, dass sie sich nun nicht mehr als Vertreterin Deutschlands, sondern der Weltgemeinschaft versteht. Die „UN-Hellblaue“ ersetzt das nationale „Schwarz-Rot-Gold“ – ein Rollenwechsel, den sie mit Überzeugung vollzieht. Dennoch bringt sie das diplomatische Netzwerk und die außenpolitische Erfahrung ihrer Amtszeit in Berlin mit. Dass sie in ihrer früheren Funktion für eine klare Haltung zu Menschenrechtsverletzungen – etwa in Russland oder im Iran – bekannt war, sieht sie nicht als Bürde, sondern als Vertrauensvorschuss.

„Man weiß, wer ich bin“, sagt Baerbock. Viele Delegierte kennen sie persönlich, insbesondere aus kleineren Staaten, mit denen sie etwa in der Klimapolitik oder Entwicklungszusammenarbeit eng kooperierte. Das sei ein Vorteil in einem Amt, das vor allem auf Vermittlung, Vertrauen und Verlässlichkeit setze.

Der Reformstau im Sicherheitsrat – und die Rolle der Generalversammlung

Baerbock nimmt sich auch der großen strukturellen Schwächen der UN an – allen voran dem reformbedürftigen Sicherheitsrat, in dem die fünf Vetomächte (USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien) viele Resolutionen blockieren. Zwar ist die Generalversammlung formal nicht befugt, Vetos aufzuheben, aber sie kann politische Prozesse anstoßen, etwa durch sogenannte „Erklärungspflichten“ im Fall von Vetos. Baerbock kündigte an, solche Initiativen aktiv zu begleiten.

Fazit: Diplomatische Chance in globaler Krisenzeit

Annalena Baerbocks Präsidentschaft fällt in eine Zeit beispielloser globaler Herausforderungen. Von der Klimakrise über Kriege bis zur Erosion des Völkerrechts steht die UN unter enormem Druck. Doch gerade deshalb könnte diese Wahl ein starkes Signal sein – für eine Rückbesinnung auf den Geist der Charta von 1945, für internationale Kooperation und für eine Organisation, die wieder stärker ins Zentrum der Weltpolitik rückt.

Ihre Vision ist ambitioniert, aber nicht blauäugig. Baerbock weiß, dass sie innerhalb eines Jahres keine Revolution anstoßen kann. Aber sie versteht ihr Amt als „Team-Sport“, wie sie sagt – und will mit Pragmatismus, Diplomatie und Zielstrebigkeit daran arbeiten, die UN wieder handlungsfähiger, glaubwürdiger und wirksamer zu machen.

„Das System ist nicht perfekt“, sagt Baerbock. „Aber es ist das Beste, das wir haben.“ Und vielleicht – mit etwas Führung, etwas Mut und einem klaren Kompass – auch das System, das die Welt jetzt dringender denn je braucht.


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