Argentinien im Aufschwung – Doch wem nützt das Wachstum?

Für das Jahr 2025 zeichnet sich in Argentinien ein bemerkenswerter wirtschaftlicher Aufschwung ab. Verschiedene Prognosen internationaler Institutionen und Banken sehen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes um etwa 5,2 bis 5,5 Prozent wachsen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet ein Plus von 5,2 %, ebenso die Analystenumfrage der argentinischen Zentralbank. Einzelne Wirtschaftsforschungsinstitute, darunter BBVA Research, prognostizieren gar 5,5 %. Besonders bemerkenswert: Im ersten Quartal 2025 wuchs das BIP im Jahresvergleich um 5,8 % – ein Wert, der aktuell in der westlichen Welt seinesgleichen sucht.

Tragende Säulen des Wachstums

Die Ursachen für diesen bemerkenswerten Aufschwung sind klar benennbar. An erster Stelle stehen starke Exportleistungen im Agrarsektor – insbesondere durch Rekordernten in der Soja- und Getreidewirtschaft – sowie eine deutliche Zunahme im Bergbau, etwa bei Lithium und Kupfer. Diese Rohstoffe, zentral für die globale Energiewende, lassen Argentinien als Rohstoffstandort wieder in den Fokus internationaler Investoren rücken.

Flankiert werden diese Exporte durch einen spürbaren Anstieg privater Investitionen und einer zunehmenden Konsumbereitschaft in der Bevölkerung, nachdem die Hyperinflation der vergangenen Jahre unter Kontrolle gebracht werden konnte. Unter der Regierung des wirtschaftsliberalen Präsidenten Javier Milei wurde eine rigide Stabilitätspolitik implementiert, die – trotz massiver sozialer Härten – fiskalische Konsolidierung und eine monetäre Normalisierung vorangetrieben hat. Die Inflation, die 2023 noch dreistellig war, sank laut offiziellen Angaben auf unter 40 % im Jahresvergleich – ein erheblicher Fortschritt, der auch das Vertrauen der Märkte stärkte.

Investorenfreundliche Reformen – und ihre Schattenseiten

Die wirtschaftlichen Reformen Mileis folgen einer eindeutig marktradikalen Handschrift: Abbau von Subventionen, Deregulierung von Arbeitsmärkten, Haushaltskürzungen und die Privatisierung staatlicher Unternehmen. Diese Maßnahmen zielen auf eine Rückgewinnung der Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsattraktivität ab, die unter früheren linksgerichteten Regierungen verloren gegangen war. Der argentinische Peso wurde faktisch freigegeben, was anfänglich zu einer starken Abwertung führte, nun aber zur Rückkehr ausländischen Kapitals beiträgt.

Doch diese neoliberale Schocktherapie hat ihren Preis. Die sozialen Verwerfungen sind eklatant. Zwar stabilisiert sich die makroökonomische Lage, doch mehr als 40 % der Bevölkerung leben weiterhin in Armut. Besonders in den urbanen Randzonen, unter Kindern und in prekären Arbeitsverhältnissen ist die wirtschaftliche Erholung bislang kaum spürbar. Auch der informelle Sektor bleibt hoch – eine strukturelle Schwäche des Landes, die durch kurzfristiges Wachstum kaum zu beheben ist.

Ein gespaltenes Land zwischen Optimismus und Existenzsorgen

Argentinien erlebt 2025 ein ökonomisches Paradox: Nie war das Wachstum seit Jahren so hoch, gleichzeitig bleiben die sozialen Verwerfungen tiefgreifend. Die Maßnahmen Mileis zeigen Wirkung – für Investoren, Unternehmen und den Exportsektor. Doch weite Teile der Bevölkerung, insbesondere im unteren Einkommensdrittel, profitieren bislang kaum vom Aufschwung.

Die Frage, wem dieses Wachstum dient, bleibt zentral. Ist es der Auftakt zu einer langfristigen wirtschaftlichen Gesundung? Oder lediglich eine Atempause im zyklischen Auf und Ab eines Landes, das seit Jahrzehnten zwischen populistischer Misswirtschaft und neoliberalen Experimenten schwankt?

Fazit: Argentiniens Wirtschaft wächst, schneller als viele erwartet hatten – getragen von günstigen Rohstoffpreisen, fiskalischer Disziplin und einem radikalen Reformkurs. Doch dieses Wachstum ist kein Allheilmittel. Ohne sozialen Ausgleich und strukturelle Reformen im Bildungssystem, in der Korruptionsbekämpfung und in der sozialen Sicherung bleibt es eine ökonomische Potemkinsche Fassade, die jederzeit erneut ins Wanken geraten kann. Ein nachhaltiger Weg in die wirtschaftliche Erholung muss mehr sein als makroökonomisches Zahlenwerk – er muss auch den Menschen dienen.


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