Die Hauptstadt steht vor einem Dilemma: Während die Wohnungsnot für Berlinerinnen und Berliner anhält, plant die Landesregierung den Bau eines Containerdorfs für über 1.000 Asylsuchende auf dem geschützten Tempelhofer Feld. Die Entscheidung sorgt für Kontroversen, da ein Gesetz von 2014 Neubauten auf dem historischen Gelände verbietet. Nun wird dieses Gesetz für die Asylunterbringung außer Kraft gesetzt – ein Schritt, der die Spannungen zwischen Asylpolitik und lokalen Bedürfnissen verschärft.
Ein Containerdorf auf historischem Boden
Das geplante Containerdorf auf Tempelhofer Feld, einem ehemaligen Flughafen und Zwangsarbeiterlager, soll laut Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) in der zweiten Hälfte 2028 eröffnet werden und zwischen 1.000 und 1.100 Plätze bieten. Die Begründung: Berlins reguläre Unterkünfte für Asylsuchende sind überlastet. Um die öffentliche Akzeptanz zu sichern, betont die Landesregierung, dass Sport- und Freizeitflächen weitgehend erhalten bleiben. Lediglich kleinere Einrichtungen wie ein Mini-Golfplatz und eine Grillwiese sollen verlegt werden. Historisch sensible Bereiche, die an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern, bleiben laut Planung unberührt.
Die Entscheidung, Tempelhofer Feld zu bebauen, ist jedoch umstritten. Ein Volksentscheid von 2014 schützt das Gelände vor jeglicher Bebauung, um den Freiraum für die Stadtbevölkerung zu erhalten. Während Vorschläge zur Wohnungsbaunutzung für Berlinerinnen und Berliner weiter diskutiert werden – frühestens im September 2025 mit möglichem Volksentscheid –, wird der Asylkomplex unabhängig davon vorangetrieben.
Wohnungsnot vs. Asylpolitik
Die Priorisierung von Asylunterkünften stößt in der Bevölkerung auf Kritik, da Berlin unter einer akuten Wohnungsnot leidet. Schätzungen zufolge fehlen in Deutschland etwa 800.000 Wohnungen, ein Großteil davon in Großstädten wie Berlin. Sozialwohnungen sind für Einheimische oft nur nach jahrelangem Warten verfügbar. Dennoch wurden in der Vergangenheit Projekte wie ein Sozialwohnungskomplex in Spandau mit 128 Wohnungen für 570 Asylsuchende reserviert, was die Debatte über ungleiche Prioritäten anheizt.
„Es ist schwer nachzuvollziehen, warum Asylunterkünfte schneller realisiert werden als Wohnraum für Berlinerinnen und Berliner“, kritisiert ein Sprecher der Initiative „Wohnen für Alle“. Die Landesregierung verweist hingegen auf die gesetzliche Verpflichtung, Asylsuchende unterzubringen, und die angespannte Lage in den Unterkünften.
Finanzielle Belastung für die Stadt
Die Asylpolitik belastet den Berliner Haushalt erheblich. 2023 flossen rund 2,1 Milliarden Euro – etwa fünf Prozent des Stadtbudgets – in asylbezogene Ausgaben. Um die steigenden Kosten zu decken, plant die Landesregierung neue Schulden in Höhe von 1,3 Milliarden Euro für die Haushalte 2026 und 2027. Diese Möglichkeit ergibt sich durch die Lockerung der Schuldenbremse, wie Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) bestätigte.
Besonders kritisch wird der Umgang mit Mietkosten für Asylunterkünfte gesehen. So zahlt das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten in einem Fall 40 Euro pro Quadratmeter für ein Gebäude, das zunächst für 25,80 Euro angeboten wurde. Weitere Beispiele umfassen Verträge über 165 Millionen Euro für die Unterbringung von 1.500 Personen in Kreuzberg, 143 Millionen Euro für 1.200 Personen in Lichtenberg und 118 Millionen Euro für 950 Personen in Westend – jeweils über zehn Jahre.
Büro-Leerstände: Eine verpasste Chance?
Während die Stadt hohe Summen für Asylunterkünfte ausgibt, bleiben andere Lösungen ungenutzt. Experten schätzen, dass bundesweit leerstehende Büroflächen in etwa 152.000 Wohnungen umgewandelt werden könnten. In Berlin behindern jedoch strenge Bauvorschriften, hohe Zinsen und steigende Baukosten solche Projekte. „Die Umnutzung von Büros könnte einen Teil der Wohnungsnot lindern, aber die Hürden sind enorm“, erklärt ein Vertreter der Immobilienwirtschaft.
Ein Balanceakt mit Sprengstoff
Berlins Asylpolitik steht vor einem schwierigen Balanceakt: Einerseits verpflichtet das Grundgesetz die Stadt zur Unterbringung von Asylsuchenden, andererseits wächst der Unmut in der Bevölkerung über die Vernachlässigung lokaler Bedürfnisse. Die Entscheidung, Tempelhofer Feld zu bebauen, könnte diesen Konflikt weiter zuspitzen. Ob die Landesregierung die Bürgerinnen und Bürger durch transparente Kommunikation und langfristige Lösungen für die Wohnungsnot überzeugen kann, bleibt abzuwarten.