BIS Annual Economic Report 2025

24 June 2025

Das Kapitel III des BIS Annual Economic Report 2025 mit dem Titel „The next-generation monetary and financial system“ skizziert eine weitreichende Vision für die Zukunft des Geld- und Finanzwesens. Im Zentrum steht die Tokenisierung als transformative Innovation. Hier die wichtigsten Inhalte und eine kritische Einordnung:

Zusammenfassung der Kernaussagen

1. Tokenisierung als nächste Entwicklungsstufe des Geldsystems
Tokenisierung bezeichnet die Übertragung von Ansprüchen auf reale oder finanzielle Vermögenswerte auf programmierbare Plattformen. Dies verspricht Effizienzgewinne, insbesondere durch die Verschmelzung von Nachrichtenübermittlung, Abgleich und Abwicklung in einer einzigen transaktionsbasierten Operation. Im Zentrum steht dabei die Idee eines „Unified Ledger“, also einer einheitlichen, möglicherweise DLT-basierten Plattform, die Zentralbankreserven, Geschäftsbankengeld und Finanzinstrumente integriert.

2. Drei Prinzipien für ein robustes Geldsystem
Ein tragfähiges System muss laut BIS drei Kriterien erfüllen:

  • Singleness: Alle Formen von Geld müssen zu gleichen Bedingungen akzeptiert und zum Nennwert eingelöst werden können.
  • Elastizität: Geld muss flexibel bereitgestellt werden, um wirtschaftliche Anforderungen zu erfüllen.
  • Integrität: Das System muss gegen Finanzkriminalität resistent sein.

3. Bewertung von Stablecoins und Kryptowährungen
Stablecoins werden im Report einer kritischen Prüfung unterzogen. Trotz ihrer Popularität schneiden sie bei den drei Tests schlecht ab:

  • Sie unterminieren die Singleness, da sie als Haftungen privater Emittenten auftreten und oft nicht zum Nennwert gehandelt werden.
  • Ihre Elastizität ist stark eingeschränkt, da sie vollständig durch Reserven gedeckt sein müssen, was keine kreditbasierte Geldschöpfung erlaubt.
  • Ihre Integrität ist zweifelhaft, da sie anfällig für Geldwäsche und illegale Transaktionen sind – insbesondere bei Nutzung in unregulierten Wallets.

4. Politische Weichenstellungen für ein tokenisiertes Finanzsystem
Die Rolle der Zentralbanken bleibt zentral. Sie sollen:

  • eine Vision definieren,
  • regulatorische Grundlagen schaffen,
  • Plattformen und zentrale Vermögenswerte bereitstellen (z. B. tokenisierte Zentralbankreserven),
  • öffentliche und private Akteure zur Kooperation anregen.

5. Nutzung von Tokenisierung über Geld hinaus
Auch Märkte für Staatsanleihen und Repos könnten durch Tokenisierung effizienter und transparenter gestaltet werden. Smart Contracts ermöglichen z. B. automatische Ausführung von Zahlungs- und Lieferbedingungen. Projekte wie Project Agorá oder Project Promissa zeigen, wie Kooperation über Grenzen hinweg aussehen kann.


Kritische Einordnung

Technologische Euphorie vs. politische Realität
Die Darstellung der Tokenisierung ist zweifellos visionär – sie wird als fast natürliche Weiterentwicklung der Digitalisierung dargestellt. Doch viele der beschriebenen Szenarien (z. B. die flächendeckende Einführung tokenisierter Plattformen für Zentralbankgeld) sind noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entfernt. Rechtliche, technische und geopolitische Hindernisse – etwa Fragen der Datenlokalisierung oder Governance bei international genutzten Plattformen – bleiben weitgehend unterbelichtet.

Stablecoins – zu schlecht bewertet?
Die kategorische Ablehnung von Stablecoins als tragfähiger Bestandteil eines zukünftigen Geldsystems wirkt zu hart. Zwar sind viele der Kritikpunkte berechtigt, etwa in Bezug auf regulatorische Defizite und mangelnde Preisstabilität. Doch es gibt Projekte mit robuster Regulierung und besicherter Emission, die durchaus näher an den geforderten Standards operieren. Zudem zeigen empirische Nutzungszahlen, dass Stablecoins besonders in Schwellenländern reale Nachfrage decken – etwa als Zugang zu US-Dollar-basierten Transaktionen. Hier bliebe zu diskutieren, ob nicht differenzierte Regulierungsansätze zielführender wären als generelle Skepsis.

Tokenisierung ≠ Disruption ohne Nebenwirkungen
Tokenisierung verspricht zwar Effizienz, birgt aber auch neue Risiken. Die Abhängigkeit von digitalen Infrastrukturen, programmierbaren Verträgen und einheitlichen Protokollen schafft systemische Verwundbarkeiten. Cyber-Risiken, Governance-Probleme oder das Scheitern einzelner Plattformen können künftig zu massiven Störungen führen – gerade wenn alles in einem „unified ledger“ gebündelt ist.


Fazit

Der Bericht liefert eine eindrucksvolle Vision für das zukünftige Finanzsystem. Die Betonung auf singulärem Geld, technologischem Fortschritt und integrer Regulierung ist überzeugend. Dennoch bleibt fraglich, wie schnell und in welcher Form diese Vision realisiert werden kann – und ob nicht alternative Wege, wie eine kluge Einbettung regulierter Stablecoins oder die partielle Tokenisierung von Teilmärkten, eine pragmatischere Zwischenlösung bieten. Die Rolle der Zentralbanken als Stabilitätsanker bleibt unbestritten – sie müssen jedoch nicht alles zentral steuern, um Vertrauen zu sichern.


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