Bürgergeld-Aus durch Merz? Zwischen Wahlkampfparolen und Verfassungsrealität

Die Bundestagswahl rückt näher, und schon jetzt zeichnet sich ein zentrales Streitthema ab: das Bürgergeld. Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs das Bürgergeld abzuschaffen und durch eine „Neue Grundsicherung“ zu ersetzen. Doch was steckt hinter diesem Vorstoß, und wie realistisch sind die Pläne der CDU/CSU?

Die CDU/CSU am Pranger: Was stört sie am Bürgergeld?

Die Kritik der Union am Bürgergeld lässt sich auf drei Hauptpunkte herunterbrechen: Es setze Fehlanreize und halte Menschen davon ab, Arbeit aufzunehmen. Die Sanktionsmechanismen seien zu lasch, und die finanzielle Belastung für den Staat sei zu hoch. Kurz gesagt: Das Bürgergeld, so die Union, sei ein Bürokratiemonster, das Arbeitsunwillige belohne und den Steuerzahler belaste.

Die Verfassung als Spielverderber: Wo Reformen an Grenzen stoßen

So weit, so populistisch. Doch die Sache hat einen Haken – oder besser gesagt, mehrere. Da wäre zum einen das Bundesverfassungsgericht. Das hat nämlich klargestellt, dass jedem Menschen in Deutschland ein menschenwürdiges Existenzminimum zusteht. Eine „Neue Grundsicherung“, die dieses Minimum unterschreitet, wäre schlicht verfassungswidrig. Damit stellt sich die Frage, wie viel Spielraum für echte Kürzungen überhaupt bleibt.

Einspar-Märchen und die Realität des Arbeitsmarktes

Die CDU argumentiert, dass die Beschäftigung von 100.000 Bürgergeldempfängern zu Einsparungen von bis zu einer Milliarde Euro führen könnte. Klingt gut? Ist es aber nicht. Diese Rechnung ignoriert, dass viele Empfänger nur für Niedriglohnjobs infrage kommen und weiterhin auf aufstockende Leistungen wie Wohngeld angewiesen wären. Auch die hohe Zahl offener Stellen ist kein stichhaltiges Argument, da viele dieser Stellen Qualifikationen erfordern, die viele Bürgergeldbezieher schlicht nicht mitbringen.

„Totalverweigerer“ – Schreckgespenst oder Randphänomen?

Ein weiteres Lieblingsargument der Union sind die sogenannten „Totalverweigerer“, also Menschen, die sich jeder Arbeit verweigern. Diese Gruppe soll durch härtere Sanktionen zur Arbeitsaufnahme bewegt werden. Doch auch hier trügt der Schein. Tatsächlich wurden nur rund 15.774 Bürgergeldempfänger mit Sanktionen belegt – ein verschwindend geringer Anteil der insgesamt 5,5 Millionen Bezieher. Die Vorstellung, durch die Bestrafung dieser kleinen Gruppe Milliarden einzusparen, ist, gelinde gesagt, realitätsfern.

Weiterbildung statt Verwaltung: Der verpasste Auftrag des Bürgergeldes

Dabei hätte das Bürgergeld ursprünglich einen ganz anderen Schwerpunkt haben sollen: die Förderung von Bildung und Qualifizierung. Das Ziel war, Menschen langfristig in den Arbeitsmarkt zu integrieren, statt sie nur zu verwalten. Doch in der Praxis hakt es gewaltig. Viele Bürgergeldempfänger erleben eine „Verwaltung“, die nachhaltige Bildungsangebote vermissen lässt. Kritiker fordern daher zu Recht eine stärkere Fokussierung auf Weiterbildung – eine Investition, die sich langfristig auszahlen würde, indem sie die Zahl der Sozialleistungsempfänger reduziert.

Das Bundesverfassungsgericht setzt Grenzen: Was wirklich möglich ist

Und dann ist da noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019. Das hat nämlich entschieden, dass Sanktionen nicht über eine Kürzung von 30% des Bürgergeldes hinausgehen dürfen. Das Existenzminimum muss gesichert bleiben. Eine vollständige Streichung der Leistungen für „Totalverweigerer“, wie sie manchen in der Union vorschwebt, ist damit rechtlich ausgeschlossen.

Mehr Schein als Sein?

Die Forderung nach Abschaffung des Bürgergeldes und Einführung einer „Neuen Grundsicherung“ wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die von der CDU/CSU angeführten Einsparpotenziale basieren auf fragwürdigen Annahmen und verkennen die strukturellen Probleme des Arbeitsmarktes. Eine nachhaltige Lösung braucht mehr als markige Sprüche und härtere Sanktionen. Sie braucht eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit und eine konsequente Investition in Qualifikationsmaßnahmen. Ob die „Neue Grundsicherung“ das leisten kann, bleibt abzuwarten. Eines ist jedoch sicher: Die Debatte um die Zukunft des Sozialstaats wird uns noch lange beschäftigen.


Die nächste Bundesregierung steht vor der Herausforderung, zukunftsweisende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu entwickeln. Dabei wird die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Agenda 2010 unvermeidlich sein. Die damaligen Reformen, die darauf abzielten, die Arbeitslosigkeit zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, haben bis heute kontroverse Diskussionen ausgelöst.

Vor dem Hintergrund steigender Langzeitarbeitslosigkeit und dem Fachkräftemangel sind Überlegungen, arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Ein-Euro-Jobs, Leih- und Zeitarbeit sowie gemeinnützige Arbeit neu zu bewerten und gegebenenfalls wieder einzuführen, durchaus verständlich. Allerdings ist eine kritische Analyse der Stärken und Schwächen dieser Instrumente unerlässlich, da ihre Wirksamkeit in der Vergangenheit unterschiedlich beurteilt wurde und sie teils erheblicher Kritik ausgesetzt waren.

Ein-Euro-Jobs (auch Bürgerarbeit genannt):

Ursprünglich sollten Ein-Euro-Jobs Langzeitarbeitslosen eine Brücke in den regulären Arbeitsmarkt bauen und ihnen ermöglichen, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. In der Praxis wurden sie jedoch kontrovers diskutiert. Kritiker bemängelten, dass sie oft nicht zu nachhaltigen Beschäftigungsverhältnissen führten, reguläre Arbeitsplätze verdrängten und die Betroffenen stigmatisierten. Eine erneute Einführung müsste daher mit klaren Qualitätsstandards und einer gezielten Förderung des Übergangs in reguläre Beschäftigung einhergehen. Es gilt, die Gefahr der dauerhaften Verdrängung regulärer Arbeit und die Schaffung von Parallelstrukturen zu minimieren.

Leih- und Zeitarbeit:

Leih- und Zeitarbeit bieten Unternehmen zwar Flexibilität und können kurzfristig Personalengpässe überbrücken. Für Beschäftigte sind sie jedoch oft mit prekären Arbeitsverhältnissen, geringeren Löhnen, mangelnder sozialer Absicherung und fehlenden Entwicklungsperspektiven verbunden. Eine Neuregulierung müsste daher sicherstellen, dass Leih- und Zeitarbeitnehmer gleiche Bezahlung (Equal Pay) und gleiche Arbeitsbedingungen (Equal Treatment) erhalten. Zudem bedarf es strengerer Kontrollen, um Missbrauch zu verhindern und den Übergang in feste Anstellungen zu fördern.

Gemeinnützige Arbeit:

Projekte im Bereich der gemeinnützigen Arbeit, bei denen Arbeitslose in Tätigkeiten von öffentlichem Interesse eingesetzt werden, können potenziell einen doppelten Nutzen stiften: Sie leisten einen Beitrag zur Gesellschaft und ermöglichen den Teilnehmern, ihre Fähigkeiten zu erhalten oder auszubauen. In der Vergangenheit entstanden jedoch oft hohe Kosten für Betreuung und Verwaltung, während der nachhaltige Nutzen für die Teilnehmer fraglich blieb. Eine Neuauflage müsste daher auf eine sinnvolle und bedarfsgerechte Auswahl der Projekte, eine qualifizierte Betreuung der Teilnehmer und eine enge Zusammenarbeit mit regulären Arbeitgebern setzen, um den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Darüber hinaus ist es entscheidend, dass die nächste Bundesregierung nicht nur auf die Wiedereinführung alter Instrumente setzt, sondern auch innovative und zukunftsorientierte Ansätze verfolgt, um den Herausforderungen des sich wandelnden Arbeitsmarktes zu begegnen. Dazu gehört beispielsweise die Förderung von Weiterbildung und Umschulung, die Unterstützung von Gründern und kleinen Unternehmen sowie die Schaffung von Anreizen für die Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Nur durch ein umfassendes und kohärentes Gesamtkonzept kann es gelingen, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken.


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