Bundesregierung verteidigt die gesetzliche Neuregelung

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Leistungseinstellungen in sogenannten Dublin-Fällen (Drucksache 21/417) lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Bundesregierung verteidigt die gesetzliche Neuregelung des § 1 Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG, wonach Personen, die sich in einem sogenannten Dublin-Verfahren befinden (also bei festgestellter Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaates für das Asylverfahren), grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben. Allenfalls für eine zweiwöchige Überbrückungszeit werden noch reduzierte Sachleistungen gewährt. Nur in besonderen Härtefällen soll eine Versorgung darüber hinaus möglich sein.

Kernpunkte der Antwort:

  1. Begründung für Leistungseinstellung
    Die Bundesregierung hält die Überbrückungsleistungen für ausreichend, damit Betroffene ihre Ausreise organisieren können. Eine weitergehende Versorgung durch die Länder kann stattfinden, jedoch nicht auf Grundlage des AsylbLG, sondern etwa aus Billigkeitsgründen oder ordnungsrechtlich.
  2. Fehlende bundeseinheitliche Anwendung
    Die Bundesregierung bestätigt, dass keine statistischen Daten zur Umsetzung der Regelung vorliegen, da die Länder das AsylbLG in eigener Angelegenheit ausführen. Daher gibt es keine zentrale Erfassung der tatsächlichen Leistungseinstellungen.
  3. Uneinheitliche Umsetzung und rechtliche Bedenken
    Der Bundesregierung ist bekannt, dass einzelne Gerichte sowie Bundesländer (wie Rheinland-Pfalz, Bremen, NRW und Mecklenburg-Vorpommern) die verfassungskonforme Anwendung der Regelung so auslegen, dass Leistungen bis zur tatsächlichen Ausreise gewährt werden müssen. Diese Einschätzung teilt die Bundesregierung nicht ausdrücklich, verweist aber auf die Länderhoheit und äußert sich nicht zu laufenden Gerichtsverfahren.
  4. Schreiben des BMI vom 7. Februar 2025
    Das BMI äußert darin, dass der Leistungsausschluss als „eine von mehreren möglichen Auslegungen“ zu verstehen sei. Leistungen dürften demnach nur entzogen werden, wenn die tatsächliche Ausreisemöglichkeit konkret absehbar ist. Dieses Schreiben ist nicht bindend für die Länder und wurde auch nur an Hamburg versendet.
  5. Statistische Erhebung
    Ein geplanter Gesetzesentwurf zur Digitalisierung der Migrationsverwaltung, der auch die Erfassung von Leistungsausschlüssen im AZR vorgesehen hätte, wurde nicht umgesetzt und fiel der Diskontinuität infolge des Regierungswechsels zum Opfer.
  6. Freiwillige Überstellungen
    Die Bundesregierung führt aus, dass „freiwillige“ Überstellungen in den Dublin-Staat selten sind (2023: 112 von 5.053 Fällen; 2024 bis August: 93 von 3.948 Fällen). Dabei handelt es sich um unkoordinierte Ausreisen, die – wenn sie dem BAMF überhaupt bekannt werden – separat erfasst würden. Koordinierte, selbstinitiierte Überstellungen werden dagegen nicht statistisch erfasst, was zu Missverständnissen in der parlamentarischen Kommunikation geführt hat.

Kritische Bewertung:
Die Antwort der Bundesregierung wirkt ausweichend, was zentrale Fragen zur Vereinbarkeit der Regelung mit EU-Recht sowie zur praktischen Umsetzbarkeit betrifft. Die Übertragung der Verantwortung auf die Länder und die fehlende zentrale Evaluation führen faktisch zu einer rechtsunsicheren Lage für Betroffene. Der Verweis auf mögliche Billigkeitsleistungen oder ordnungsrechtliche Ersatzzugänge kann nur als Eingeständnis gewertet werden, dass das gesetzliche Zwei-Wochen-Limit realitätsfern ist. Der Rückgriff auf europäische Richtlinien als Legitimationsbasis erscheint selektiv und wird nicht überzeugend mit der Rechtsprechung – etwa des EuGH – in Einklang gebracht.

Insgesamt legt die Antwort offen, dass der Gesetzgeber bewusst eine restriktive Regelung geschaffen hat, deren Umsetzung jedoch rechtlich und praktisch hoch umstritten ist – was wiederum politische wie verfassungsrechtliche Spannungen vertieft.


Worum geht es im Kern: Es handelt sich um sogenannte „Dublin-Fälle“, also Asylbewerberinnen und -bewerber, für deren Asylverfahren nicht Deutschland, sondern ein anderer EU-Mitgliedstaat (oder assoziierter Staat wie Norwegen oder die Schweiz) gemäß der Dublin-III-Verordnung zuständig ist. Diese Personen sind meist über einen solchen Staat nach Deutschland eingereist – und genau deshalb wäre Deutschland nach europäischem Recht nicht für ihr Asylverfahren zuständig.

Was hat sich geändert?

Bis Ende Oktober 2024 bekamen auch diese Personen – obwohl sie formal gar kein Asylverfahren in Deutschland durchlaufen sollten – weiterhin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Seit dem 31. Oktober 2024 gilt eine gesetzliche Neuregelung (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG), nach der:

  • kein Anspruch mehr auf Asylbewerberleistungen besteht, sobald die Zuständigkeit eines anderen Staates geklärt ist und eine Ausreise dorthin möglich wäre.
  • nur noch für maximal zwei Wochen sogenannte Überbrückungsleistungen (in reduzierter Form) gezahlt werden sollen.
  • in besonderen Härtefällen eine Versorgung über diesen Zeitraum hinaus möglich ist – allerdings nicht mehr als „Asylbewerberleistung“, sondern auf Grundlage anderer Regelungen (z. B. Ordnungsrecht oder aus Billigkeitsgründen).

Warum ist das umstritten?

  • Kritiker (u. a. Die Linke, einige Länder, Gerichte) verweisen auf verfassungs- und unionsrechtliche Mindeststandards (etwa die Wahrung der Menschenwürde), die durch den vollständigen Leistungsausschluss gefährdet seien.
  • Einige Bundesländer (z. B. Rheinland-Pfalz, Bremen, NRW, Mecklenburg-Vorpommern) setzen die Regelung nicht konsequent um und gewähren weiterhin Unterstützungsleistungen bis zur tatsächlichen Ausreise.
  • Auch die Praxis zeigt, dass viele dieser Personen nicht innerhalb von zwei Wochen ausreisen können, sei es aus praktischen, medizinischen oder organisatorischen Gründen.
  • Gerichte haben mehrfach Leistungsausschlüsse gestoppt, insbesondere weil eine „konkret absehbare Ausreisemöglichkeit“ oft nicht gegeben ist.

Fazit:

Es geht um Menschen, deren Asylantrag nicht in Deutschland geprüft werden soll, weil sie über ein anderes EU-Land eingereist sind. Diese Personen haben bislang weiter Leistungen erhalten, auch wenn sie zur Ausreise in den zuständigen Staat verpflichtet waren. Mit der Neuregelung wollte die Bundesregierung diese Zahlungen weitgehend einstellen – was in der Praxis jedoch rechtlich und humanitär hoch problematisch und bislang nur uneinheitlich umgesetzt worden ist.


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