Die Bundestagsdrucksache 21/731 vom 30. Juni 2025 enthält die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion zum Thema „Sexueller Missbrauch und sonstige Sexualstraftaten an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen“. Die Fragesteller verweisen in ihrer Vorbemerkung auf die hohe gesellschaftliche Relevanz des Themas, die drastisch gestiegenen Fallzahlen sexuellen Missbrauchs an Kindern (2023: 16.375 registrierte Fälle) sowie auf die erschütternde Tatsache, dass Schulen, die eigentlich Schutzräume sein sollen, offenbar in einer signifikanten Zahl von Fällen selbst zum Tatort werden.
Kernaussagen der Bundesregierung:
- Keine belastbaren Zahlen: Die Bundesregierung gibt an, dass ihr weder zu Fällen sexuellen Missbrauchs durch Lehrkräfte, sonstiges Schulpersonal oder Schüler, noch zu den entsprechenden straf- oder disziplinarrechtlichen Folgen detaillierte Erkenntnisse vorlägen. Allein die Zuständigkeit der Länder wird wiederholt betont.
- Fehlende zentrale Erfassung: Es existiert kein zentrales, bundesweit einsehbares Datensystem zum Austausch disziplinarischer Informationen zwischen den Bundesländern, etwa zur Verhinderung eines „Dienststellen-Hoppings“ von Tätern.
- Prävention und Schutzkonzepte: Die Bundesregierung verweist auf das SGB VIII und landesrechtliche Regelungen als Basis für Schutzkonzepte, nennt aber keine konkreten bundesweiten Standards. Die Initiative „Trau dich!“ wird als Präventionsprogramm erwähnt.
- Hilfsangebote: Betroffene Schüler, Eltern und Lehrkräfte können sich an das Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch und an die „Nummer gegen Kummer“ wenden. Angaben über lokale Anlaufstellen fehlen.
- Keine geplanten Gesetzesinitiativen: Es sind derzeit keine weiteren bundesgesetzlichen Regelungen zum Schutz vor sexuellem Missbrauch an Schulen geplant.
- Kommunikation zwischen Institutionen: Auch zu verpflichtenden Meldesystemen zwischen Polizei, Jugendämtern und Schulbehörden liegen keine Kenntnisse vor.
Kritische Würdigung:
Die Antwort der Bundesregierung offenbart ein eklatantes Defizit an bundesweiter Koordination, systematischer Datenerfassung und politischem Gestaltungswillen in einem der sensibelsten Bereiche des Kinderschutzes. Die Bundesregierung verweist nahezu durchgängig auf die Zuständigkeit der Länder, ohne den dringlichen Bedarf an bundeseinheitlichen Standards auch nur anzuerkennen.
In einem föderalen Bildungssystem ist der Hinweis auf die Länderkompetenz formal korrekt, inhaltlich jedoch unzureichend. Wenn es um den Schutz von Kindern vor schwersten Verbrechen wie sexuellem Missbrauch geht, ist es politisch kaum vertretbar, dass weder Zahlen noch Strukturen zur interdisziplinären Zusammenarbeit oder effektiven Prävention auf Bundesebene existieren oder geplant sind. Die Verweigerung jeglicher Initiative zur Verbesserung gesetzlicher oder institutioneller Grundlagen deutet auf eine erschreckende Handlungsresistenz hin.
Gerade im Hinblick auf die hohe Dunkelziffer und die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern in Schulen wäre ein zentral gesteuertes und transparentes Informationssystem zwischen Behörden, Justiz und Bildungseinrichtungen überfällig. Auch disziplinarrechtliche Konsequenzen für übergriffige Lehrkräfte bleiben intransparent, was das Risiko einer systematischen Vertuschung oder Bagatellisierung erhöht.
Fazit:
Die Antwort der Bundesregierung fällt bemerkenswert defensiv und ausweichend aus. Statt die drängenden Fragen nach Schutzmaßnahmen, Transparenz und effektiver Strafverfolgung aufzugreifen, verweist sie konsequent auf die Länderzuständigkeit. Diese Haltung mag verwaltungstechnisch korrekt sein, sie ist aber politisch fahrlässig und dem Ernst des Themas nicht angemessen. Der Umgang mit sexuellem Missbrauch an Schulen verlangt eine entschlossene, bundeseinheitlich koordinierte Strategie – nicht administrative Verantwortungsschieberei.