Das Einhorn in der Wirtschaft

Einhörner in der Startup-Szene: Mythos, Metrik und Realität – Stand 2025

Von der ökonomischen Fabel zur ernüchternden Bilanz einer Boom-Ära

1 | Begriff, Herkunft und Erwartungshaltung

„Einhorn“ (unicorn) nennt man Start-ups, die – noch vor einem Börsengang oder Exit – mit mindestens 1 Mrd. USD bewertet werden. Geprägt hat den Ausdruck 2013 die US-Investorin Aileen Lee, weil seinerzeit nur 39 junge Firmen diese Marke erreichten. Seither ist das Fabeltier zum PR-Liebling der Venture-Szene geworden und suggeriert Seltenheit, Magie – vor allem aber irrwitzige Renditeerwartungen.

2 | Zahlen & Fakten 2025 – ein Blick auf die Statistik

Datenquelle (April / März 2025)Weltweite EinhörnerAddierte Bewertung
CB Insights1 2604 386 Mrd. USD
PitchBook1 4224 500 Mrd. USD
Hurun1 453– (k. A.)
Eqvista1 565– (k. A.)

Merksatz: Je nach Methodik (private vs. öffentlich gefallene Bewertungen, Active-Status, Branchenabgrenzung) schwankt die Zahl der Einhörner beträchtlich – ein erster Fingerzeig, wie dehnbar der Begriff inzwischen ist.

Nach CB Insights führt die USA mit 702 Einhörnern vor China (302) und Indien (119). Deutschland rangiert – je nach Quelle – zwischen 29 (CB Insights) und 46 (Tracxn), andere Tracker wie StartupBlink listen 31.

3 | Vom Null-Zins-Boom zum AI-Hype – die Konjunkturkurve

  • Goldgräber-Phase 2021: 629 neue Einhörner – Rekordjahr dank billigem Geld, SPAC-Euphorie und „Fear of Missing Out“.
  • Abkühlung 2022 / 23: Nur noch 71 Neuankömmlinge 2023 – ein Sieben-Jahres-Tief.
  • Partielle Erholung 2024: 72 neue Einhörner bis Dezember; 44 % davon stammen aus dem KI-Segment.

Gestiegene Zinsen, geopolitische Unsicherheit und verhaltene IPO-Märkte haben den „Einhorn-Regen“ spürbar verringert. Gleichzeitig sorgt der Generative-AI-Trend dafür, dass Kapital punktuell wieder üppig fließt – allerdings mit hohem Klumpenrisiko.

4 | Realitätsschock: Down-Rounds, „gefallene“ Einhörner und Bilanzkosmetik

Das Jahr 2023 sah den höchsten Anteil von Flat- oder Down-Rounds seit einem Jahrzehnt: Fast 30 % aller VC-Deals lagen unter der Vorbewertung.

  • Klarna: Bewertungsrückgang von 45 Mrd. USD (2021) auf 6,7 Mrd. USD (2022).
  • Stripe: Interne Bewertung mehrfach gekappt, zuletzt auf 63 Mrd. USD.

Solche Fälle illustrieren, dass Venture-Bewertungen häufig Papier-Gewinne sind, die bei veränderten Makro-Parametern rasch verdunsten.

5 | Deutschland im Fokus – „Mittelgroße Herde, große Ambitionen“

Je nach Datenbank zählt die Bundesrepublik 29 bis 46 Einhörner. Darunter:

  • Celonis – Process-Mining-Pionier, zuletzt ≈ 11 Mrd. USD bewertet (2021).
  • Personio (HR-Software), Helsing (Defence-AI), Trade Republic (Neobroker), DeepL (KI-Übersetzung).

Auffällig ist der hohe Anteil B2B-Software (München) und Fintech/AI (Berlin). Gleichzeitig bleibt die Zahl der Neu-Einhörner kleiner als in Frankreich oder dem UK. Gründe:

  1. Kapitalquellen: Weniger Growth-Funds in der DACH-Region, staatsnahe Töpfe erst im Aufbau.
  2. Exit-Pipeline: Fehlende Tech-Börsenplätze und zähe M&A-Aktivität.
  3. Regulatorik: DSGVO-Folgen, Bafin-Vorgaben (Fintech) und Waffen-Exportregeln (Defence-AI).

6 | Kritische Bestandsaufnahme

TheseGegenrede
Einhörner treiben Innovation und Beschäftigung.Hohe Bewertungen ≠ nachhaltiges Geschäftsmodell; Personal-Overhire nach Down-Round führt häufig zu Massenentlassungen.
Hohe Bewertungen sind Marktfeedback.Bewertungsfindung ist oft investorengetrieben; kein belastbarer Referenzkurs mangels Börsennotierung.
„Blitzscaling“ schafft Netzwerkeffekte.Blitzscaling externalisiert Risiken (Regulierung, Arbeitsrecht) auf die Gesellschaft; Profitabilität bleibt zweitrangig.

7 | Ausblick 2025 – 2030

  • IPO-Fenster: Sollte das Zinsniveau weiter hoch bleiben, dürfte der Exit-Korridor eng bleiben. Viele „reife“ Einhörner werden daher entweder verlängert privat oder günstiger an Strategen verkauft.
  • KI-Überhitzung: Die starke Konzentration neuer Einhörner im KI-Sektor erinnert an frühere Hype-Zyklen. Die Spreu wird sich 2026 / 27 an konkreten Umsätzen trennen.
  • Klima-Tech-Klasse: Carbon-Removal, Heat-Pump-Scale-ups & Co. erhalten vermehrt politisches Förderkapital (EU Green Deal) – erste „Greenicorns“ sind wahrscheinlich.
  • Deutsche Szene: Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz und der geplanten Mittelstands-Börse könnte der Standort an Attraktivität gewinnen. Entscheidend wird sein, ob Pensionskassen in VC-Fonds investieren dürfen – ein seit Jahren diskutiertes Tabu.

8 | Schlussfolgerung

Das ökonomische Einhorn hat seine Unschuld verloren: Es steht heute weniger für Seltenheit als für eine Risikoklasse mit extremen Bewertungs-Amplitude. Für Gründerinnen bleibt es ein erstrebenswertes Etikett, für Investorinnen ein zweischneidiges Schwert – und für Politik & Öffentlichkeit ein Gradmesser volkswirtschaftlichen Storytellings.

Die eigentliche Frage lautet nicht mehr, wie viele Einhörner wir zählen können, sondern wie viele davon zu dauerhaften Zugpferden einer resilienten Ökonomie werden.


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