Die Aussage der Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU), „Der Islam ist hier nicht der Chef, sondern das Grundgesetz“, mag auf den ersten Blick wie eine scharfe, aber eindeutige Klarstellung wirken – in Wahrheit steht sie jedoch exemplarisch für eine tiefgreifende Debatte über Wertevermittlung, Integration und die Rolle des Staates in einer zunehmend pluralisierten Gesellschaft. Ausgangspunkt war ein besorgniserregender Vorfall an einer Berliner Grundschule, bei dem ein homosexueller Lehrer über Monate hinweg von muslimischen Schülern gemobbt wurde. Ein Schüler hatte sinngemäß erklärt: „Der Islam ist hier der Chef.“ Priens Reaktion ließ nicht lange auf sich warten – und sie war bewusst unmissverständlich.
Prien stellte sich mit ihrer Wortwahl demonstrativ an die Seite der liberalen Ordnung: Nicht religiöse oder kulturelle Parallelnormen seien in Deutschland maßgeblich, sondern das Grundgesetz. Dies ist in einem säkular verfassten Rechtsstaat keine banale Selbstverständlichkeit, sondern ein Bekenntnis zu einem Wertekonsens, der zunehmend unter Druck gerät – nicht nur von rechts, sondern eben auch durch religiös motivierten Autoritarismus, wie er sich in bestimmten islamischen Milieus zeigt. Dass sich Prien dabei nicht in ausgrenzender Rhetorik verliert, sondern ihre Position mit konkreten politischen Forderungen unterlegt – etwa der besseren Qualifikation von Lehrkräften im Umgang mit Extremismus – verdient Anerkennung.
Gleichwohl wirft ihr Vorstoß, eine Obergrenze für Schüler mit Migrationshintergrund an Schulen „für denkbar“ zu halten, neue Fragen auf. Auch wenn Prien sich auf Länder wie Dänemark oder Kanada beruft, in denen integrationspolitisch mit Quoten oder regionalen Steuerungsmechanismen experimentiert wird, bleibt fraglich, ob eine zahlenmäßige Begrenzung kultureller Diversität tatsächlich zu besserer Integration führt – oder ob sie nicht vielmehr das Gegenteil bewirkt: die Stigmatisierung ganzer Schülergruppen und das Abgleiten in eine Logik der Abgrenzung.
Kritiker wenden denn auch zu Recht ein, dass es weniger auf die Herkunft, sondern auf die Haltung ankommt – und verweisen auf erfolgreiche Gegenbeispiele wie die Michaela Community School in London, an der Integration, Disziplin und Leistung gleichermaßen eingefordert werden. Dort zeigt sich: Eine wertebasierte, leistungsorientierte Pädagogik kann Kindern mit und ohne Migrationshintergrund gerecht werden, ohne dabei kulturelle Identitäten zu nivellieren. Entscheidend ist der normative Rahmen – nicht die ethnische Zusammensetzung der Klassenzimmer.
Die Debatte, die Prien angestoßen hat, ist daher von hoher politischer Brisanz. Sie berührt zentrale Fragen staatlicher Autorität, schulischer Erziehung und gesellschaftlicher Kohärenz. In einer Zeit, in der der liberale Verfassungsstaat nicht nur durch politischen Extremismus, sondern auch durch kulturelle Fragmentierung herausgefordert wird, ist es notwendig, Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung und säkulare Bildung offensiv zu verteidigen. Doch dies gelingt nur dann, wenn Integrationspolitik nicht in Symbolik steckenbleibt, sondern konkrete, pragmatische Antworten gibt – jenseits von Quotenpolitik und pauschalen Verdächtigungen.
Was bleibt, ist ein ambivalentes Bild: Karin Prien hat ein notwendiges Tabu gebrochen, aber zugleich neue Gräben sichtbar gemacht. Ihre Intervention sollte nicht als Kulturkampf diffamiert werden – wohl aber als Weckruf verstanden werden, dass Integration kein Automatismus ist, sondern eine bewusste politische, kulturelle und bildungspolitische Aufgabe. Und diese beginnt – ganz im Sinne des Grundgesetzes – mit der Achtung vor der Würde des Menschen. In jeder Schule. In jeder Klasse. Jeden Tag.