Über Jahrzehnte galt die These als unumstößlich: Wer sparen will, geht zum Discounter. Aldi, Lidl und Co. hatten den Nimbus der unangefochtenen Preisführer. Die großen Supermärkte, allen voran Rewe und Edeka, wurden im öffentlichen Bewusstsein dagegen als teurere Adressen für Qualitäts- oder Markenkäufer verortet. Doch eine genauere Analyse der heutigen Preisstrukturen zeigt: Dieses Bild ist nicht nur überholt, es ist im Grunde irreführend. Der vermeintliche Preisvorteil der Discounter ist längst nivelliert.
Schaut man sich die Preise im Basissegment an, herrscht zwischen Discounter und Supermarkt ein erstaunliches Gleichgewicht. Ob Lyoner für 50 Cent je 100 Gramm oder Butter-Eigenmarke für rund 2,20 Euro – die Unterschiede sind verschwunden. Wer heute nur nach nackten Zahlen sucht, wird keinen relevanten Vorteil mehr finden. Damit fällt die frühere Kernbotschaft der Discounter, sie seien die verlässliche Billig-Alternative, in sich zusammen. Im Gegenteil: Der Wettbewerb zwingt beide Handelsformen, sich gegenseitig permanent im Preis zu unterbieten oder auf gleichem Niveau zu agieren.
Interessant ist auch der Blick auf Bio-Produkte. Hier erwartete man lange, dass Discounter mit abgespeckten Standards günstigere Varianten auf den Markt werfen würden, während Supermärkte als „Feinkostläden des Bio-Bürgertums“ aufträten. Doch auch dieses Muster hat sich verkehrt. Aldi-Bio-Lyoner und Edeka-Bio-Lyoner kosten dasselbe. Unterschiede gibt es nicht beim Preis, sondern bei der Qualität. Geschmackstests zeigen, dass gerade Supermärkte wie Edeka in der Bio-Sparte mit höherwertigen Produkten punkten können, ohne dass dies teurer wäre. Der Kunde hat also nicht nur die Wahl zwischen billig und teuer, sondern zwischen gleichpreisigen Varianten unterschiedlicher Qualität.
Die entscheidende Differenz liegt heute im Sortiment. Der Discounter bleibt seiner Linie treu: ein enges, klar strukturiertes Angebot, mit dem sich effizient arbeiten lässt. Supermärkte dagegen setzen auf Vielfalt. Zwischen Eigenmarke, Markenprodukt und Bio-Label finden sich Preisspreizungen, die Kunden innerhalb desselben Geschäfts vom Einsteigerprodukt bis zum Premiumartikel bedienen. Wer will, bekommt seine Butter für 1,99 Euro oder für 3,79 Euro – und alles dazwischen. Hier zeigt sich die eigentliche Stärke des Supermarkts: Er ist nicht nur günstiger oder teurer, er ist beides zugleich. Und genau das verschafft ihm die Möglichkeit, mit Aktionspreisen regelmäßig gezielt Preissignale zu setzen.
Aktionen sind ohnehin der große Hebel, mit dem Supermärkte dem Discounter inzwischen die Stirn bieten. Eckprodukte wie Butter, Milch oder Hackfleisch werden regelmäßig in den Sonderangebots-Flyern platziert, teils zu Preisen, die sogar unter denen der Discounter liegen. Rewe etwa lockt Kunden mit Butteraktionen, bei denen viele gleich zehn Stück kaufen. So entsteht beim Verbraucher der Eindruck, dass der Einkauf im Supermarkt „unter dem Strich“ günstiger sei – auch wenn dies über das gesamte Sortiment hinweg nicht immer zutrifft.
Die eigentliche Ironie: Während Discounter auf das Etikett „billig“ angewiesen sind, leben Supermärkte längst von der Inszenierung der Wahlfreiheit. Sie können sich teure Markenware leisten, weil sie zugleich über Eigenmarken und Rabattschlachten preislich attraktiv bleiben. Am Ende entscheidet nicht der Preis an sich, sondern das Gefühl der Kunden, dass sie sparen könnten – wenn sie klug auswählen. Genau dieses Gefühl erzeugen Supermärkte mit einer Mischung aus Aktionsware und Vielfalt.
Was bedeutet das für den Konsumenten? Wer wirklich nur Grundnahrungsmittel zum tiefsten Preis kaufen will, könnte genauso gut zum Discounter gehen wie zum Supermarkt. Der Preis ist identisch. Wer aber den Anspruch hat, mehr Auswahl, Bio-Qualität oder Sonderaktionen mitzunehmen, fährt im Supermarkt häufig sogar besser. Das alte Schema „Discounter = billig, Supermarkt = teuer“ ist nicht nur überholt, es ist kontraproduktiv, weil es falsche Erwartungen nährt.
Der kritische Punkt lautet daher: Wir müssen uns vom simplen Gegensatz verabschieden. Die wahre Differenz liegt nicht in der Preishöhe, sondern in der Sortimentsstrategie. Der Discounter verkauft Einfachheit – der Supermarkt verkauft Optionen. Wer glaubt, mit dem routinierten Gang zu Aldi automatisch immer zu sparen, unterliegt einem Mythos. Und wer glaubt, der Einkauf bei Rewe oder Edeka sei zwangsläufig Luxus, sitzt ebenso einem Vorurteil auf. In Wahrheit sind beide Handelsformen längst zwei Seiten derselben Medaille: gnadenloser Wettbewerb, marginale Margen, maximale Marketingkraft.
Fazit: Der Discounter ist nicht mehr billiger, der Supermarkt nicht mehr teurer. Was zählt, ist die Fähigkeit, das eigene Einkaufsverhalten zu reflektieren – und nicht in Klischees zu verfallen, die der Markt längst selbst widerlegt hat.