Aktuelle Wirtschaftslage und geldpolitische Strategie in Deutschland und im Euroraum (Juli 2025)
Quelle: Monatsbericht – Juli 2025
1. Deutsche Wirtschaftsentwicklung im 2. Quartal 2025
Die deutsche Wirtschaftsleistung stagnierte im zweiten Quartal 2025 weitgehend, beeinflusst durch eine Normalisierung der Aktivitäten nach vorgezogenen Exporten im ersten Quartal.
- BIP-Stagnation: Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte im zweiten Quartal saisonbereinigt. Dies ist teilweise auf „auslaufende Vorzieheffekte“ zurückzuführen, die im ersten Quartal zu einem deutlichen Anstieg der Industrieproduktion und der Exporte führten, da höhere Zölle erwartet wurden. Im zweiten Quartal normalisierten sich diese Aktivitäten wieder, auch wenn die zukünftigen Zollhöhen unklar blieben.
- Industrieproduktion: Die Industrieproduktion stieg im Mittel der Monate April und Mai leicht an, „angeschoben durch die Automobilindustrie“. Dies ist der zweite Quartalszuwachs in Folge, nach sieben Quartalen des Rückgangs. Allerdings gab die Produktion von Vorleistungsgütern breitflächig nach, während Konsumgüter leicht und Investitionsgüter deutlicher zulegten.
- Auftragseingang: Trotz des Auslaufens der Vorzieheffekte blieb der industrielle Auftragseingang „in der Grundtendenz aufwärtsgerichtet“, maßgeblich getragen durch Bestellungen aus dem Ausland. Exportseitig waren die realen Warenexporte im April und Mai jedoch rückläufig, was auf „deutlich rückläufige Exporte in die USA“ zurückgeführt wird, verursacht durch Zollankündigungen und die Dollar-Abwertung. Der kurzfristige Ausblick für Export und Industrie bleibt angesichts der US-Zollpolitik „eingetrübt“.
- Dienstleistungssektor: Der Dienstleistungssektor legte im zweiten Quartal „allenfalls leicht“ zu. Der private Konsum unterstützte dies kaum; obwohl die Umsätze im Gastgewerbe leicht stiegen, hielten sich die Haushalte im Einzelhandel „deutlich zurück“. Die Sparneigung der privaten Haushalte stieg im zweiten Quartal wieder an, wodurch der zusätzliche Impuls durch deren Rückführung entfällt.
- Bausektor: Vom Bausektor werden „deutlich negative Wachstumsbeiträge“ erwartet.
2. Stabilität des Arbeitsmarktes
Der deutsche Arbeitsmarkt zeigte sich weiterhin stabil, obwohl sich die Frühindikatoren als „kraftlos“ erwiesen und die Arbeitslosigkeit leicht anstieg.
- Beschäftigung: Die Erwerbstätigkeit erhöhte sich im Mai nur marginal um 2.000 Personen. Ein anhaltender Rückgang der Selbstständigenzahl wurde durch einen moderaten Anstieg der Arbeitnehmer kompensiert, insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen. Das Verarbeitende Gewerbe verzeichnete hingegen einen deutlichen Arbeitsplatzabbau (ca. 2 % in den letzten 12 Monaten).
- Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosigkeit stieg im Juni saisonbereinigt um 11.000 Personen auf 2,97 Millionen. Die Arbeitslosenquote blieb bei 6,3 %. Seit Anfang 2023 ist die Arbeitslosigkeit relativ gleichmäßig um fast eine halbe Million Personen gestiegen, was auf „vom Strukturwandel geprägte Verschiebung der Beschäftigung zwischen den Wirtschaftsbereichen“ zurückgeführt wird.
- Frühindikatoren: Das ifo-Beschäftigungsbarometer fiel im Juni wieder deutlich, was auf überwiegende Personalabbaupläne hindeutet, insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe.
3. Inflationsentwicklung
Die Inflationsrate im Euroraum sank im Juni leicht auf 2,0 %. Die Preisdynamik wird in den kommenden Monaten voraussichtlich um die 2 %-Marke schwanken.
- Preisentwicklung: Die Preise auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen sanken im Mai gegenüber dem Vormonat, primär aufgrund niedrigerer Energierohstoffpreise. Die harmonisierte Inflationsrate (HVPI) sank im Juni leicht von 2,1 % auf 2,0 %. Die Kernrate (ohne Energie und Nahrungsmittel) schwächte sich ebenfalls von 2,7 % auf 2,5 % ab.
- Inflationsaussichten: Für die kommenden Monate wird die Inflationsrate „um die Marke von 2 % schwanken“, sofern der aktuelle Ölpreispfad und der EUR/USD-Wechselkurs unverändert bleiben. Der Energiepreiseffekt wird voraussichtlich weniger dämpfend sein als im ersten Halbjahr, während Dienstleistungspreise „überdurchschnittlich zur Gesamtteuerung beitragen“ dürften.
4. Rückgang deutscher Exportmarktanteile: Ursachen und Wettbewerbsfähigkeit
Deutschland verzeichnet seit 2017 einen mehrjährigen Rückgang seiner Exportmarktanteile, der seit 2021 im internationalen Vergleich besonders ausgeprägt ist. Dieser Verlust hat „erheblich zur Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft beigetragen“.
- Historische Entwicklung: Nach der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise blieben die deutschen Exportmarktanteile bis 2016 stabil. Seit 2017 sind sie jedoch rückläufig, und Deutschland ist „im Vergleich zu anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften seit 2021 zunehmend ins Hintertreffen geraten.“
- Auswirkungen auf BIP: Simulationsrechnungen legen nahe, dass das deutsche BIP zwischen 2021 und 2024 um insgesamt 2,4 Prozentpunkte stärker gewachsen wäre, hätten die Exporte im Einklang mit den Absatzmärkten zugenommen (d.h. ohne Marktanteilsverluste). Insbesondere 2022 waren die Einbußen mit 1,3 Prozentpunkten „erheblich“.
- Ungünstige Wettbewerbsfaktoren:Lieferkettenstörungen: Globale Lieferkettenstörungen während der Corona-Pandemie trafen Deutschland besonders stark; in Deutschland hatten 2021 und 2022 „erheblich mehr Unternehmen mit Lieferengpässen zu kämpfen als in anderen europäischen Ländern.“
- Energiepreise: Die seit dem Krieg in der Ukraine gestiegenen Energiepreise belasteten „insbesondere die Ausfuhren energieintensiver Wirtschaftszweige in Deutschland.“ Die Endkundenpreise für Gas und Strom für Industrieunternehmen stiegen in Deutschland „im internationalen Vergleich besonders kräftig.“
- Wettbewerb durch China: China tritt zunehmend als Konkurrent deutscher Unternehmen auf, nicht nur in der Automobilindustrie. Deutschland verlor seit 2019 „bei seinen wichtigsten Handelspartnern tendenziell dort mehr Marktanteile, wo China welche aufbaute.“
- Strukturelle Inlandsprobleme: Der ausgeprägte demografische Wandel verstärkte den Arbeits- und Fachkräftemangel. Der „trotz der jüngsten Abkühlung angespannte Arbeitsmarkt dürfte ein Grund für den Lohndruck sein, der im Zusammenspiel mit der schwachen Produktivitätsentwicklung die Lohnstückkosten in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern im Euroraum in den letzten Jahren stark erhöhte.“ Zusätzlich belasten Bürokratie- und Steuerlasten die Investitionen.
- Schwache Exportentwicklung nach Warengruppen und Partnern: Exporte von „Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeugteilen sanken tendenziell seit 2017“, und die Ausfuhren von Maschinen blieben schwunglos. Seit 2022 dämpften auch gesunkene Ausfuhren energieintensiver Erzeugnisse (Chemie, Eisen- und Stahlprodukte) die Gesamtexporte. Exporte nach China sanken besonders stark, und Impulse aus anderen asiatischen sowie mittel- und osteuropäischen Märkten fehlten zuletzt.
- Treiber der Marktanteilsverluste (Nachfrage- vs. Angebotseffekte):Die Analyse zerlegt die Marktanteilsveränderungen in nachfrage- und angebotsseitige Effekte.
- „Die deutschen Exportmarktanteilsverluste seit 2017 sind praktisch ausschließlich auf rückläufige Absatzmengen zurückzuführen.“ Preiseffekte waren im Durchschnitt nicht nennenswert.
- Angebotsseitige Probleme: „Deutsche Exporteure bei zahlreichen Produkten an Wettbewerbsfähigkeit einbüßten.“ In mehr als drei Vierteln der Produktkategorien sank die Wettbewerbsfähigkeit zwischen 2017 und 2023, was auf „grundlegende strukturelle Herausforderungen“ hindeutet, wie Arbeitskräftemangel, steigende Lohnstückkosten, Bürokratie und zunehmenden Wettbewerb durch China.
- Lieferkettenprobleme und Energiepreise: Diese waren „maßgeblich“ für die größten Einbußen bei der Wettbewerbsfähigkeit 2021/22, insbesondere in Hochtechnologiegütern (Maschinenbau, Elektroindustrie) und energieintensiven Bereichen (Chemie, Metallindustrie). Deutschland war von beiden Entwicklungen „besonders stark“ betroffen.
- Automobilindustrie: Bis 2023 gab es in der Automobilindustrie „keine nachhaltigen Veränderungen der Wettbewerbsfähigkeit“, abgesehen von möglichen Auswirkungen eines Abgasmessverfahrens 2019.
- Nachfrageseitige Faktoren: Die „vergleichsweise schwache globale Nachfrage nach Produkten, auf die die deutsche Exportstruktur ausgerichtet ist, insbesondere Kraftfahrzeuge und Luftfahrttechnik, führte per saldo zu Marktanteilsverlusten.“ Weltweite Autoverkäufe stagnierten seit 2016 und gingen 2019 deutlich zurück. Demgegenüber stützte das solide Importwachstum innerhalb der EU die deutschen Exportmarktanteile leicht.
- Internationaler Vergleich: Von 2001 bis 2016 verlor Deutschland kaum Exportmarktanteile aufgrund produktspezifischer Wettbewerbsfähigkeit und hob sich von anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften ab. „Seit 2017 büßte Deutschland sein früheres Alleinstellungsmerkmal bei der Entwicklung der Exportmarktanteile ein und schnitt insbesondere seit 2021 schlechter ab.“ China gewann in den Bereichen Mittel- und Hochtechnologiegüter erheblich an Weltmarktanteilen.
5. Überprüfung der geldpolitischen Strategie 2024/2025 des Eurosystems
Das Eurosystem hat seine geldpolitische Strategie überprüft, um den Erfahrungen aus dem abrupten Inflationsanstieg 2021/2022 und dem unsicheren Umfeld Rechnung zu tragen.
- Inflationsziel: Der EZB-Rat bekräftigt seinen mittelfristigen Horizont für das symmetrische Inflationsziel von 2 %. Dieses Ziel und der HVPI als Indikator waren nicht Gegenstand der Prüfung, da sie sich bewährt haben.
- Flexibilität und Unsicherheit: Die überarbeitete Strategie betont die Notwendigkeit einer flexiblen Geldpolitik angesichts eines voraussichtlich „unsicherer und volatiler“ werdenden Inflationsumfelds, geprägt durch geopolitische Fragmentierung, Digitalisierung, Demografie und Klimawandel. „Risiken und Unsicherheiten bei geldpolitischen Entscheidungen systematisch und kontextbezogen zu berücksichtigen“ ist dabei wichtig, wofür Szenario- und Sensitivitätsanalysen an Bedeutung gewinnen.
- Prognosefehler: Der Inflationsanstieg überraschte die Prognostiker, was zu „hohen Prognosefehlern“ führte. Ursachen waren die Nichtberücksichtigung von Erdgaspreisen in vielen Modellen, die vorübergehende Störung ganzer Lieferketten und der erzwungene Nachfrageausfall durch Lockdowns, sowie die Prägung der Prognosen durch die Niedriginflationsphase.
- Preissetzungsverhalten: Während der Hochinflationsphase passten Unternehmen ihre Preise „häufiger“ und „stärker und schneller“ an (Preisanpassungsfrequenz sank von acht auf sechs Monate). Das Lohnsetzungsverhalten blieb jedoch „nur geringfügig“ verändert, was zu einer verzögerten Reallohnkompensation führte. Dies trug dazu bei, dass die Inflation nach Abklingen der Schocks „noch einige Zeit relativ persistent auf hohem Niveau blieb.“
- Verankerung der Inflationserwartungen: Trotz des Inflationsanstiegs blieben die langfristigen Inflationserwartungen von Experten im Niveau „nahe beim Inflationsziel“ von 2 % verankert. Allerdings zeigte sich in der zweiten Jahreshälfte 2022 ein „deutliches Überwiegen von Aufwärtsrisiken“ für die Inflation auf längere Sicht, auch wenn sich diese Einschätzung 2024 normalisierte.
- Optimales Handeln bei Schocks: Bei Angebotsschocks ist ein „Hindurchschauen“ der Geldpolitik nur sinnvoll, wenn der Schock temporär und nicht zu groß oder persistent ist. Eine „feste Verankerung der langfristigen Inflationserwartungen“ ist hierfür zentral. Wenn das Risiko einer Entankerung (insbesondere nach oben) besteht, ist ein „hinreichend starkes Eingreifen der Geldpolitik“ erforderlich.
- Zinsuntergrenze und Bilanzrisiken: Die Strategieüberprüfung 2020/2021 beschloss „kraftvolle oder lang anhaltende geldpolitische Maßnahmen“ nahe der Zinsuntergrenze, was angesichts des anhaltend niedrigen Gleichgewichtszinses weiterhin sinnvoll ist. Die Bundesbank betont die Notwendigkeit, umfangreiche Wertpapierankäufe auch unter dem Blickwinkel „möglicher damit verbundener bilanzieller Risiken“ zu bewerten, da dem Eurosystem „finanzielle Verluste“ entstehen, die jedoch „nicht die Fähigkeit des Eurosystems, Preisstabilität zu gewährleisten“ gefährden.
- Agilität der Instrumente: Zukünftig sollen geldpolitische Instrumente so ausgestaltet werden, dass sie eine „agile und flexible Reaktion“ auf ein verändertes Umfeld ermöglichen. Feste und langfristige Ankündigungen, wie die kalenderbasierte Forward Guidance, können die Reaktionsfähigkeit behindern. Wertpapierankäufe sollten zeitnah beendet werden können, wenn eine Straffung erforderlich ist.
- Kommunikation: Der EZB-Rat reagierte auf die hohe Unsicherheit mit einem „datenabhängigen Ansatz“ und einer Konzentration auf drei Kriterien: Inflationsausblick, zugrunde liegende Inflation und Wirksamkeit der Geldpolitik.
6. Das Eurosystem Collateral Management System (ECMS)
Das ECMS, das im Juni 2025 in Betrieb genommen wurde, ist ein zentrales Projekt der „Vision 2020“ des Eurosystems zur Harmonisierung und Effizienzsteigerung der Sicherheitenverwaltung im Euroraum.
- Zielsetzung: Das ECMS wurde entwickelt, um die Sicherheitenverwaltung im Eurosystem zu „harmonisieren und konsolidieren“, was zu einer „deutlich effizienteren“ Betriebsführung und einfacheren Pflege/Weiterentwicklung der Anwendungen führt. Es ist das letzte abgeschlossene Projekt der „Vision 2020“, die auch die Dienste TIPS und T2 umfasste.
- Funktionen: Das System bietet neue und erweiterte Funktionen, wie die automatisierte Mobilisierung von Cash Collateral bei Unterdeckung und die Möglichkeit, gruppenbezogene Geschäftspartner in „ECMS Banking Groups“ zusammenzufassen, wobei ein „Manager“ konsolidierten Zugriff auf alle Sicherheitenpools hat.
- Harmonisierung und Sicherheit: Das ECMS verbessert die IT-Sicherheit durch den Zugriff über zugelassene Netzwerkdienstleister und das Eurosystem Single Market Infrastructure Gateway (ESMIG). Es nutzt neueste Standards wie ISO 20022 für die Nachrichtenkommunikation.
- Migration: Die Bundesbank hat ihre geldpolitischen Geschäftspartner eng begleitet, um eine reibungslose Migration zu gewährleisten. Bei der Migration wurden Sicherheiten im Wert von rund 360 Mrd. € überführt. Nach der Inbetriebnahme sind in Deutschland über 140 Geschäftspartner direkt und 515 indirekt angebunden.
- Sicherheiten im Eurosystem: Sicherheiten im Wert von über 1.500 Mrd. € waren im März 2025 bei Refinanzierungsgeschäften hinterlegt, um Kreditrisiken abzudecken. Zusätzliche Sicherheiten dienen der Überbrückung temporärer Ungleichgewichte bei Zahlungsein- und -ausgängen über Innertageskredite.
7. Finanzmärkte und Statistiken
Der Bericht enthält umfassende statistische Daten zu monetären Entwicklungen, Zinssätzen, Bankstatistiken, öffentlichen Finanzen und Außenwirtschaft.
- Geldmarktsätze: Der €STR lag im Juni 2025 bei 2,007 %, während der Dreimonats-EURIBOR bei 1,984 % lag. Die EZB-Leitzinssätze wurden zuletzt im Juni 2024 angepasst (Einlagefazilität 3,75 %, Spitzenrefinanzierungsfazilität 4,50 %). Mit Wirkung zum 18. September 2024 wird die Spanne zwischen den Zinssätzen für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte und für die Einlagefazilität auf 15 Basispunkte reduziert.
- Kreditvolumen und Zinssätze (Mai 2025):Wohnungsbaukredite an private Haushalte mit anfänglicher Zinsbindung von über 10 Jahren: 3,51 % (Volumen: 4.140 Mio €).
- Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften mit Ursprungslaufzeit bis 1 Jahr: 4,55 % (Volumen: 196.701 Mio €).
- Zahlungsbilanz Deutschland (April 2025): Der Leistungsbilanzsaldo betrug +18.900 Mio €, mit einem Warenhandelssaldo von +15.355 Mio €. Die Direktinvestitionen zeigten einen Saldo von -13.543 Mio € (Mai 2025).