Deutsche Rüstungsexportpolitik im Jahr 2024
Drucksache 21/1450, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2024 (Rüstungsexportbericht 2024).
- Einleitung und Gesamtübersicht der Rüstungsexportpolitik 2024
Der vorliegende Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das Jahr 2024 bietet einen umfassenden Überblick über die deutsche Rüstungsexportpolitik und die erteilten Genehmigungen sowie tatsächlichen Kriegswaffenausfuhren. Die deutsche Politik in diesem Bereich ist von einer restriktiven Haltung gekennzeichnet, die sich an nationalen Gesetzen (KrWaffKontrG, AWG, AWV), den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung, dem Gemeinsamen Standpunkt der EU und dem Arms Trade Treaty (ATT) orientiert.
Wichtigste Fakten 2024:
Gesamtwert der Einzelgenehmigungen: Rund 12,83 Mrd. Euro (im Vergleich zu 12,13 Mrd. Euro im Jahr 2023).
Schwerpunkt: Unterstützung der Ukraine: Die Ukraine war mit 8,15 Mrd. Euro der größte Einzel-Empfänger und machte einen erheblichen Teil der Exporte aus, was die „Unterstützung der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg“ als zentrales politisches Ziel hervorhebt.
Empfängerländer (nach Wert):EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder (Australien, Japan, Neuseeland, Schweiz), die Republik Korea, Singapur und die Ukraine machten zusammen 10,98 Mrd. Euro (ca. 86%) des Gesamtwerts der Einzelgenehmigungen aus.
Die Ukraine allein erhielt Genehmigungen im Wert von 8,15 Mrd. Euro.
Singapur erhielt Genehmigungen im Wert von 1,21 Mrd. Euro.
Die Republik Korea erhielt Genehmigungen im Wert von 34,31 Mio. Euro.
Sonstige Drittländer (weder EU, NATO noch NATO-gleichgestellt) erhielten Genehmigungen im Wert von 1,85 Mrd. Euro (ca. 14%).
Entwicklungsländer: Genehmigungen in Höhe von 9,09 Mrd. Euro (71% aller Einzelgenehmigungen) gingen an Entwicklungsländer, was „im Wesentlichen auf erteilten Genehmigungen für die Ukraine“ beruht.
- Deutsches Exportkontrollsystem und Leitlinien
Das deutsche Exportkontrollsystem basiert auf mehreren rechtlichen Säulen und politischen Grundsätzen:
Rechtliche Grundlagen: Grundgesetz (GG), Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG), Außenwirtschaftsgesetz (AWG) in Verbindung mit der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), der Gemeinsame Standpunkt der EU und der Arms Trade Treaty (ATT).
Politische Grundsätze (Fassung vom 26. Juni 2019): Diese dienen als restriktive Leitlinien für Genehmigungsentscheidungen und sind „restriktiver als der Gemeinsame Standpunkt der EU“.
Menschenrechte: Exporte werden grundsätzlich nicht genehmigt, wenn „hinreichender Verdacht besteht, dass das betreffende Rüstungsgut zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht wird“.
Länderkategorien:EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder: Genehmigungen sind die Regel, Ablehnungen die Ausnahme, orientiert an den Sicherheitsinteressen Deutschlands und der Bündnisse.
Drittländer: Genehmigungen werden „restriktiv gehandhabt“ und „grundsätzlich nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen Deutschlands für die Erteilung einer Genehmigung sprechen.“
Kleinwaffen: Der Export von Kleinwaffen in Drittländer soll „grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden“.
- Genehmigungspraxis für Klein- und Leichtwaffen und Endverbleibskontrollen
Besonders strenge Maßstäbe: Die Bundesregierung legt „besonders strenge Maßstäbe an die Genehmigungserteilung für Exporte von Kleinwaffen in Drittländer an und handhabte diese im Berichtszeitraum besonders restriktiv.“ Dies soll das Risiko der unkontrollierten Weiterverbreitung senken.
Kleinwaffengrundsätze (März 2015): Diese beinhalten spezifische Regeln wie:
Keine Genehmigung für den Export von Komponenten und Technologien, die neue Herstellungslinien für Klein- und Leichtwaffen in Drittländern eröffnen würden.
Zusagen in Endverbleibserklärungen, dass Klein- und Leichtwaffen im Empfängerland nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung an andere Endverwender weitergegeben werden.
„Neu für Alt“-Prinzip: Staatliche Empfänger müssen sich verpflichten, alte Waffen bei Neubeschaffung zu vernichten oder neue Waffen bei späterer Aussonderung.
Post-Shipment-Kontrollen: Dieses 2015 eingeführte Instrument wurde 2024 fortgeführt. Es handelt sich um „Kontrollen, die nach Lieferung der Rüstungsgüter beim jeweiligen staatlichen Empfänger vor Ort stattfinden können.“ Im Jahr 2024 wurden solche Kontrollen in Tunesien, Kuwait, Argentinien, Kosovo, Sri Lanka, Katar und der Republik Korea durchgeführt. Deutschland nimmt hier eine „Vorreiterrolle auf europäischer und internationaler Ebene“ ein. Bei Verstößen gegen Endverbleibserklärungen oder Verweigerung der Kontrolle werden Empfängerländer von weiteren Lieferungen ausgeschlossen.
- Genehmigungszahlen und Meldewerte im Detail (2024)
Einzelgenehmigungen: Insgesamt 5.052 Einzelanträge genehmigt.
Wertmäßig größte Anteile:Militärische Ketten- und Radfahrzeuge (AL-Position A 0006): Rund 4,36 Mrd. Euro (34% des Gesamtwerts).
Bomben, Torpedos, Flugkörper (AL-Position A 0004): Rund 2,88 Mrd. Euro (22% des Gesamtwerts).
Kriegsschiffe (AL-Position A 0009): Rund 1,5 Mrd. Euro (12% des Gesamtwerts).
Sammelausfuhrgenehmigungen (SAG): 100 SAGs mit einem Gesamtwert von 1,04 Mrd. Euro wurden erteilt. Diese dienen vornehmlich der Abwicklung von „Ausfuhrvorhaben im Rahmen wehrtechnischer Kooperationen zwischen EU- und NATO-Partnern“. Die Werte unterliegen starken Schwankungen und sind „kein Indiz für tatsächliche Güterbewegungen“.
Abgelehnte Anträge: 62 Anträge im Wert von 31,27 Mio. Euro wurden abgelehnt. Die höchsten Werte betrafen Pakistan (21,12 Mio. Euro), Thailand (3,31 Mio. Euro), Malaysia (1,66 Mio. Euro) und die Philippinen (1,49 Mio. Euro).
Kriegswaffen (Anteil): Die 413 Einzelgenehmigungen für Kriegswaffen beliefen sich auf 8,13 Mrd. Euro, was 63% des Gesamtwertes der Einzelgenehmigungen für Rüstungsgüter ausmacht.
Kleinwaffen-Genehmigungen (Wert): 161,3 Mio. Euro (2023: 93,6 Mio. Euro). Davon entfielen 75,57 Mio. Euro (ca. 47%) auf die Republik Korea, Singapur und die Ukraine.
Leichtwaffen-Genehmigungen (Wert): 242,4 Mio. Euro (2023: 111,85 Mio. Euro). Davon entfielen 195,3 Mio. Euro (ca. 81%) auf Singapur und die Ukraine.
Meldewerte zu Allgemeingenehmigungen (AGG Nr. 33): Rund 542,4 Mio. Euro für die Ausfuhr bestimmter sonstiger Rüstungsgüter in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder sowie in die Republik Korea und Singapur.
- Deutsche Rüstungsexportpolitik im internationalen Rahmen
Deutschland engagiert sich aktiv in internationalen Rahmenwerken zur Rüstungskontrolle und -transparenz:
Abrüstungsvereinbarungen: Strikte Anwendung internationaler Vereinbarungen wie der Ottawa-Konvention (Antipersonenminen) und des Oslo-Übereinkommens (Streumunition).
Waffenembargos: Umsetzung von EU- und OSZE-Embargos, wie in Anlage 6 detailliert.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU: Ziel ist eine weitere „Harmonisierung der Exportkontrollen auf europäischer Ebene“ und die Förderung der Konvergenz von Entscheidungen. Der Gemeinsame Standpunkt der EU (aktualisiert 2025) ist dabei integraler Bestandteil der deutschen Politik.
Wassenaar Arrangement (WA): Deutschland beteiligt sich aktiv an diesem Übereinkommen zur Förderung von Transparenz und Verantwortung beim Transfer von Rüstungs- und Dual-Use-Gütern. Ein wichtiges Engagement ist, „dem Thema Menschenrechte bei der Prüfung von Ausfuhranträgen auch im Wassenaar-Kontext größere Bedeutung zu verschaffen“, obwohl hier noch kein Konsens erzielt werden konnte.
VN-Waffenregister: Deutschland beteiligt sich seit 1992 an diesem Berichtssystem zur Förderung von Vertrauensbildung und Transparenz. 2024 wurden u.a. Exporte von Kampfpanzern, Artilleriesystemen, gepanzerten Kampffahrzeugen und Raketen an Länder wie die Ukraine, Ungarn, Singapur und Australien gemeldet (siehe Tabelle A).
Internationaler Einsatz zur Kontrolle von Kleinen und Leichten Waffen: Deutschland unterstützt Projekte zur Eindämmung der unkontrollierten Verbreitung dieser Waffen mit über 15 Mio. Euro im Jahr 2024. Dazu gehören Initiativen in der Ukraine, Zentralasien, dem Westbalkan, der Karibik, Zentralamerika und Afrika.
Arms Trade Treaty (ATT): Deutschland ist Vertragsstaat der ersten Stunde und wirbt für dessen Universalisierung und Unterstützung bei der nationalen Umsetzung. Der ATT schafft „erstmals völkerrechtlich verbindliche, einheitliche Mindeststandards zur Regulierung des internationalen Handels mit konventionellen Rüstungsgütern“.
Outreach-Aktivitäten: Das BAFA führt im Auftrag der EU Projekte zur Stärkung von Rüstungsexportkontrollen in Partnerländern durch, um „hohe gemeinsame Standards im Bereich der Rüstungsexportkontrolle“ zu setzen.
- Kriegswaffenausfuhren im Jahr 2024 (tatsächlich erfolgte Exporte)
Gesamtwert: Rund 4,037 Mrd. Euro (0,26% aller deutschen Exporte) wurden 2024 aus Deutschland ausgeführt (2023: 4,521 Mrd. Euro).
Kommerzielle Ausfuhren: 3,737 Mrd. Euro (2023: 3,664 Mrd. Euro). Davon entfielen rund 40% (1,479 Mrd. Euro) auf EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder.
Bundeswehrausfuhren: Rund 300 Mio. Euro (2023: 857 Mio. Euro).
Drittländer (Kommerziell): 2,2579 Mrd. Euro (2023: 2,4662 Mrd. Euro). Der Großteil davon entfiel auf die Ukraine, die Republik Korea und Singapur (2,156 Mrd. Euro).
- Deutsche Rüstungsexporte im internationalen Vergleich
Nach Berechnungen von SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) lag Deutschlands Anteil an den weltweiten Rüstungsexporten im Zeitraum 2020-2024 bei 5,6%.
Deutschland wird von SIPRI als fünftgrößter Exporteur geführt, hinter den USA, Frankreich, Russland und China.
Die drei größten Empfängerländer deutscher Exporte im Zeitraum 2020-2024 waren laut SIPRI die Ukraine (19%), Ägypten (19%) und Israel (11%).
Fazit:
Der Rüstungsexportbericht 2024 zeigt eine fortgesetzte, grundsätzlich restriktive deutsche Exportpolitik, die jedoch stark von der massiven Unterstützung der Ukraine geprägt ist. Dies führt zu einer deutlichen Erhöhung der Genehmigungswerte und einem hohen Anteil an Exporten in Drittländer, wobei die Ukraine hier eine Ausnahmestellung einnimmt. Deutschland bleibt ein aktiver Akteur in der internationalen Rüstungskontrolle und setzt sich weiterhin für Transparenz, Menschenrechte und die Stärkung internationaler Normen ein, insbesondere durch Instrumente wie Post-Shipment-Kontrollen und internationale Outreach-Projekte. Die internen Richtlinien, insbesondere die Politischen Grundsätze, werden dabei weiterhin als restriktiver als die EU-Standards betont.