Insolvenzwelle als Weckruf
Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu den Unternehmens- und Verbraucherinsolvenzen zeichnen ein Bild, das sowohl ökonomisch als auch politisch aufmerksam machen muss. Im August 2025 stieg die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen um 11,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Bereits im ersten Halbjahr hatte sich ein deutlich negativer Trend abgezeichnet: 12 009 Unternehmensinsolvenzen bedeuteten ein Plus von 12,2 Prozent gegenüber 2024, bei den Verbraucherinsolvenzen lag der Anstieg bei 7,5 Prozent. Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die strukturelle Schwächen im deutschen Wirtschaftsmodell offenlegt.
Auffällig ist die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Verfahren und dem Volumen der betroffenen Forderungen. Während 2024 vor allem große Unternehmen in Schieflage gerieten, sind es 2025 vor allem kleinere und mittlere Betriebe. Die Gläubigerforderungen sanken von 32,4 Milliarden Euro im Vorjahreshalbjahr auf 28,2 Milliarden Euro. Das klingt nach Entwarnung, ist aber in Wahrheit ein Alarmsignal: Je breiter die Basis der betroffenen Unternehmen, desto tiefer reichen die Folgen in das Fundament der Volkswirtschaft. Mittelständler, Handwerksbetriebe und familiengeführte Firmen sind nicht nur Arbeitgeber, sondern zugleich Träger von Investitions- und Innovationskraft. Wenn sie in den Strudel geraten, erodiert die Substanz des Wirtschaftsstandorts.
Die Branchenanalyse verdeutlicht die Schlagseite. Besonders hoch ist die Insolvenzhäufigkeit im Verkehrs- und Logistiksektor (64,5 Fälle je 10 000 Unternehmen), gefolgt vom Gastgewerbe (52,7) und dem Baugewerbe (52,3). Damit stehen jene Bereiche im Fokus, die ohnehin durch hohe Kosten, Fachkräftemangel und staatliche Regulierungen unter Druck geraten sind. Steigende Energiepreise, langwierige Genehmigungsverfahren, Tarifbindung und eine überbordende Bürokratie haben diese Branchen besonders verwundbar gemacht.
Hier zeigt sich ein grundlegendes Problem der deutschen Wirtschaftspolitik: Der Staat reagierte in den vergangenen Jahren reflexhaft mit Hilfsprogrammen, Subventionen und temporären Aussetzungen der Insolvenzantragspflicht. Das hat kurzfristig die Zahlen geschönt, aber langfristig Marktmechanismen außer Kraft gesetzt. Notwendige Bereinigungsprozesse wurden verschleppt, ineffiziente Strukturen konserviert. Nun kehrt sich diese Politik gegen die Wirtschaft selbst: Die Pleiten kleinerer Betriebe nehmen zu, während der Markt nicht jene Dynamik entfalten kann, die in einer funktionierenden Marktwirtschaft für Erneuerung sorgt.
Gerade aus konservativ-marktwirtschaftlicher Perspektive ist das bedenklich. Insolvenzen sind an sich kein Makel, sondern ein Korrektiv des Systems: Unwirtschaftliche Geschäftsmodelle verschwinden, Kapital und Arbeitskraft werden in produktivere Verwendungen gelenkt. Doch wenn der Staat über Jahre hinweg Wettbewerb verzerrt, Anreize verschiebt und Bürokratieberge aufhäuft, dann trifft es nicht die Schwachen im ökonomischen Sinne, sondern auch die Tüchtigen, die sich im globalen Wettbewerb behaupten könnten – wären die Rahmenbedingungen fairer.
Die Zunahme der Verbraucherinsolvenzen verstärkt den Befund. Wenn private Haushalte in wachsender Zahl in die Überschuldung geraten, zeigt das, dass Kaufkraft und finanzielle Stabilität erodieren. Ursachen sind hier nicht nur gestiegene Lebenshaltungskosten und Zinslasten, sondern auch eine Steuer- und Abgabenlast, die in internationalen Vergleichen Spitzenwerte erreicht. Für eine exportorientierte Volkswirtschaft ist das gefährlich, weil ein schwacher Binnenkonsum die Abhängigkeit vom Auslandsgeschäft erhöht – just in Zeiten, in denen geopolitische Spannungen und Protektionismus neue Unsicherheiten schaffen.
Die Politik sollte die Insolvenzzahlen deshalb nicht als bloße Statistik abtun. Sie sind ein Seismograph für die Gesundheit des Wirtschaftsstandorts. Was es jetzt braucht, sind nicht neue Hilfsprogramme, sondern eine Rückbesinnung auf marktwirtschaftliche Prinzipien: Weniger Staat, mehr Vertrauen in Wettbewerb und Eigenverantwortung. Konkret heißt das: Bürokratieabbau, steuerliche Entlastung, beschleunigte Genehmigungsverfahren, flexible Arbeitsmärkte. Nur so lässt sich verhindern, dass die schleichende Erosion zur dauerhaften Schwächung wird.
Deutschland muss wieder lernen, mit Krisen durch Anpassung statt durch Subventionierung zu reagieren. Insolvenzen sind Teil des marktwirtschaftlichen Spiels – entscheidend ist, dass sie zu einem dynamischen Strukturwandel führen und nicht zum Kollaps ganzer Branchen. Dafür aber müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Das aktuelle Zahlenwerk des Statistischen Bundesamtes ist daher mehr als ein wirtschaftlicher Zwischenbericht. Es ist ein Weckruf, die marktwirtschaftlichen Grundlagen ernst zu nehmen, bevor die Erosion von der Peripherie ins Zentrum übergreift.