Die vorliegende Unterlage ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag (Drucksache 21/1289) vom 18. August 2025. Die Anfrage bezieht sich auf einen Bericht der „New York Times“ vom 29. März 2025, in dem detailliert beschrieben wird, wie von der US-Militärbasis in Wiesbaden (Hessen) aus die USA über mehrere Jahre hinweg die militärische Strategie, Planung und Steuerung ukrainischer Angriffe im Krieg gegen Russland koordiniert haben sollen – teilweise auch gegen Ziele auf russischem Kernland.
Die Antwort der Bundesregierung ist insgesamt zurückhaltend, vage und weist zahlreiche Fragen zurück. Im Folgenden wird die Vorlage ausführlich zusammengefasst:
1. Hintergrund: Vorwürfe der Fragesteller (AfD)
Die Abgeordneten der AfD werfen der Bundesregierung vor, durch das Duldigen von US-Operationen auf deutschem Boden das nationale Sicherheitsinteresse Deutschlands schwer zu gefährden. Sie argumentieren, dass Deutschland dadurch de facto in den Krieg eingebunden sei, ohne dass der Bundestag oder die Öffentlichkeit ausreichend informiert worden sei.
Ausgehend vom Bericht der New York Times listet die Vorbemerkung der Fragesteller eine Reihe gravierender Vorwürfe auf:
- Auf der Clay-Kaserne in Wiesbaden wurde die Task Force Dragon eingerichtet, ein „Fusionszentrum“ für Geheimdienstinformationen, an dem CIA, NSA und andere US-Geheimdienste mit ukrainischen Kräften zusammenarbeiteten.
- Die USA übermittelten der Ukraine präzise Zielkoordinaten für Angriffe, darunter auch gegen russische Einrichtungen auf russischem Territorium.
- Der Untergang des russischen Flaggschiffs Moskwa im April 2022 sei durch US-Geheimdienstinformationen aus Wiesbaden ermöglicht worden.
- Mit der Lieferung von HIMARS-Raketenwerfern wurde vereinbart, dass jeder Einsatz von Wiesbaden aus kontrolliert wird – inklusive eines elektronischen Schlüssels, den die USA jederzeit deaktivieren können.
- Es wurde eine „Operationszone“ (Ops Box) definiert, die bis zu 80 km in russisches Gebiet reichte, um Angriffe auf russische Stellungen zu ermöglichen.
- Auch nach einem großangelegten ukrainischen Einmarsch in die russische Oblast Kursk (ohne Vorankündigung an die USA) setzte die US-Führung in Wiesbaden ihre Unterstützung fort, um ukrainische Truppen zu schützen.
- Nach dem Wahlsieg Donald Trumps im November 2024 habe die Biden-Administration noch vor der Amtsübergabe die Beschränkungen für Angriffe auf russisches Gebiet aufgehoben, sodass auch ATACMS-Raketen und britische Storm-Shadow-Raketen tief in Russland eingesetzt werden durften.
- Der ukrainische Präsident Selenskyj besuchte Wiesbaden und wurde dort als „Kriegsheld“ gefeiert.
- Die US-Regierung habe ihre „roten Linien“ wiederholt überschritten und Wiesbaden zu einem „Backoffice des Krieges“ gemacht.
- Insgesamt sei die Ukraine nach Ansicht der New York Times ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland.
Die Fragesteller warnen vor einer hohen Eskalationsgefahr, insbesondere vor einem möglichen Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland, dessen Wahrscheinlichkeit laut CIA nach Aussagen im Bericht von 5–10 % auf 50 % gestiegen sei.
Sie betonen, dass Deutschland nicht Kriegspartei sein dürfe und verweisen auf das Neutra litätsrecht (Art. 5 der Haager Konvention V von 1907), das es verbiete, dass von neutralem Boden aus Kriegshandlungen geplant oder ausgeführt werden.
2. Antwort der Bundesregierung: Strategische Zurückhaltung und Verweigerung
Die Bundesregierung weist die Vorwürfe der AfD nicht direkt zurück, aber sie bestätigt auch keine der dargestellten Fakten. Stattdessen verweigert sie die Beantwortung vieler Fragen mit juristischen und sicherheitspolitischen Begründungen.
Zentrale Aussagen der Bundesregierung:
- Keine Bestätigung oder Dementierung: Die Bundesregierung betont, dass die Nicht-Beantwortung einer Frage weder als Bestätigung noch als Dementi des Sachverhalts gewertet werden darf.
- Keine Kriegspartei: Deutschland sei keine Kriegspartei, da die Schwelle zur Konfliktpartei im humanitären Völkerrecht erst dann überschritten sei, wenn deutsche Streitkräfte direkt militärischen Schaden verursachten.
- Rechtfertigung der Unterstützung der Ukraine: Die Waffenlieferungen und Unterstützung der Ukraine beruhten auf dem Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta.
- Vertraulichkeit außenpolitischer Gespräche: Die Bundesregierung kann zu vertraulichen Gesprächen mit den USA und anderen Verbündeten nicht Stellung nehmen, da dies die außenpolitischen Beziehungen gefährden würde.
- Geheimhaltung von Nachrichtendienstinformationen: Auskünfte über die Tätigkeit deutscher oder ausländischer Geheimdienste auf deutschem Boden können nicht erteilt werden, da dies die Sicherheit der Bundesrepublik gefährden würde.
3. Detaillierte Beantwortung der Fragen (Zusammenfassung)
Die Bundesregierung beantwortet die 52 Einzelfragen überwiegend pauschal oder gar nicht. Hier die wichtigsten Punkte:
Zur Rolle Wiesbadens und der Task Force Dragon (Fragen 1–7, 18–21, 38–40):
- Keine konkreten Aussagen zur Task Force Dragon, deren Aufbau oder Aktivitäten.
- Verweis auf das NATO-Truppenstatut und das Zusatzabkommen, nach denen ausländische Streitkräfte in Deutschland tätig sind.
- Die Bundesregierung bestätigt keine direkte Beteiligung deutscher Behörden an den Planungen.
- Keine Überwachung der Datenströme aus Wiesbaden durch deutsche Behörden.
- Keine eigenen technischen Mittel zur Echtzeitüberwachung militärischer Aktivitäten auf US-Stützpunkten.
Zur Information des Bundestags und der Öffentlichkeit (Fragen 4, 7, 12, 14):
- Der Bundestag werde „fortlaufend und anlassbezogen“ informiert, aber es gibt keine konkreten Angaben, wann und in welcher Form.
- Die PKGr (Parlamentarisches Kontrollgremium) und andere Ausschüsse seien nicht speziell über die Aktivitäten in Wiesbaden informiert worden – Begründung: Fehlende Zuständigkeit oder Geheimhaltung.
- Die Öffentlichkeit wurde nicht informiert, da die Thematik vertraulich sei.
Zur deutschen Souveränität und Kontrolle (Fragen 5, 6, 23–25):
- Die hessische Landesregierung wurde nicht gesondert informiert.
- Es gab keine Beschlüsse des Bundessicherheitsrates zu den US-Aktivitäten, da diese nicht erforderlich seien.
- Das Gewaltmonopol auf deutschem Boden sei gewahrt, da ausländische Streitkräfte deutschem Recht unterliegen.
- Es gibt keine rechtlichen Instrumente, um konkrete militärische Aktivitäten verbündeter Streitkräfte zu untersagen.
- An Änderungen am Stationierungsrecht oder bilateralen Abkommen mit den USA ist nicht gedacht.
Zur völker- und verfassungsrechtlichen Bewertung (Fragen 1, 26–31, 33, 36, 52):
- Die Bundesregierung beantwortet keine hypothetischen Fragen.
- Es wird nicht geprüft, ob die Aktivitäten gegen das Neutra litätsrecht (z. B. Haager Konvention V) verstoßen.
- Kein juristischer Rat wurde eingeholt, ob die Tätigkeiten in Wiesbaden völkerrechtswidrig seien.
- Es ist nicht geplant, den Sachverhalt beim Internationalen Gerichtshof (IGH) oder in der UN vorzubringen.
- Die Bundesregierung lehnt den Begriff „Stellvertreterkrieg“ ab: Die Ukraine verteidige sich selbst im Rahmen des Selbstverteidigungsrechts.
Zur Beteiligung deutscher Beamter und Infrastruktur (Fragen 37, 38):
- Keine deutschen Offiziere oder Beamte waren an der Task Force Dragon beteiligt.
- Es wird nicht bestätigt, ob deutsche Behörden Infrastruktur, Kommunikation oder Logistik für die Operationen bereitstellten.
Zu Risiken und Schutzmaßnahmen (Fragen 47–49):
- Es liegen keine konkreten Lageeinschätzungen zur Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Angriffs auf Deutschland vor.
- Der Katastrophenschutz in Regionen wie Wiesbaden, Mainz und Ramstein liegt bei den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz.
- Seit 2022 wurden die Zivilschutz- und Alarmpläne aktualisiert, aber keine neuen spezifischen Maßnahmen aufgrund der Lage in Wiesbaden veranlasst.
Zu diplomatischen Reaktionen (Fragen 42–45):
- Es werden keine diplomatischen Proteste Russlands bestätigt.
- Die Bundesregierung betont, dass Russland den Krieg beenden müsse.
- Es wurden keine spezifischen diplomatischen Initiativen nach dem New York Times-Bericht gestartet, um eine Eskalation zu vermeiden.
Zur Berichterstattung der „New York Times“ (Fragen 13, 46):
- Die Bundesregierung kommentiert keine Medienberichte.
- Es wird nicht geprüft, ob der Bericht Teil eines „Informationskriegs“ sei.
4. Fazit und Bewertung
Die Antwort der Bundesregierung zeigt eine klare Linie der Zurückhaltung und Geheimhaltung:
- Sie bestätigt nicht, dass von Wiesbaden aus Angriffe auf Russland geplant wurden.
- Sie bestreitet nicht, dass dies geschehen sein könnte.
- Sie weist die Verantwortung weitgehend ab und verweist auf die Zuständigkeit der USA, das NATO-Truppenstatut und die Geheimhaltung außenpolitischer Abstimmungen.
- Die Parlamentsrechte (insbesondere des PKGr) werden nicht gestärkt, sondern durch Verweis auf Geheimhaltung eingeschränkt.
- Die Sicherheitsbedenken der Fragesteller werden nicht ernsthaft aufgegriffen, sondern durch formale Argumente abgewehrt.
Die Antwort wirft daher ernste Fragen zur parlamentarischen Kontrolle, zur Transparenz der Sicherheitspolitik und zur deutschen Souveränität auf. Sie legt nahe, dass deutscher Boden für hochgradig sensible militärische Operationen verbündeter Mächte genutzt wird, ohne dass die Bundesregierung – oder gar der Bundestag – einen direkten Einfluss darauf hat.
Gleichzeitig betont die Bundesregierung, dass Deutschland nicht in den Krieg eingetreten sei und weiterhin die Verteidigung der ukrainischen Souveränität unterstütze – im Einklang mit dem Völkerrecht.
5. Schlussfolgerung
Die Dokumentation zeigt eine tiefe Spannung zwischen sicherheitspolitischer Praxis und parlamentarischer Kontrolle. Während die USA offenbar von deutschem Boden aus eine zentrale Rolle in der militärischen Führung des Ukraine-Kriegs übernommen haben, behält die Bundesregierung bewusst Distanz zu konkreten Aussagen. Dies dient zwar der Sicherheit und Diplomatie, untergräbt aber das Vertrauen in die demokratische Rechenschaftspflicht.
Die AfD nutzt die Anfrage, um auf die Eskalationsgefahr und die Gefährdung der nationalen Sicherheit hinzuweisen. Die Bundesregierung reagiert mit einer juristisch präzisen, aber politisch vorsichtigen Nicht-Antwort, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet.