Deutschland steht erneut am Rand einer industriellen Bewährungsprobe. Die weltweiten Lieferketten geraten ins Wanken – und wieder ist China der entscheidende Faktor. Nach den pandemiebedingten Engpässen drohen nun neue Störungen durch Pekings Exportbeschränkungen für seltene Erden und Halbleiter. Die Folgen reichen bis tief in die deutsche Industrie: Vom Werkzeugmaschinenbauer Schütte bis zu Volkswagen stehen Unternehmen unter Druck. Was sie eint, ist die gefährliche Abhängigkeit von chinesischen Vorprodukten.
Dabei ist die aktuelle Krise kein Zufall, sondern das Resultat jahrzehntelanger Versäumnisse. Deutschland hat seine wirtschaftlichen Interessen in China systematisch ausgebaut – oft unter der Prämisse „Wandel durch Handel“. Doch diese Formel ist gescheitert. China ist heute keine Werkbank des Westens mehr, sondern ein technologischer und geopolitischer Rivale, der seine wirtschaftliche Stärke gezielt als Machtinstrument nutzt.
Während Peking längst strategisch agiert, bleibt Europa gespalten und reaktiv. Brüssel produziert Strategiepapiere, aber kaum Umsetzung. Berlin ringt um Zuständigkeiten zwischen Ministerien. Die EU-Kommission verweist auf ihren „Critical Raw Materials Act“, der die Abhängigkeit von China bis 2030 verringern soll. Doch die Zielmarken – 10 Prozent Eigenförderung, 40 Prozent Verarbeitung, 25 Prozent Recycling – wirken ambitioniert, aber nicht realistisch. Selbst Ursula von der Leyens jüngste Initiative „Resource EU“ bleibt im Ungefähren.
Deutschland versucht seinerseits gegenzusteuern: Milliarden fließen in die heimische Chipproduktion, ein Rohstofffonds soll den Aufbau alternativer Bezugsquellen finanzieren. Doch auch hier lähmen Bürokratie und Ressortstreitigkeiten den Fortschritt. Noch ist kein einziger Euro aus dem Fonds geflossen, obwohl zahlreiche Projekte startklar wären. Es ist ein Sinnbild für das Grundproblem deutscher Wirtschaftspolitik: Analytisch brillant, praktisch lahm.
Zugleich fehlt vielen Unternehmen die eigene Krisenresilienz. Noch immer setzen große Teile der Industrie auf Single-Sourcing und minimalistische Lagerhaltung. Das rächt sich in Zeiten geopolitischer Spannungen. Wirtschaftsministerin Reiche sprach jüngst Klartext: Wer nur einen Lieferanten in China habe, müsse sich kritische Fragen gefallen lassen.
Während Europa debattiert, handeln andere. Die USA sichern sich durch Rohstoffabkommen mit Australien, Japan und afrikanischen Staaten strategischen Zugriff auf seltene Erden. Peking wiederum kontrolliert über 90 Prozent der weltweiten Verarbeitungskapazitäten. Europa läuft hinterher – in einer Welt, in der wirtschaftliche Souveränität zur sicherheitspolitischen Währung geworden ist.
Bleibt die Frage nach dem Ausweg. Neue Allianzen mit rohstoffreichen Demokratien – Kanada, Australien, Indonesien – könnten eine Chance sein. Auch eine engere wirtschaftliche Verflechtung der EU mit dem pazifischen Handelsraum CPTPP wird diskutiert. Doch bis aus der Idee konkrete Projekte werden, droht Deutschland weiter zwischen den Machtblöcken USA und China zerrieben zu werden.
Der Artikel des Handelsblatt zeigt eindrücklich, wie riskant die strategische Kurzsichtigkeit der vergangenen Jahre war. Es ist höchste Zeit für eine nüchterne, interessengeleitete Wirtschaftspolitik – frei von Illusionen über Wandel durch Handel und getragen von dem Bewusstsein, dass wirtschaftliche Stärke wieder nationale Handlungsfähigkeit bedeutet.
Fazit:
Die deutsche Industrie steht an einem Scheideweg: Entweder sie diversifiziert entschlossen – oder sie bleibt Spielball einer globalen Machtkonkurrenz, die längst nicht mehr nur ökonomisch geführt wird.
