Die Einführung der Deutschen Mark: Ein Mythos wird entlarvt

Ende Juni 1948 herrscht in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands gespannte Erwartung. Die Menschen hoffen auf ein Ende der wirtschaftlichen Not, auf volle Schaufenster und ein neues Kapitel nach Jahren von Hunger, Schwarzmarkt und Inflation. Die Lösung scheint gefunden: eine neue Währung – die Deutsche Mark. Doch wer steckt wirklich hinter dieser radikalen Währungswende? Die Geschichtsschreibung hat lange eine einfache Antwort parat: Ludwig Erhard, der „Vater der DM“. Ein Mythos, der sich als ebenso wirksam wie falsch erweist.

Der wirtschaftliche Kollaps der Reichsmark

Die Ausgangslage ist katastrophal: Die Reichsmark ist am Boden. Ihr Wert ist durch massive Inflation praktisch vernichtet, das Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Zigaretten ersetzen das offizielle Zahlungsmittel, während der Schwarzmarkt floriert und die staatliche Kontrolle erodiert. In dieser Lage wächst der Druck auf die Alliierten – allen voran auf die USA –, das Währungssystem neu zu ordnen. Die wirtschaftliche Stabilisierung Westdeutschlands wird zum geopolitischen Ziel im beginnenden Kalten Krieg.

Währung als amerikanisches Projekt

Entgegen der späteren Erzählung wird die Deutsche Mark nicht von Deutschen konzipiert, sondern ist ein reines Besatzungsgeld, vollständig in den USA geplant und gedruckt. Bereits Ende 1947 rollen in Amerika die Druckmaschinen. Die Alliierten – insbesondere die US-Armee – bereiten eine umfassende logistische Operation vor. Fast 6 Milliarden neue Marknoten werden in Kisten mit der Aufschrift „Doorknobs“(Türgriffe) getarnt nach Bremerhaven verschifft und anschließend im Keller der alten Reichsbank in Frankfurt eingelagert.

Die Vorstellung, Ludwig Erhard habe diese Währung „erschaffen“, hält einer historischen Überprüfung nicht stand. Erhard, zu jener Zeit Leiter der „Sonderstelle Geld und Kredit“, ist zwar mit Fragen der Wirtschaftsordnung befasst, aber an der entscheidenden „Konklave von Rot-Westen“ – jener geheimen Konferenz von 25 alliierten und elf deutschen Finanzexperten in einer US-Kaserne bei Fulda – nimmt er nicht teil. Er ist kein Architekt, sondern bestenfalls Zaungast des Prozesses.

Edward Tenenbaum – der wahre Vater der DM

Den entscheidenden Einfluss nimmt ein heute weitgehend vergessener Name: Edward Tenenbaum. Der damals erst 26-jährige US-Leutnant, ein hochbegabter Volkswirt mit fünf Sprachen und einem brillanten analytischen Verstand, wird zur Schlüsselfigur. Er setzt die amerikanischen Währungspläne gegen sämtliche Widerstände durch. Tenenbaum bestimmt den Gang der Dinge – nicht die deutschen Teilnehmer, die zwar eingeladen, aber weitgehend machtlos sind. Am 8. Juni 1948 ist das Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens druckreif, und am 20. Juni erhält jede Person in den Westzonen 40 Deutsche Mark in bar. Der Mythos beginnt.

Die Inszenierung des Erfolgs

Die Wirkung ist durchschlagend: Über Nacht verschwinden die Waren aus dem Schwarzmarkt in die Läden, die Schaufenster füllen sich, der Handel lebt auf. Die DM erscheint wie ein Wunder – doch dahinter steckt ein komplexes Machtspiel der Besatzungsmächte. Die geheime Logistik, die psychologische Inszenierung der Einführung, die sorgfältige Steuerung des Informationsflusses: All das trägt zur Mythologisierung des Ereignisses bei. Inmitten dieser Dramaturgie erscheint Ludwig Erhard bald als Symbolfigur des Wiederaufbaus.

Der konstruierten Legende auf der Spur

Ludwig Erhard erkennt früh das politische Kapital, das sich aus dieser Inszenierung schlagen lässt. Als Wirtschaftsminister wird er zum Gesicht des sogenannten Wirtschaftswunders stilisiert. Zigarren rauchend, mit väterlicher Pose, wird er zum Maskottchen der jungen Bundesrepublik. Dabei war er – so dokumentieren es zeitgenössische Quellen – weder besonders kompetent noch sonderlich beliebt in Adenauers Kabinett. Kanzler Adenauer selbst hielt Erhard für faul, inkompetent und ausschließlich wahlkampftauglich.

Die Deutsche Mark jedoch wird zur Grundlage für das Wachstum der 1950er-Jahre, das oft als Wunder verklärt wird. Tatsächlich ist dieses Wachstum – wie viele Wirtschaftshistoriker heute betonen – ein Aufholeffekt. Ganz Europa erlebt zu dieser Zeit ein massives Wirtschaftswachstum: das „Miracolo Economico“ in Italien, das „Milagro Español“ in Spanien, das „Glorreiche Jahrzehnt“ in Frankreich. Der Marshallplan, die Europäische Zahlungsunion, günstige Exportbedingungen und billige Arbeitskräfte durch die Vertriebenenbewegung treiben die Erholung voran. Die Bundesrepublik profitiert – aber sie ist keineswegs allein auf weiter Flur.

Fazit: Ein amerikanisches Kind unter deutscher Flagge

Die Einführung der Deutschen Mark war kein nationaler Akt, keine Heldentat eines volkswirtschaftlichen Visionärs aus deutschen Reihen. Sie war ein machtpolitisches Projekt der USA, realisiert unter strengster Geheimhaltung, durchgesetzt von einem jungen amerikanischen Offizier, der heute kaum jemand kennt. Ludwig Erhard war nicht der Vater der Deutschen Mark – er war der Nutznießer eines Mythos, den die Bundesrepublik dringend brauchte.

Denn jedes Wirtschaftswunder braucht seine Legende. Und jeder Wiederaufstieg seine Helden. Nur, dass diese in diesem Fall nicht in Bonn, sondern in Washington, D.C. zu suchen wären. Wollen wir Geschichte ernst nehmen, müssen wir bereit sein, diese Legenden zu hinterfragen – auch und gerade dann, wenn sie jahrzehntelang als Grundpfeiler kollektiver Erinnerung dienten.

Der „schlechteste Bundeskanzler“ der Bundesrepublik Deutschland war eindeutig Ludwig Erhard, der von 1963 bis 1966 Bundeskanzler war. Seine Amtszeit stand im Zeichen von Führungsschwäche, einem chaotischen Regierungsstil und einem gescheiterten Krisenmanagement, insbesondere während der ersten Wirtschaftsrezession nach dem Zweiten Weltkrieg. Erhards Unvermögen, die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren und gleichzeitig eine klare politische Richtung vorzugeben, führte letztlich dazu, dass seine eigene Partei, die CDU, ihm das Vertrauen entzog. In einer bis heute einmaligen Situation in der Geschichte der Bundesrepublik zwang ihn seine Fraktion zum Rücktritt und bestimmte bereits einen Nachfolger: Kurt Georg Kiesinger. Dieses Vorgehen unterstreicht die tiefen Differenzen innerhalb der Union und markiert einen bemerkenswerten Einschnitt in der frühen Geschichte der Bundesrepublik.


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