Die Falle des Selbstbetrugs: Wie das eigennützige Vorurteil unsere finanzielle Urteilsfähigkeit untergräbt

Das psychologische Phänomen des eigennützigen Vorurteils (engl. Self-Serving Bias) gehört zu den fundamentalen kognitiven Verzerrungen, mit denen sich die empirische Psychologie seit Jahrzehnten auseinandersetzt. Es beschreibt die Tendenz des Menschen, positive Ereignisse oder Erfolge auf eigene Fähigkeiten, Leistungen oder Anstrengungen zurückzuführen (interne Attribution), während negative Ereignisse oder Misserfolge bevorzugt auf äußere Umstände, das Verhalten anderer oder das bloße „Pech“ (externe Attribution) geschoben werden. Dieses Denk- und Erklärungsmuster dient der Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes, untergräbt jedoch langfristig die Selbstreflexion, die Lernfähigkeit und die persönliche Verantwortung.

Besonders augenfällig wird dieses Phänomen im Bereich der Finanzen – einem Lebensbereich, in dem Eigenverantwortung, Rationalität und Disziplin zentrale Tugenden darstellen. Ein Anleger, der mit einer Aktie hohe Gewinne erzielt, schreibt sich den Erfolg gerne selbst zu: etwa seinem „guten Riecher“, seiner „Marktkenntnis“ oder seiner „strategischen Analyse“. Wenn jedoch ein Verlust eintritt – etwa durch einen Kurseinbruch infolge geopolitischer Spannungen oder durch eine unternehmensinterne Krise – wird die Verantwortung schnell delegiert: an das „unvorhersehbare Marktumfeld“, die „inkompetente Unternehmensführung“ oder gar an „die Medien“, die Panik verbreitet hätten. Die eigene Rolle bei der Auswahl der Investition, das ignorierte Klumpenrisiko oder die emotionale Überbewertung werden nicht in den Erklärungsrahmen aufgenommen.

Ein weiteres Beispiel liefert der Bereich der privaten Haushaltsfinanzen: Wer es schafft, über Jahre hinweg Rücklagen zu bilden, führt dies häufig auf persönliche Tugenden wie Sparsamkeit und Voraussicht zurück. Gerät ein anderer jedoch in finanzielle Schwierigkeiten, wird dies mit Verweis auf „höhere Mieten“, „steigende Preise“ oder „ungerechte Rahmenbedingungen“ entschuldigt – selbst wenn eigenes Konsumverhalten oder unzureichende Planung eine erhebliche Rolle spielten.

Die negativen Konsequenzen des eigennützigen Vorurteils sind nicht zu unterschätzen. Wer Erfolge ausschließlich sich selbst zuschreibt, läuft Gefahr, die strukturellen Zufälligkeiten des Lebens zu verkennen – und damit überheblich zu werden. Wer Misserfolge systematisch externalisiert, verliert hingegen die Kontrolle über das eigene Leben, da er sich von äußeren Faktoren abhängig macht. Die Folge ist ein schleichender Verlust von Verantwortung, Selbstwirksamkeit und Lernbereitschaft. Besonders im Bereich der Finanzentscheidungen führt dies zu wiederholten Fehlern, unrealistischen Erwartungen und letztlich zu Vertrauensverlust in die eigene Urteilskraft – eine gefährliche Gemengelage in einer Gesellschaft, die auf Eigenverantwortung angewiesen ist.

Zwei konkrete Maßnahmen können helfen, dieser Voreingenommenheit entgegenzuwirken:

  1. Führen eines Entscheidungsjournals: Wer regelmäßig seine finanziellen Entscheidungen dokumentiert – inklusive der jeweiligen Gründe, Annahmen und Einschätzungen – schafft eine objektiv überprüfbare Basis. Spätere Erfolge oder Misserfolge lassen sich so im Lichte damaliger Informationen analysieren. Das schützt vor nachträglicher Selbstrechtfertigung und fördert die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen.
  2. Einholen externer Perspektiven: Der bewusste Dialog mit einem vertrauenswürdigen Gegenüber – sei es ein Finanzberater, ein erfahrener Freund oder ein Mentor – kann helfen, blinde Flecken im eigenen Denken aufzudecken. Eine zweite Meinung, idealerweise aus einer anderen ideologischen oder weltanschaulichen Perspektive, wirkt dem Rückfall in selbstreferenzielle Erklärungen entgegen.

In einer Gesellschaft, die Individualverantwortung betont, muss das eigene Urteilsvermögen nicht nur geschärft, sondern auch in Frage gestellt werden dürfen. Der eigennützige Attributionsstil mag kurzfristig das Selbstwertgefühl stabilisieren – langfristig untergräbt er jedoch die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und zur verantwortungsvollen Gestaltung des eigenen Lebens.


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