Die Hufeisentheorie

Die Hufeisentheorie ist ein politisches Modell, das versucht, die Dynamiken der politischen Extreme zu erklären. Sie wurde in den 1970er-Jahren vom französischen Philosophen Jean-Pierre Faye entwickelt und besagt im Kern: Linksextremismus und Rechtsextremismus ähneln sich stärker, als gemeinhin angenommen – nicht trotz, sondern wegen ihrer ideologischen Gegensätzlichkeit.

Was bedeutet das konkret?

Das Modell stellt das politische Spektrum nicht als lineare Achse von links nach rechts dar, sondern als gebogenes Hufeisen:

  • Die gemäßigte Mitte bildet die obere, weiteste Stelle des Bogens – hier stehen demokratische, pluralistische Positionen.
  • Die Extreme links und rechts bilden die beiden unteren Enden des Hufeisens – und nähern sich dabei einander wieder an, sowohl in Methoden, Zielstrukturen als auch in der Systemkritik.

Gemeinsame Merkmale politischer Extreme laut Hufeisentheorie:

  1. Fundamentale Systemkritik: Beide lehnen den parlamentarischen Liberalismus als „korrupt“, „elitenhörig“ oder „nicht volksnah“ ab.
  2. Verschwörungsdenken: Ob globaler Kapitalismus (links) oder „jüdische Weltverschwörung“ (rechts) – beide Extreme nutzen vereinfachte Erklärungen für komplexe Probleme.
  3. Antipluralismus: Die Akzeptanz anderer Meinungen endet oft da, wo die eigene Ideologie gefährdet wird.
  4. Antisemitismus in neuen Formen: Links oft als „Israelkritik“ getarnt, rechts in offener Revision der NS-Geschichte.
  5. Autoritäre Tendenzen: Beide Seiten neigen zu Führerfiguren, Dogmen und Mobilisierung gegen „das Establishment“.

Warum ist das umstritten?

Die Hufeisentheorie ist stark kritisiert worden – vor allem von links. Der Hauptvorwurf lautet: Sie stelle eine falsche Gleichsetzung her zwischen den Beweggründen von links und rechts. Linke Politik ziele auf soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, rechte hingegen auf Ausgrenzung und Hierarchie. Außerdem könne die Theorie dazu benutzt werden, Linke zu delegitimieren, die sich tatsächlich für Menschenrechte und Frieden einsetzen.

Aber: In der politischen Praxis zeigt sich häufig, dass sich extreme Positionen in ihrer Rhetorik und Zielsetzung faktisch annähern, auch wenn sie ideologisch unterschiedlich begründet sind. Genau das erleben wir in Debatten über Israel, Migration oder den Ukrainekrieg – wo linke und rechte Narrative mitunter identische Feindbilder und gemeinsame Schlussfolgerungen hervorbringen.

Beispiel: Israel-Debatte

  • Rechts: Israel sei „nicht besser als andere Staaten“, man solle aufhören, sich schuldig zu fühlen – manchmal gar mit offener Holocaustrelativierung.
  • Links: Israel „verletzt Menschenrechte“, deutsche Solidarität sei falsch verstandene Schuldbewältigung – mit moralischem Anspruch, aber ähnlichem Ergebnis.

Beide delegitimieren letztlich Israel – nur mit unterschiedlichen Argumenten.


Fazit:
Die Hufeisentheorie beschreibt ein provokantes, aber analytisch wertvolles Modell. Sie hilft zu verstehen, warum politische Extreme – bei allen ideologischen Unterschieden – am Ende ähnliche politische Wirkungen entfalten können. Ihre größte Stärke liegt in der Warnung: Wer zu weit an den Rand geht, findet sich vielleicht in Gesellschaft wieder, die er eigentlich ablehnt.


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