Die geopolitischen Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China haben eine neue Eskalationsstufe erreicht – nicht auf dem Schlachtfeld klassischer Kriege, sondern in den Laboren, Rechenzentren und Forschungsinstituten der Welt. In einem Interview mit dem US-Nachrichtenportal Axios erklärte Michael Ellis, stellvertretender Direktor der CIA, dass der technologische Wettlauf mit der Volksrepublik China die zentrale Herausforderung für die amerikanische Sicherheitsarchitektur darstelle. Wörtlich bezeichnete er China als eine „existenziellen Bedrohung“ – eine Formulierung, die in der außenpolitischen Rhetorik der USA bislang nur selten verwendet wurde, und wenn, dann meist im Kontext atomarer Bedrohungsszenarien während des Kalten Krieges.
Im Zentrum dieser neuen Bedrohungswahrnehmung stehen Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Biotechnologie und die Halbleiterproduktion – allesamt Innovationsfelder, die sowohl wirtschaftlich als auch militärisch strategische Bedeutung besitzen. Laut Ellis sei es das oberste Ziel der CIA, sicherzustellen, dass die Vereinigten Staaten in diesen Zukunftstechnologien ihre technologische Überlegenheit nicht nur behaupten, sondern ausbauen. Der Ansatz der US-amerikanischen Geheimdienste habe sich radikal verändert: Während im Kalten Krieg noch Panzer gezählt wurden, um die Schlagkraft der Sowjetunion zu bewerten, müsse man heute in der Lage sein, komplexe Forschungsnetzwerke zu durchdringen und die Innovationszyklen chinesischer Tech-Unternehmen zu antizipieren.
Diese strategische Neuausrichtung bringt tiefgreifende Veränderungen innerhalb der US-amerikanischen Sicherheitsbehörden mit sich. Die CIA sieht sich in der Pflicht, nicht nur ihre technische Infrastruktur auszubauen, sondern auch Personal mit ausgeprägtem naturwissenschaftlichem Hintergrund zu rekrutieren. Ingenieurinnen, Informatiker und Datenanalystinnen ersetzen zunehmend die klassischen Agentenprofile, wie sie während des Anti-Terror-Kampfes der letzten zwei Jahrzehnte vorherrschend waren. Diese Entwicklung markiert einen Paradigmenwechsel in der Intelligence-Community – weg von der reinen Aufklärung hin zur gezielten Technologieförderung und Innovationssicherung.
Besonders bemerkenswert ist die zunehmende Öffnung gegenüber dem privaten Sektor. Ellis berichtet von Gesprächen mit Tech-Größen wie Elon Musk, in denen es um Möglichkeiten ging, staatliche Innovationsprozesse effizienter zu gestalten, Bürokratie abzubauen und künstliche Intelligenz für sicherheitsrelevante Anwendungen nutzbar zu machen. In einem Land, dessen technologische Avantgarde traditionell aus dem Silicon Valley stammt, scheint die Grenze zwischen privatwirtschaftlicher Forschung und staatlicher Sicherheitsstrategie zunehmend zu verschwimmen.
Diese Entwicklung ist jedoch nicht unumstritten. Kritiker warnen vor einer fortschreitenden Militarisierung zivilgesellschaftlicher Technologien und einer gefährlichen Technokratisierung der Außenpolitik. Wenn alles – von Spracherkennung bis zur DNA-Analyse – sicherheitsrelevant wird, droht eine Ausweitung geheimdienstlicher Einflussnahme auf nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.
Hinzu kommt, dass die Warnungen vor chinesischen Cyberangriffen – wie sie etwa im Zusammenhang mit den Operationen „Volt Typhoon“ und „Salt Typhoon“ geäußert wurden – zwar plausibel sind, aber auch gezielt politisch instrumentalisiert werden können. Die Vorstellung, dass China im Falle eines Taiwan-Konflikts durch digitale Angriffe die Handlungsfähigkeit der USA lähmen könnte, ist beunruhigend. Doch es stellt sich auch die Frage, ob solche Bedrohungsszenarien nicht auch zur Rechtfertigung massiver Investitionen in Militärtechnologie und zur Abschottung von Lieferketten herangezogen werden – mit weitreichenden Folgen für die globale Wirtschaftsordnung.
Insgesamt zeichnet sich ab, dass der technologische Wettstreit zwischen China und den Vereinigten Staaten nicht nur ein ökonomischer, sondern ein tiefgreifend politischer und sicherheitsstrategischer Konflikt ist. Die CIA positioniert sich dabei nicht mehr nur als stiller Beobachter im Hintergrund, sondern zunehmend als aktiver Akteur in einem globalen Ringen um die Kontrolle über die Technologien der Zukunft. Ob dies langfristig zu mehr Sicherheit oder vielmehr zu einer neuen Form der globalen Konfrontation führt, bleibt eine offene Frage. Fest steht nur: Der Kalte Krieg des 21. Jahrhunderts wird nicht mit Raketen, sondern mit Algorithmen geführt.