Die Transformation der Migros: Ein strategischer Neustart für die Zukunft im Schweizer Detailhandel

Die Migros-Gruppe, eine der größten Genossenschaften der Schweiz, steht seit 2021 inmitten einer tiefgreifenden Transformation. Das Ziel: eine klare Rückbesinnung auf ihr Kerngeschäft im Lebensmittelhandel. Sinkende Marktanteile und eine Halbierung der Rentabilität innerhalb eines Jahrzehnts haben diesen Wandel notwendig gemacht. Durch den Verkauf nicht-strategischer Geschäftsbereiche, massive Investitionen in Preissenkungen und Filialmodernisierungen sowie eine Stärkung der Eigenmarken will sich die Migros bis 2030 wieder als unangefochtene Nummer 1 im Schweizer Detailhandel positionieren. Dabei setzt sie auf Wettbewerbsfähigkeit, Kundennähe und operative Effizienz – ein ambitioniertes Vorhaben, das sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringt.

Strategische Neuausrichtung: Abschied von nicht-kernnahen Geschäftsfeldern

Ein zentraler Bestandteil der Transformation ist die konsequente Trennung von Geschäftsbereichen, die nicht zum strategischen Fokus auf Detailhandel, Finanzdienstleistungen und Gesundheit passen. Zu den prominentesten Verkäufen gehört die Hotelplan Group, die trotz eines Rekordgewinns im Jahr 2023 im ersten Quartal 2025 veräußert werden soll. Ursprünglich für Ende 2024 geplant, verzögert sich der Prozess aufgrund behördlicher Genehmigungen in Großbritannien. Migros-CEO Mario Irminger betont, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen Vorrang hat – selbst wenn dies einen niedrigeren Verkaufspreis bedeutet. Als potenzielle Käufer stehen die deutsche Dertour-Gruppe und Hometogo im Gespräch. Auch die Mibelle Group, zuständig für Kosmetik-, Wasch- und Putzmittelproduktion, wird voraussichtlich aufgeteilt verkauft, da sich kein Investor für das Gesamtunternehmen fand. Hier prüft Migros eine Zerschlagung in die Bereiche Personal Care, Home Care und Nutrition, wobei der Verkauf ebenfalls bis Q1 2025 andauern könnte. Bereits abgeschlossen ist hingegen der Verkauf der Fachmärkte wie SportX, Melectronics und Bike World, während für Micasa, Do it + Garden und Obi-Franchisestandorte noch Verhandlungen laufen.

Laut Irminger basiert diese Desinvestitionsstrategie auf einer „harten Portfoliobewertung“. Nur Geschäftsbereiche mit langfristiger Marktführerschaftsperspektive sollen bleiben. Die nicht-kerngeschäftlichen Sparten machten zuletzt nur 22 % des Gesamtumsatzes aus, verursachten jedoch überproportionale Komplexität und Kosten. Gleichzeitig sollen die Verkaufserlöse – der Hotelplan-Verkauf allein soll Hunderte Millionen Franken einbringen – Kapital für Investitionen ins Kerngeschäft freisetzen.

Preissenkungen und Investitionen: Kampf gegen die Discounter

Um im Wettbewerb mit Discountern wie Aldi und Lidl zu bestehen, verfolgt Migros eine aggressive Preispolitik. Seit Oktober 2024 wurden die Preise für 1.000 Produkte des täglichen Bedarfs – darunter Obst, Gemüse, Fleisch und Convenience-Artikel – um durchschnittlich 15 % gesenkt. Bis 2029 plant das Unternehmen, 500 Millionen CHF in weitere Preissenkungen zu investieren. CEO Peter Diethelm macht klar: „Es gibt keinen Grund mehr, zum Discounter zu gehen.“ Parallel dazu fließen 2 Milliarden CHF in den Ausbau des Filialnetzes: Bis 2030 sollen 140 neue, vorwiegend kompakte M-Filialen entstehen, 350 bestehende Supermärkte modernisiert und das Netz auf insgesamt 930 Filialen erweitert werden. Damit sollen 200.000 zusätzliche Haushalte erreicht werden. Die neuen Filialkonzepte setzen auf digitale Kassen, erweiterte Frischetheken und lokale Produkte – in Zürich wird bereits mit Stores getestet, die 30 % mehr Platz für Bio- und Regionalware bieten.

Eigenmarkenoffensive und Lieferkettenoptimierung

Ein weiterer Pfeiler der Strategie ist die Stärkung der Eigenmarken. Der Anteil am Umsatz soll von aktuell 78 % bis 2027 auf über 80 % steigen. Dazu wird die Premiumlinie „Delicessa“ für Gourmetprodukte ausgebaut, die Budgetmarke „M-Budget“ im Discounter-Wettbewerb gestärkt und 200 neue Bio-Produkte unter „M-Bio“ eingeführt. Gleichzeitig optimiert die Migros-Industrie ihre Lieferketten: Die Produktionstochter Delica AG fokussiert sich auf Eigenmarken und schließt unrentable Auslandsstandorte, um die Eigenproduktionsquote – etwa bei Frischfleisch von 45 % auf 60 % – zu erhöhen.

Arbeitsmarkt und Nachhaltigkeit: Verantwortung im Wandel

Die Transformation hat auch soziale Folgen. Bis 2026 fallen 1.500 Stellen weg, 415 davon bereits 2024 durch die Fachmarktverkäufe. Migros setzt auf natürliche Fluktuation, interne Umschulungen und großzügige Abfindungen von bis zu 18 Monatsgehältern. Gleichzeitig integriert die Neuausrichtung ökologische Ziele: Bis 2026 sollen alle Filialen mit 100 % Ökostrom laufen, bis 2030 wird die Plastikverpackung um 50 % reduziert, und alle Eigenmarkenprodukte erhalten ein CO₂-Label. Kritiker warnen jedoch vor einem „Race to the Bottom“ bei Lieferantenstandards durch die Preissenkungen. Migros versichert, dass dies nicht auf Kosten der Erzeuger gehe und ein Monitoring-System mit Bauernvertretern eingeführt werde.

Finanzielle Perspektive und langfristige Ziele

Die Gesamtinvestitionen belaufen sich bis 2029 auf 8,5 Milliarden CHF, finanziert durch Verkaufserlöse, Gewinnrücklagen und Effizienzsteigerungen. Die Renditeerwartungen liegen bei fünf bis sieben Jahren für Preissenkungen und zehn bis zwölf Jahren für Filialinvestitionen. Bis 2030 will Migros ihren Marktanteil im Lebensmittelhandel von 22 % auf 25 % steigern, den Preisabstand zu Discountern von 12 % auf 5 % verringern und den Online-Umsatz von 8 % auf 15 % erhöhen. Während Hauptkonkurrent Coop bislang nicht mit Preiskampagnen reagiert, sondern auf Premiumisierung setzt, prognostizieren Analysten einen möglichen Preiskrieg, der die Margen beider Genossenschaften langfristig belasten könnte.

Herausforderungen und Ausblick

Die Transformation bringt operative Hürden mit sich, etwa Lieferkettenprobleme durch die Eigenmarkenoffensive oder eine noch ausbaufähige Digitalisierung. Dennoch markiert sie einen Paradigmenwechsel: Weg vom diversifizierten Konglomerat, hin zum fokussierten Lebensmittelhändler. Kurzfristige Schmerzen wie Stellenabbau sind unvermeidlich, doch die Migros setzt auf eine langfristige Stabilisierung ihrer Marktposition. Ob die massiven Preissenkungen tatsächlich Kunden von Discountern zurückholen, ohne die Qualitätswahrnehmung zu gefährden, wird entscheidend sein. Ebenso muss die Genossenschaft beweisen, dass ihr Modell im digitalen Zeitalter Bestand hat. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob diese Jahrhunderttransformation die Migros fit für die nächsten 100 Jahre macht.


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