Trotz historisch hoher Energiepreise und anhaltender Inflationssorgen sieht die Bundesregierung derzeit keine allgemeine Senkung der Stromsteuer für Privathaushalte vor. Diese Entscheidung stößt auf zunehmende Kritik – nicht nur aus den Reihen der Opposition, sondern auch von Verbänden, Ländern und Teilen der Koalition selbst. Der Verzicht auf eine Maßnahme, die im Koalitionsvertrag ursprünglich angekündigt wurde, wirft Fragen nach politischer Verlässlichkeit, sozialer Gerechtigkeit und haushaltspolitischer Prioritätensetzung auf.
Die Stromsteuer in Deutschland gehört mit rund 2,05 Cent pro Kilowattstunde (zzgl. Umsatzsteuer) zu den höchsten in der Europäischen Union. Ursprünglich eingeführt im Rahmen der ökologischen Steuerreform Ende der 1990er-Jahre, sollte sie Anreize zum Energiesparen setzen. In der aktuellen Lage jedoch – geprägt von krisenbedingten Mehrbelastungen und wirtschaftlicher Unsicherheit – wirkt sie zunehmend regressiv: Je geringer das Einkommen, desto höher fällt der relative Steueranteil an den Stromkosten aus.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP war eine Absenkung der Stromsteuer auf das europarechtlich zulässige Minimum für alle Stromverbraucher vorgesehen. Das Ziel war klar: eine breite, sozial ausgewogene Entlastung. Doch dieses Vorhaben wurde stillschweigend aufgegeben. Die Bundesregierung beschränkt sich inzwischen auf punktuelle Entlastungen für Industrie, produzierendes Gewerbe und Landwirtschaft – mit Verweis auf die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Für Privathaushalte, kleine Betriebe oder das Handwerk bleibt die Stromsteuer hingegen unangetastet.
Diese Schieflage bleibt nicht unwidersprochen. Vertreter der Grünen, darunter Michael Kellner, kritisierten öffentlich, dass die Regierung ein zentrales Versprechen nicht einlöse. Auch die Handwerkskammern sprechen von einem „Signal in die falsche Richtung“. Sogar in der Union, etwa durch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, wird der Vorwurf des Wortbruchs erhoben. Der energiepolitische Sprecher der AfD-Fraktion sprach gar von einer bewussten Täuschung der Wählerinnen und Wähler.
Die Bundesregierung rechtfertigt sich mit haushaltspolitischen Zwängen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) fehlen Milliardenbeträge, was politische Spielräume drastisch einschränkt. Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche betonte, dass man dennoch „sehr viel Geld in die Hand nehme“ – etwa zur Stabilisierung der Netzentgelte oder zur Fortführung der EEG-Umlageübernahme im Bundeshaushalt. Auch die Abschaffung der Gasspeicherumlage wird als Entlastung für alle kommuniziert.
Doch diese Argumentation überzeugt nicht vollständig. Während Unternehmen von milliardenschweren Steuererleichterungen profitieren, bleibt der Eindruck bestehen, dass private Haushalte die Hauptlast der Energiewende und der Inflation tragen. Der Verzicht auf eine Stromsteuersenkung für alle wirkt wie ein symbolischer Offenbarungseid: Versprochen wurde eine sozial-ökologische Entlastungspolitik – umgesetzt wird eine industriezentrierte Subventionierung.
Langfristig droht dies das Vertrauen in politische Planbarkeit und Gerechtigkeit weiter zu untergraben. Die Stromsteuer wäre ein unkompliziertes, direkt wirksames Instrument zur breiten Entlastung. Dass die Bundesregierung trotz offenkundiger Notwendigkeit darauf verzichtet, offenbart nicht nur finanzielle Engpässe, sondern auch einen Mangel an politischen Prioritäten.
In Zeiten multipler Krisen braucht es nicht nur fiskalische Vorsicht, sondern auch soziale Sensibilität und politische Standhaftigkeit. Eine Stromsteuersenkung für alle wäre ein Zeichen gewesen – für Entlastung, für Glaubwürdigkeit, für Fairness. Dass dieses Zeichen ausbleibt, ist ein politischer Fehler mit Langzeitwirkung.