Im Rahmen eines tiefgehenden kritischen Diskurses lässt sich die Entscheidung der Bundeswehr, ihre „private Cloud“ (pCloudBw) anhand einer „Google Cloud Air‑Gapped“-Lösung in Kooperation mit der BWI GmbH umzusetzen, wie folgt bewerten:
1. Strategischer Schritt – aber welchen Preis zahlt die Souveränität?
Die Bundeswehr schafft mit zwei physisch voneinander isolierten Cloud-Instanzen („air‑gapped“) in eigenen Rechenzentren eine technisch beeindruckende Architektur bis Ende 2027. Funktional unterstützt wird dieses Konzept durch SAP BTP, das auf Google-Infrastruktur ausgelegt ist). Zwar wird der Bundeswehr damit operativ maximale Kontrolle zugesprochen; jedoch verändert das nichts daran, dass der Quellcode, Patches, Firmware und Hypervisor weiterhin fest in den Händen eines US‑Konzerns liegen – mit allen Implikationen etwa durch den US‑Cloud‑Act und FISA. Selbst wenn Daten physisch isoliert sind, bleibt der tiefgreifende Zugriffspunkt – Google – bestehen. Dieser Punkt wird von Experten als entscheidende Achillesferse gesehen.
2. Expertenstimmen – deutliche Warnsignale
IT‑Sicherheitsfachleute äußern sich kritisch: So warnt Christian Hock davor, dass essenzielles wie Patches oder Updates weiterhin von Google kontrolliert werde. Er empfiehlt dringend, klare Exit-Strategien vorzusehen und Open-Source-Fallbacks zu prüfen. Der Gründer von luckycloud, Luc Mader, bezeichnet die Air‑Gap‑Technologie als „Feigenblatt“, weil sie keinen transparenten Code gewährleiste und keine unabhängige Auditierbarkeit biete. Aus ähnlicher Perspektive argumentiert Nextcloud-CEO Frank Karlitschek:
„Wenn man einen proprietären Software-Stack einführt, der nur von einem einzigen Unternehmen gewartet werden kann, begibt man sich in eine 100 %ige Abhängigkeit“.
Diese zentralen Stimmen zeigen, dass eine angeblich souveräne Lösung ohne tiefergehende Kontrolle über Code und Infrastruktur zur „technologischen Abhängigkeit“ führt.
3. Die strategische Ebene – Multi-Cloud, Open Source und europäische Optionen
Die BWI betont die Einführung eines Multi‑Cloud‑Ansatzes sowie verstärkte Nutzung von Open‑Source-Komponenten, um digitale Souveränität zu stärken. Kritisch zu betrachten ist jedoch, wie ernsthaft solche Open‑Source-Vorhaben tatsächlich in der Umgebung von proprietärer Google-Technologie umgesetzt werden können. Zugleich bleibt offen, warum nicht europäische oder eigene Cloud-Alternativen – etwa Gaia‑X, Sovereign Cloud Stack oder ZenDiS/openDesk – ernsthaft priorisiert wurden.
4. Warum europäische Unabhängigkeit fehlt – politisches Versäumnis
Bisher mangelt es an politischem Willen zur Förderung einer eigenen, wirklich souveränen Cloud-Infrastruktur. Während Ansätze europäischer Herkunft existieren, fehlt häufig die notwendige Skalierung und staatliche Priorisierung. Die Wahl eines etablierten US-Anbieters verschiebt lediglich die Abhängigkeit – ein Podest für eigenständige europäische Lösungen wird so kaum errichtet.
5. Fazit – ein Schritt mit Ambivalenz
Die Google‑Air‑Gap‑Lösung sichert der Bundeswehr zweifellos Effizienz, technischen Fortschritt und den Betrieb geschäftskritischer Anwendungen. Dennoch bleibt die grundlegende Frage unbeantwortet: Kann digitale Souveränität bestehen, wenn zentrale Kontroll- und Wartungsmechanismen in fremder Hand verbleiben? Experten und Kritiker warnen konsistent: Ohne transparente Codebasis, eigene Auditfähigkeit und Exit-Strategien wird die Wahl eines US-Hyperscalers zur strategischen Schwachstelle – ein hochriskantes Arrangement unter Etikett eines modernen Sicherheitsmodells.
Empfehlungen für eine ausgewogenere Orientierung
Ein wirklich souveräner Ansatz müsste umfassen:
- Unabhängige Code‑Audits von Firmware und Hypervisor
- Verbindlich definierte Exit‑Szenarien und Open‑Source-Fallbacks
- Gezielte Investitionen in europäische Cloud-Projekte zur Reduzierung der Abhängigkeit
- Offenlegung von Governance‑Strukturen, Verantwortlichkeiten und Kosten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit.
Eine technokratisch sauber strukturierte Infrastruktur reicht nicht aus, wenn politische, rechtliche und wirtschaftlich-strategische Unabhängigkeit entbehrt. Die Bundeswehr und die BWI sollten dringend Abhängigkeiten benennen, alternative Architekturen evaluieren und die Air‑Gap‑Strategie nicht als Allheilmittel verkaufen.