Einheitliche Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld: Zwischen fiskalischer Vernunft und sozialpolitischer Verantwortung

Der IW-Kurzbericht 63/2025 mit dem Titel „Arbeitslosenversicherung: Einheitliche Bezugsdauer spart Milliarden“ beleuchtet die Effekte und Implikationen der verlängerten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose in Deutschland. Die Autoren Holger Schäfer und Stefanie Seele argumentieren, dass eine Vereinheitlichung der Bezugsdauer auf 12 Monate für alle Altersgruppen nicht nur gerecht, sondern auch fiskalisch sinnvoll sei. Im Folgenden die wesentlichen Inhalte und eine kritische Würdigung:

1. Wirkung der Bezugsdauer auf die Arbeitslosigkeit
Die Dauer des Arbeitslosengeldbezugs beeinflusst direkt das Suchverhalten von Arbeitslosen. Je länger die Leistung gezahlt wird, desto geringer ist der Druck zur schnellen Wiederaufnahme einer Beschäftigung. Empirisch gut belegt ist dieser Effekt durch Studien von Riphahn/Schrader und Lichter/Schiprowski: Eine verlängerte Bezugsdauer führt zu längerer Arbeitslosigkeit – und damit paradoxerweise zu dem Gegenteil dessen, was sie sozialpolitisch intendiert.

2. Gerechtigkeit der unterschiedlichen Bezugsdauer
Das Argument, dass Ältere aufgrund längerer Beitragszahlung einen längeren Leistungsbezug verdient hätten, wird zurückgewiesen. Die Arbeitslosenversicherung sei kein „Sparvertrag“, sondern ein Risikoversicherungssystem – ähnlich der Krankenversicherung. Wer lange einzahlt, genießt dauerhaft Schutz, selbst wenn nie Leistungen beansprucht werden.

3. Altersdifferenzierte Bezugsdauer in Deutschland
Aktuell gelten folgende Staffelungen:

  • Ab 50 Jahren: 15 Monate
  • Ab 55 Jahren: 18 Monate
  • Ab 58 Jahren: 24 Monate

Diese Differenzierung ist historisch mit den geringeren Wiedereingliederungschancen Älterer begründet. Doch laut Bericht liegt die Arbeitslosenquote Älterer (55+) mit 6,4 % kaum über dem Durchschnitt (6,2 %). Die Autoren vermuten sogar, dass die verlängerte Bezugsdauer selbst eine Ursache für verzögerte Rückkehr in Arbeit ist – etwa durch kalkulierte Übergänge in den Vorruhestand.

4. Fiskalische Auswirkungen einer Vereinheitlichung
Eine Angleichung der Bezugsdauer auf 12 Monate für alle Altersgruppen könnte laut IW-Bericht jährlich über 2 Milliarden Euro einsparen. Das entspräche einer rechnerischen Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 0,16 Prozentpunkte. Selbst im ungünstigsten Fall – vollständiger Übergang in Bürgergeld nach Ablauf der 12 Monate – verbliebe eine Nettoersparnis von rund 400 Millionen Euro.

5. Arbeitsmarktwirkungen und Fachkräftemangel
Die Autoren heben hervor, dass eine einheitliche Bezugsdauer auch die Arbeitsanreize für Ältere stärken und damit einer Frühverrentung entgegenwirken würde. In Zeiten des demografisch bedingten Fachkräftemangels sei dies ein arbeitsmarktpolitischer Vorteil. Die Maßnahme könne helfen, Erwerbsverläufe bis zur Regelaltersgrenze zu stabilisieren und den Pool verfügbarer Fachkräfte zu vergrößern.

Kritische Einordnung
Die Argumentation des IW ist ökonomisch konsistent und datengestützt, allerdings stark von einer marktliberalen Perspektive geprägt, die Eigenverantwortung und Anreize über sozialen Ausgleich stellt. Es fehlt eine tiefere Betrachtung struktureller Arbeitsmarkthindernisse für Ältere – etwa altersdiskriminierende Einstellungspraktiken oder fehlende Qualifizierungsangebote. Auch bleibt unklar, wie realistisch es ist, dass ältere Arbeitslose innerhalb von 12 Monaten eine adäquate Stelle finden – gerade in Regionen mit schwacher Wirtschaftsstruktur. Die postulierte „Gerechtigkeit“ durch Gleichbehandlung könnte daher in der Praxis zur faktischen Benachteiligung führen, wenn die strukturellen Unterschiede der Altersgruppen ignoriert werden.

Fazit
Der Bericht plädiert mit ökonomischer Stringenz und fiskalpolitischem Kalkül für eine pauschale Vereinheitlichung der Arbeitslosengeld-Bezugsdauer. Während das Argument der Effizienz überzeugt, sind die sozialen Implikationen differenzierter zu betrachten. Eine Reform der Bezugsdauer müsste – um gerecht zu sein – flankiert werden von Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit Älterer, etwa durch gezielte Weiterbildung, präventive Gesundheitsförderung und den Abbau altersbedingter Diskriminierung im Arbeitsmarkt. Nur dann könnte sie ihrem doppelten Anspruch – Effizienz und Gerechtigkeit – gerecht werden.


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