Warum Deutschland jetzt marktwirtschaftlichen Realismus braucht
Der jüngst vorgelegte Monitoringbericht zur Energiewende, flankiert von den zehn Schlüsselmaßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums, zeichnet ein klares Bild: Deutschland steht energiepolitisch an einer kritischen Wegscheide. Zwar ist der Ausbau erneuerbarer Energien beachtlich, doch die wirtschaftlichen, sozialen und industriellen Kosten dieser Politik sind inzwischen so erheblich, dass eine Korrektur unausweichlich erscheint. Die entscheidende Frage lautet: Gelingt es, den Anspruch der Klimaneutralität mit der Realität von Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit zu verbinden?
Der Bericht benennt eine Schwäche, die lange verdrängt wurde: Die installierte Kapazität von Wind- und Solaranlagen liefert nur zeitweise Überschüsse, zwingt jedoch parallel zu massiven Investitionen in Netze, Speicher und Reservekraftwerke. Die volkswirtschaftlichen Kosten dieser Doppelstrukturen tragen Unternehmen und private Haushalte über steigende Strompreise – eine soziale und industrielle Hypothek, die den Standort Deutschland schwächt. Hinzu kommen Subventionslasten, Export von Überkapazitäten ins Ausland zu Niedrigpreisen sowie die Abhängigkeit von Gasimporten für den Betrieb konventioneller Kraftwerke. Die Energiewende ist damit längst keine rein ökologische Frage mehr, sondern ein handfester Standortfaktor.
Die Bundesregierung zieht daraus nun Konsequenzen. Zehn wirtschafts- und wettbewerbsfreundliche Maßnahmen sollen das System stabilisieren: von einer ehrlichen Bedarfsermittlung über die Schaffung eines technologieoffenen Kapazitätsmarkts bis hin zur forcierten Digitalisierung und der Etablierung von Carbon Capture (CCS). Zentral ist die Rückkehr zu marktwirtschaftlicher Rationalität. Subventionen sollen überprüft, Überförderung vermieden und Preissignale wieder wirksam gemacht werden. Der europäische Emissionshandel soll die zentrale Rolle spielen – nicht die politische Feinsteuerung einzelner Technologien.
Gerade in diesem Punkt liegt der entscheidende Paradigmenwechsel. Jahrzehntelang war die Energiewende von einer Mischung aus planwirtschaftlicher Steuerung, technologischer Einseitigkeit und symbolpolitischem Überschwang geprägt. Nun setzt sich die Erkenntnis durch, dass Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit nicht durch immer neue Förderprogramme und Vorschriften gesichert werden können, sondern durch marktkonforme Mechanismen, Investitionssicherheit und Technologieoffenheit. Dass auch bislang kritische Themen wie Kernfusion, Tiefengeothermie oder CCS nun explizit als Zukunftstechnologien genannt werden, zeigt, wie stark sich der energiepolitische Diskurs verschiebt.
Besonders brisant ist die Lage beim Wasserstoff. Während Brüssel auf enge Definitionen von „grünem Wasserstoff“ pocht, will Berlin pragmatischer vorgehen und auch kohlenstoffarmen Wasserstoff zulassen. Das ist ökonomisch sinnvoll: Ohne Flexibilität bei den Quellen bleibt die deutsche Industrie von Pilotprojekten abhängig, anstatt rasch in eine skalierbare Wasserstoffwirtschaft einzutreten. Die bisherigen Zielvorgaben für Elektrolysekapazitäten sind ohnehin unrealistisch und drohen, Kapital fehlzulenken.
Gleichzeitig zeigt der Bericht auch die Grenzen der Belastbarkeit auf. Über 15.000 Rechtsnormen, komplexe Regulierungen und widersprüchliche Vorgaben belasten die Unternehmen. Strompreise sind zu einem sozialen Sprengsatz geworden, weil sie nicht mehr nur Industrie und Mittelstand, sondern auch Haushalte überfordern. Wenn die Politik nicht gegensteuert, droht die Akzeptanz für die Energiewende vollends zu erodieren.
Klimaschutz darf kein Selbstzweck sein, sondern muss mit Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit vereinbar bleiben. Eine Volkswirtschaft, die ihre industrielle Basis opfert, kann auch keine nachhaltige Umweltpolitik betreiben. Es ist daher richtig, dass die Bundesregierung den Fokus verschiebt – hin zu Kostenwahrheit, Pragmatismus und marktwirtschaftlichen Leitplanken.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob dieser Kurswechsel gelingt. Er wird Widerstände hervorrufen – nicht zuletzt bei jenen, die von den bestehenden Subventionsstrukturen profitieren. Doch ohne eine ehrliche Rückbesinnung auf ökonomische Prinzipien droht die Energiewende zu einem riskanten, teuer erkauften Experiment zu werden. Deutschland hat die Chance, Vorreiter für eine kluge, realistische Energiepolitik in Europa zu werden. Dafür braucht es Mut zur Korrektur, nicht blinden Fortschrittsglauben.
Bundesministerin Katherina Reiche schlägt zehn wirtschafts- und wettbewerbsfreundliche Schlüsselmaßnahmen vor:
- Ehrliche Bedarfsermittlung und Planungsrealismus – Ausbauziele am tatsächlichen Bedarf ausrichten, Überkapazitäten vermeiden.
- Erneuerbare Energien markt- und systemdienlich fördern – Abkehr von starren Einspeisevergütungen, Einführung marktorientierter Modelle wie CfDs.
- Synchroner Ausbau von Netzen, Erneuerbaren und Flexibilität – Speicher, Netzsteuerung und Flexibilität besser koordinieren.
- Technologieoffenen Kapazitätsmarkt implementieren – Versorgungssicherheit über wettbewerbliche Ausschreibungen sichern.
- Digitalisierung und Flexibilisierung forcieren – Smart-Meter-Rollout, Lastmanagement und Preissignale ausbauen.
- Einheitliche und liquide Energiemärkte sichern – Marktspaltungen vermeiden, Netzengpassmanagement verbessern.
- Förderregime überprüfen und Subventionen senken – Förderungen befristen und gezielt auf Forschung und energieintensive Branchen ausrichten.
- Forschung und Innovation stärken – Fokus auf Schlüsseltechnologien wie KI, Geothermie, Fusion, Wasserstoff, CCS.
- Pragmatische Förderung des Wasserstoff-Hochlaufs – Technologieoffenheit und Abbau regulatorischer Hürden.
- Etablierung von CCS/CCU als Klimaschutztechnologie – rechtliche und finanzielle Grundlagen für CO₂-Abscheidung und -Speicherung schaffen.