Landwirtschaft zwischen Preiskrise und Preisillusion
Die offiziellen Erzeugerpreis-Indizes des Statistischen Bundesamts zeichnen für den September 2025 noch ein vergleichsweise robustes Bild: Die Preise landwirtschaftlicher Produkte liegen im Jahresvergleich um 2,2 Prozent höher, obwohl sie gegenüber August um 1,5 Prozent sanken. Doch diese Zahl täuscht über die tatsächlichen Verwerfungen hinweg. Während pflanzliche Erzeugnisse massiv an Wert verlieren, halten allein die tierischen Produkte den Gesamtindex im Plus.
Der Pflanzenbau verzeichnet einen breit angelegten Preisrückgang. Besonders stark betroffen sind Kartoffeln, deren Erzeugerpreise binnen eines Jahres um 44 Prozent eingebrochen sind – ein Einzeleffekt, der die gesamte Statistik verzerrt. Auch Gemüse, Obst, Getreide und Handelsgewächse stehen unter Druck. Das deutet auf ein strukturelles Überangebot in Verbindung mit guten Ernten hin, aber auch auf einen weiterhin gedämpften Binnenabsatz. Nur wenige Kulturpflanzen wie Raps entziehen sich dem Trend.
Auf der anderen Seite scheint der Markt für tierische Erzeugnisse formal stabiler: Rinderpreise steigen um über 40 Prozent, Geflügel legt zweistellig zu, selbst Milch liegt im Destatis-Jahresvergleich noch klar im Plus. Doch dieser Eindruck einer stabilen Nachfrage hält einer genaueren Betrachtung nicht stand.
Milchsektor: offizielle Zahlen und reale Einkommenskrise
Denn ausgerechnet die Branche, die in der Statistik noch als Preistreiber erscheint, kämpft mittlerweile mit massiven Erlösverlusten. Der Erzeugermilchpreis sinkt seit dem Spätsommer rapide; der sogenannte Rohstoffwert Milch ist auf knapp über 39 Cent je Kilogramm abgestürzt – der niedrigste Stand seit zwei Jahren. Gleichzeitig steigt die Milchanlieferung deutlich über Vorjahresniveau, was die Märkte zusätzlich belastet.
Die Diskrepanz zwischen den weiterhin positiven Jahresveränderungsraten und der aktuellen Marktlage ist gravierend. Molkereien drosseln bereits das Milchgeld, und Branchenverbände warnen vor Auszahlungspreisen, die unter die Produktionskosten von rund 53 Cent fallen könnten. Die Kombination aus steigender Produktion und fallenden Fettpreisen setzt die Erzeuger massiv unter Druck.
Butterpreisverfall als Symptom struktureller Überlastung
Besonders sichtbar wird die Krise am Buttermarkt. Der Großhandel senkt die Preise kontinuierlich, der Einzelhandel folgt und verkauft Marken- wie Eigenmarkenbutter wieder zu Tiefstpreisen. Die süddeutsche Butter- und Käsebörse meldet wöchentliche Abschläge, während der Lebensmitteleinzelhandel mit Sonderangeboten um Kundschaft ringt.
Der Preisverfall ist kein zyklisches Phänomen, sondern Ausdruck einer Überproduktion, die selbst stabile Konsummuster nicht mehr aufnehmen können. Vertreter der Milchviehhalter sprechen von einem „Preissenkungskarussell“, das sich immer schneller dreht. Je tiefer die Butterpreise fallen, desto stärker geraten Molkereien und schließlich Landwirte in Bedrängnis – ein klassischer deflationärer Druck im Rohstoffsektor.
Fazit: Ein Sektor zwischen Realitätsbruch und Marktzwängen
Die amtlichen Erzeugerpreisindizes dokumentieren noch kein Krisenszenario, doch die Marktdaten aus Molkereien und Handel sprechen eine andere Sprache. Der Preisverfall bei Milch und Butter hat längst ein Niveau erreicht, das die wirtschaftliche Tragfähigkeit zahlreicher Betriebe infrage stellt. Die Diskrepanz zwischen statistischer Lage und realer Marktsituation wird sich erst in den kommenden Monaten in den offiziellen Zahlen niederschlagen.
Im Kern zeigt sich: Der deutsche Agrarsektor steht vor einer doppelten Schere. Während Ackerbauern mit Niedrigpreisen kämpfen, geraten Milchviehbetriebe durch Überproduktion und sinkende Margen unter strukturellen Druck. Die Herausforderung für die Politik und Wirtschaft liegt in der Stabilisierung eines Marktes, dessen sichtbare Preissignale zunehmend im Widerspruch zu seiner wirtschaftlichen Basis stehen.
