Ein fundamentaler Umbruch rollt auf die Finanzmärkte zu: Die US-Börsenaufsicht SEC hat kürzlich den Weg freigemacht für eine regelrechte Flut neuer börsengehandelter Fonds (ETFs). Eine bislang einzigartige regulatorische Entscheidung erlaubt es traditionellen Investmentfonds, eine ETF-Anteilsklasse ihrer bestehenden Produkte aufzulegen. Experten sprechen bereits von einem „absoluten Tsunami“, der die ETF-Landschaft innerhalb weniger Wochen nahezu verdoppeln könnte – mit gravierenden Implikationen für Anleger, Märkte und Berater.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es weltweit rund 4.000 ETFs. Nach Einschätzung des renommierten ETF-Analysten Dave Nadig könnte diese Zahl schon bald die Marke von 7.000 überschreiten – ausgelöst durch bis zu 3.000 neue Produkte, die nahezu gleichzeitig auf den Markt drängen. Dass dieser Schub keine bloße Hypothese ist, zeigt die Tatsache, dass über 50 Fondsgesellschaften bereits entsprechende Anträge bei der SEC eingereicht haben.
Die Begeisterung für ETFs ist ungebrochen. Im laufenden Jahr flossen über 400 Milliarden US-Dollar in diese Vehikel, die sich durch geringe Kosten, steuerliche Effizienz und hohe Liquidität auszeichnen. Besonders beliebt sind klassische Indexprodukte wie der S&P 500 ETF von Vanguard, der auf dem besten Weg ist, seinen eigenen Rekord für jährliche Mittelzuflüsse zu brechen. Auch in Zeiten zunehmender Marktvolatilität vertrauen Anleger auf ETFs – sei es in Form von „Buy-the-Dip“-Strategien, inflationsgeschützten Anleihenfonds oder volatilitätsbegrenzten Equity-Produkten.
Doch hinter dem vordergründigen Innovationsdrang verbergen sich ernstzunehmende Risiken. Der Großteil der neuen ETFs dürfte zwar in eher konservative Anlageklassen fallen – wie etwa Large-Cap-Growth- oder Core-Equity-Income-Strategien –, doch die schiere Masse stellt Anleger und Finanzberater vor neue Herausforderungen. Die Gefahr besteht, dass sich Privatanleger in einem unübersichtlichen Dschungel von Produkten verirren, deren Struktur, Risiken und Kosten sie nicht ausreichend verstehen.
Besondere Skepsis ist bei neuen und spekulativen Konstrukten angebracht. So verzeichnete der erste ETF für Private Credit, eine Anlageklasse mit geringer Liquidität, trotz medialer Aufmerksamkeit bislang kaum Handelsvolumen. Zwar konnten prominente Fondsanbieter wie State Street und Apollo Global Management den ETF unter dem Kürzel „PRIV“ auflegen – und das sogar gegen den ausdrücklichen Willen der SEC –, doch das Produkt handelt derzeit lediglich im Bereich von wenigen Tausend US-Dollar pro Tag. Der Markt spricht eine klare Sprache: Die Nachfrage ist bislang enttäuschend.
Noch problematischer wird es, wenn illiquide oder komplexe Anlageformen in ein ETF-Gewand gezwängt werden. ETFs leben von Transparenz und sofortiger Handelbarkeit – Eigenschaften, die bei privaten Beteiligungen oder strukturierten Kreditinstrumenten kaum gegeben sind. In Stressphasen drohen strukturelle Verwerfungen: Wenn Anleger in Panik verkaufen, die zugrunde liegenden Werte jedoch nicht handelbar sind, kann es zu erratischen Preisbewegungen, Liquiditätsengpässen oder unkontrollierten Abschlägen kommen.
Während einige neue ETFs den Zugang zu hochspezialisierten Märkten eröffnen – etwa der Fonds XOVR, der in privat gehaltene Unternehmen wie SpaceX oder Klarna investiert –, warnen Experten davor, solche Produkte mit klassischen Indexfonds zu verwechseln. Derartige Konstrukte werfen die fundamentale Frage auf, ob das ETF-Modell für jede denkbare Anlageklasse geeignet ist. Die SEC selbst denkt laut darüber nach, alternative Strukturen wie geschlossene Fonds oder Intervallfonds stärker für den Privatmarkt zu öffnen – ein Signal, dass die Behörden die Grenzen der ETF-Innovation erkannt haben.
Abschließend lässt sich sagen: Die bevorstehende Explosion an ETF-Produkten stellt einen Wendepunkt dar. Für informierte Anleger können sich daraus neue Möglichkeiten ergeben, insbesondere durch Zugang zu institutionellen Strategien mit niedrigeren Gebühren. Gleichzeitig droht ein Rückfall in altbekannte Muster des aktiven Fondsmanagements – hohe Kosten, intransparente Strategien und die chronische Unfähigkeit, den Markt nachhaltig zu schlagen. Die zentrale Herausforderung besteht daher weniger im Zugang zu neuen Produkten, sondern vielmehr in der Fähigkeit, zwischen substanzieller Innovation und spekulativer Verpackung zu unterscheiden.
Der ETF-Tsunami kommt – die Frage ist nur, ob er Anlegern eine Welle der Renditechancen bringt oder sie in einem Meer aus Komplexität und Risiko untergehen lässt.