1. Kernentscheidung in Brüssel
Die EU hat sich nach langen Verhandlungen darauf geeinigt, der Ukraine weitere 90 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Diese Hilfe wird jedoch nicht aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten finanziert, sondern über neue Schulden, für deren Zinsen zunächst die EU-Staaten und damit deren Steuerzahler aufkommen müssen.
2. Streitpunkt: Russische Vermögenswerte
Ursprünglich war geplant, rund 200 Milliarden Euro eingefrorenes Vermögen der russischen Zentralbank als Sicherheit für ein Reparationsdarlehen zu nutzen. Dieser Plan scheiterte vor allem am Widerstand Belgiens:
- Der Großteil der russischen Gelder liegt beim Finanzdienstleister Euroclear in Belgien.
- Die belgische Regierung fürchtete erhebliche finanzielle und rechtliche Risiken, falls Russland klagt oder Vermögen verloren geht.
- Belgien verlangte umfassende Garantien der anderen EU-Staaten, die jedoch nicht gewährt wurden.
- In der Folge blockierte Belgien die Nutzung der russischen Vermögenswerte.
Hinter den Kulissen werden zudem rechtliche Unsicherheiten und nationale Eigeninteressen als weitere Gründe genannt.
3. Rolle von Bundeskanzler Friedrich Merz
Bundeskanzler Merz hatte sich vor dem Gipfel klar dafür ausgesprochen, die Ukraine-Hilfe aus russischen Vermögenswerten zu finanzieren und dies sogar als grundsätzliche Frage europäischer Sicherheit und Freiheit dargestellt.
Nach dem Kompromiss verteidigte er jedoch das Ergebnis:
- Die EU gehe nun lediglich „in Vorleistung“.
- Langfristig sollen die Kredite weiterhin durch russische Vermögenswerte abgesichert werden.
- Die Entscheidung sende dennoch ein politisches Signal an Russland, dass sich der Krieg nicht lohne.
4. Ausgestaltung des Deals
- Formal hätte eine Mehrheit gereicht, um Belgien zu überstimmen, politisch wollte dies jedoch niemand riskieren.
- Auch andere Staaten (u. a. Ungarn, Tschechien, Slowakei) äußerten Vorbehalte.
- Am Ende stimmten alle zu, teils unter Sonderbedingungen (z. B. Ausnahmen bei Rückzahlungen).
5. Rückzahlung und offene Fragen
- Die Ukraine muss die 90 Milliarden Euro grundsätzlich zurückzahlen, allerdings erst, wenn sie Reparationen von Russland erhält.
- Falls Russland nicht zahlt, behält sich die EU vor, doch noch auf eingefrorene russische Vermögenswerte zurückzugreifen.
- Zeitpunkt und konkrete Umsetzung bleiben völlig offen.
6. Dringlichkeit der Hilfe
Nach EU-Angaben fehlen der Ukraine in den kommenden zwei Jahren rund 135 Milliarden Euro. Bereits ab Frühjahr drohte eine akute Finanzierungslücke, weshalb Präsident Selenskyj auf eine schnelle Entscheidung vor Jahresende gedrängt hatte.
7. Kritische Einordnung
Die Einigung stellt sich als politischen Kompromiss mit erheblichen Schwächen dar:
- Finanzielle Lastverschiebung: Statt den Aggressor unmittelbar heranzuziehen, tragen zunächst europäische Steuerzahler die Kosten.
- Politische Inkonsistenz: Öffentliche Forderungen (u. a. von Merz) und tatsächliches Verhandlungsergebnis klaffen deutlich auseinander.
- Unklare Perspektive: Die Nutzung russischer Vermögen wird vertagt, nicht gelöst – rechtliche und politische Risiken bleiben bestehen.
Gleichzeitig zeigt der Beschluss die Grenzen europäischer Einigkeit: Nationale Interessen und rechtliche Vorsicht wiegen derzeit schwerer als ein konsequentes gemeinsames Vorgehen gegenüber Russland.
