Faktorinvesting

Faktorinvesting bezeichnet einen systematischen Anlageansatz, bei dem Portfolios gezielt auf messbare Unternehmens- oder Marktmerkmale („Faktoren“) ausgerichtet werden, die in der empirischen Kapitalmarktforschung als Treiber langfristiger Überschussrenditen oder als Quellen spezifischer Risiken identifiziert wurden. Der Investor wählt dabei nicht einzelne Titel anhand eines idiosynkratischen Narrativs, sondern gewichtet Wertpapiere so, dass ein definiertes Faktor-Exposure – etwa „Value“ oder „Momentum“ – entsteht. Damit positioniert sich Faktorinvesting zwischen streng passivem Indexing und klassischem Stock-Picking.

Historisch wurzelt der Ansatz in der akademischen Debatte um die Erklärung von Renditen, die über das Capital Asset Pricing Model hinausgehen. Das Fama-French-Dreifaktorenmodell (Größe-, Value- und Marktrisikofaktor) von 1992, später um Profitabilität und Investment-Intensität erweitert, bildet den methodischen Kern vieler Faktorstrategien. Die öffentlich zugänglichen Datenbanken von Kenneth French ermöglichen es, diese Risikoprämien seit 1926 nachzuvollziehen.

Zu den gebräuchlichsten Stilfaktoren zählen Value (niedrige Bewertung), Size (kleine Marktkapitalisierung), Momentum (positive Kursdynamik), Quality (hohe Rentabilität, solide Bilanzen) und Low Volatility (geringe Kursschwankung). Daneben existieren makroökonomische Faktoren wie Zinsstruktur oder Inflation, die primär in Anleihen- und Rohstoffportfolios relevant sind.

In der Praxis erfolgt die Umsetzung meist über sogenannte Smart-Beta-ETFs oder institutionelle Mandate, die regelbasiert Indizes replizieren. ETF-Anbieter wie BlackRock oder indexnahe Vermögensverwalter kombinieren häufig mehrere Faktoren, um die Abhängigkeit von einzelnen Prämienzyklen zu glätten – ein Vorgehen, das als „Multi-Factor Investing“ vermarktet wird. Unterstützt wird dies durch Regressionsanalysen, mit denen sich das ex-post-Exposure gegen gängige Faktorindizes quantifizieren lässt.

Befürworter verweisen auf drei vermeintliche Vorteile: Erstens Diversifikation jenseits der traditionellen Asset-Klassen, zweitens das Potenzial für risikobereinigte Mehrerträge („Alpha ohne Manager“), drittens geringere Kosten verglichen mit aktiven Fonds, da die Auswahlregeln transparent und wiederholbar sind. Praktiker wie Dimensional-Gründer David Booth argumentieren, dass breite Faktorallokationen mit niedrigen Gebühren eine effiziente Markterklärung und -partizipation darstellen.

Kritiker monieren indes eine Reihe struktureller Schwächen. Viele Faktoren seien rückwärtsgerichtet durch Daten-Mining entdeckt worden und verlören nach Popularisierung ihren Renditevorsprung. Hinzu kämen Handelskosten, Kapazitätsgrenzen und das Phänomen „Factor Crowding“, bei dem zu viele Anleger dieselben Signale bespielen, was die Korrelationen in Stressphasen ansteigen lässt. Der Financial-Times-Podcast „Unhedged“ kommt deshalb zu der Frage, ob Faktorinvesting nicht vielmehr „Aktives Management durch die Hintertür“ sei – renditeschwankend, aber ohne den Anspruch individueller Titanauswahl.

Empirisch zeigt sich ein gemischtes Bild: In den 2010er-Jahren litten klassische Value- und Size-Prämien, während alternative Kennzahlen wie Accruals oder operative Profitabilität outperformten. Dies legt nahe, dass Faktoren zyklisch sind und sich ihr Nutzen je nach Marktumfeld ändert. Studien von Robeco betonen, dass Portfolios abseits etablierter Faktoren in Phasen der Underperformance klassische Überrenditen erzielen können – allerdings nur, wenn die Replikationskosten kontrollierbar bleiben.

Für Privatanleger bedeutet das: Faktorinvesting ist weder Patentlösung noch Marketing-Hype. Wer sich der inhärenten Zyklen bewusst ist, ein ausreichend langes Anlagefenster hat und die Kosten der Implementierung – insbesondere versteckte Umschlaghäufigkeit – prüft, kann damit seine strategische Asset-Allokation sinnvoll ergänzen. Wer hingegen kurzfristige Outperformance erwartet, dürfte von den unvermeidlichen Durststrecken enttäuscht werden und läuft Gefahr, prozyklisch immer genau den falschen Faktor zur falschen Zeit zu kaufen.


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