Das Dokument „Drucksache 21/1145“ ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Sascha Müller, Katharina Beck, Dr. Moritz Heuberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag. Die Anfrage befasst sich mit den fiskalischen, verteilungspolitischen und umweltpolitischen Folgen einer Anhebung der Entfernungspauschale. Die Antwort wurde am 1. August 2025 übermittelt und enthält umfangreiche statistische Daten sowie Erläuterungen zu den Hintergründen, Auswirkungen und methodischen Aspekten der Entfernungspauschale im deutschen Steuerrecht.
1. Hintergrund und Ziel der Anfrage
Die Anfrage zielt darauf ab, die Auswirkungen der Entfernungspauschale – einer steuerlich absetzbaren Pauschale für Aufwendungen zur Erreichung der ersten Tätigkeitsstätte – auf verschiedene politische Bereiche zu analysieren. Besonderes Augenmerk liegt auf:
- Fiskalpolitik: Kosten und Einnahmen für den Staat.
- Verteilungswirkungen: Wer profitiert von der Pauschale und wie sozial gerecht ist sie?
- Umweltpolitik: Förderung oder Hemmnis für klimafreundliche Mobilität?
- Kommunale Finanzen: Auswirkungen auf strukturschwache Regionen.
- Statistische und methodische Grundlagen der Erfassung.
2. Kerninhalte der Antwort der Bundesregierung
2.1 Definition und statistische Erfassung der Entfernungspauschale
- Die Entfernungspauschale beträgt aktuell 30 Cent pro Kilometer für die einfache Strecke ab dem zweiten Kilometer (ab 2026 geplant: 38 Cent ab Kilometer 1).
- Sie wird im Rahmen der Einkommensteuererklärung als Werbungskosten geltend gemacht.
- Erfasst werden nur Steuerfälle mit erhöhten Werbungskosten, d. h. solche, deren Werbungskosten über dem Arbeitnehmer-Pauschbetrag (bisher 1.000 Euro) liegen. Personen mit geringeren Aufwendungen geben oft keine Kilometerangaben an oder reichen keine Erklärung ein.
- Die Daten stammen aus der Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2020 und späteren Erhebungen (z. B. Mikrozensus 2016, 2020, 2024).
2.2 Methodische Anmerkungen
- Geschlecht: Wird nicht explizit erhoben, sondern technisch abgeleitet:
- Bei Einzel- oder Getrenntveranlagung: aus dem Anredeschlüssel (Herr/Frau).
- Bei Zusammenveranlagung: Steuerfall A = Mann, Steuerfall B = Frau.
- Eine Zuordnung zur Kategorie „divers“ ist nicht möglich.
- Verkehrsmittel: Die Angaben sind von begrenzter Aussagekraft, da die Wahl des Verkehrsmittels keinen Einfluss auf die Höhe der Pauschale hat. Viele Steuerfälle geben mehrere Verkehrsmittel an.
- Kilometer- und Tageangaben: Beziehen sich auf die Gesamtsumme aller Pendelstrecken mit allen genutzten Verkehrsmitteln.
3. Statistische Auswertungen nach verschiedenen Merkmalen
Die Bundesregierung liefert detaillierte Tabellen zu den Steuerfällen mit erhöhten Werbungskosten und Inanspruchnahme der Entfernungspauschale, untergliedert nach:
3.1 Geschlecht
- Männer nutzen die Entfernungspauschale häufiger und pendeln weiter:
- 2020: 8,3 Mio. Männer (Ø 30,2 km), 5,6 Mio. Frauen (Ø 25,7 km).
- Männer machen ca. 60 % der begünstigten Steuerfälle aus.
- Gründe: Männer arbeiten häufiger in Vollzeit, haben höhere Erwerbsbeteiligung und längere Arbeitswege.
3.2 Alter
- Die höchste Inanspruchnahme der Pauschale erfolgt in den Altersgruppen 30–59 Jahre.
- Jüngere und ältere Arbeitnehmer nutzen sie seltener, da z. B. Auszubildende oft keine Steuererklärung abgeben oder Ruheständler keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben.
3.3 Bruttolohn
- Die Nutzung der Entfernungspauschale steigt mit dem Einkommen:
- Höhere Einkommen = höhere Steuerbelastung = größere Anreize zur Geltendmachung von Werbungskosten.
- Geringverdiener profitieren weniger, da ihr Steuersatz niedriger ist und der Pauschbetrag oft ausreicht.
3.4 Bundesländer
- Unterschiede in der Nutzung sind erkennbar:
- Länder mit stärker ländlich geprägten Strukturen (z. B. Bayern, Niedersachsen) weisen längere durchschnittliche Pendelstrecken auf.
- In Stadtstaaten (Berlin, Hamburg, Bremen) sind die Wege kürzer.
- Die Zahl der Steuerfälle mit Pauschale korreliert mit der Bevölkerungsdichte und der Verkehrsinfrastruktur.
3.5 Verkehrsmittel
- Eigenes PKW: Wird am häufigsten genutzt (ca. 10,7 Mio. Steuerfälle mit erhöhten Werbungskosten).
- ÖPNV, zu Fuß, Rad, Fahrgemeinschaft: ca. 2,6 Mio. Fälle.
- Sammelbeförderung durch Arbeitgeber: ca. 12.700 Fälle.
- Hinweis: Da die Pauschale unabhängig vom Verkehrsmittel ist, entstehen keine Anreize für klimafreundliche Mobilität.
3.6 Entfernungsklassen (Mikrozensus)
- Die Mehrheit der Pendler hat Arbeitsstätten im Umkreis von 5 bis 25 km.
- Nur ca. 5–7 % pendeln 50 km oder mehr.
- Ca. 15–20 % haben die Arbeitsstätte auf demselben Grundstück oder wechselnde Einsatzorte.
4. Fiskalische und verteilungspolitische Wirkungen
4.1 Steuerentlastung
- Die Erhöhung der Entfernungspauschale (z. B. auf 38 Cent ab 2026) führt zu höheren Steuermindereinnahmen.
- Die Bundesregierung verweist darauf, dass konkrete Prognosen bis 2045 nicht vorliegen.
- Die Entlastung wirkt progressiv, da höhere Einkommen stärker von der Absetzbarkeit profitieren.
4.2 Sozialpolitische Treffsicherheit
- Kritik: Die Pauschale begünstigt vor allem Berufspendler mit langen Strecken und hohem Einkommen, oft aus ländlichen Regionen oder Vororten.
- Geringverdiener, Teilzeitkräfte und Beschäftigte mit kurzen Wegen profitieren weniger.
- Die Bundesregierung nimmt Studien zur Kenntnis, zieht aber keine abschließenden Schlussfolgerungen – diese seien dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten.
5. Umwelt- und verkehrspolitische Aspekte
- Die aktuelle Entfernungspauschale differenziert nicht nach Verkehrsmitteln.
- Sie bietet keine Anreize für den Umstieg auf ÖPNV, Rad oder Carsharing.
- Im Gegenteil: Sie kann indirekt den Individualverkehr fördern, da PKW-Nutzer die gleiche Pauschale erhalten wie ÖPNV-Nutzer, obwohl ihre tatsächlichen Kosten höher sind.
- Die Bundesregierung prüft im Rahmen des Koalitionsvertrags eine Arbeitstagepauschale, die verschiedene Werbungskosten bündeln könnte – Auswirkungen auf die Entfernungspauschale sind noch unklar.
6. Internationale Vergleiche und Reformüberlegungen
- Österreich: Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse über den Austausch mit Österreich zum Modell der Pendlerpauschale.
- Es gibt keine systematischen Vergleiche mit anderen Ländern (z. B. Skandinavien, Niederlande), die stärker differenzierte oder ökologisch ausgerichtete Regelungen haben.
7. Methodische Stabilität und Datenqualität
- Keine methodischen Änderungen in der statistischen Erfassung der Entfernungspauschale in den letzten fünf Jahren.
- Dadurch ist eine gute Vergleichbarkeit mit Vorjahren gewährleistet.
- Allerdings: Die Datenqualität zu Verkehrsmitteln und genauen Kilometern wird als vermindert eingestuft, da die Angaben nicht verpflichtend und nicht geprüft sind.
8. Auswirkungen auf Kommunen und Länderfinanzausgleich
- Die Bundesregierung weist darauf hin, dass eine Ausweitung der Pauschale erst durch ein Gesetz erfolgen kann.
- Auswirkungen auf die Einnahmen der Länder und Kommunen (über den Länderfinanzausgleich und kommunalen Finanzausgleich) seien daher noch nicht abschätzbar.
- Keine Prognosen zur langfristigen Finanzierung öffentlicher Infrastruktur bis 2045 liegen vor.
9. Weitere Reformüberlegungen
- Arbeitstagepauschale: Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, eine pauschale Regelung für Arbeitnehmer zu prüfen, die verschiedene Werbungskosten (z. B. Homeoffice, Fortbildung, Pendlereinheiten) bündelt.
- Konfliktpotenzial: Eine parallele Erhöhung der Entfernungspauschale und Einführung einer Arbeitstagepauschale könnte zu Doppelbegünstigungen oder widersprüchlichen Anreizen führen.
- Die Bundesregierung hält sich zu konkreten Maßnahmen bedeckt, da diese im Gesetzgebungsprozess entschieden werden müssen.
10. Fazit und Haltung der Bundesregierung
- Die Bundesregierung stellt Fakten und Daten bereit, zieht aber kaum eigene Schlussfolgerungen.
- Viele Antworten lauten: „Schlussfolgerungen bleiben dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten“ oder „keine Prognosen/Erkenntnisse liegen vor“.
- Die Antwort wirkt sachlich, aber zurückhaltend, was auf die politische Sensibilität des Themas und die laufenden Diskussionen über eine Reform der Entfernungspauschale hinweist.
Zusammenfassung der zentralen Punkte
Aspekt | Kernaussage |
---|---|
Datenbasis | Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2020, Mikrozensus, keine Prognosen für 2025+ |
Geschlecht | Männer nutzen Pauschale häufiger und pendeln weiter; „divers“ nicht erfassbar |
Einkommen | Höhere Einkommen profitieren stärker (progressive Wirkung) |
Verkehrsmittel | Keine Differenzierung – keine Anreize für ÖPNV oder Rad |
Fiskalische Wirkung | Steuerausfälle durch Erhöhung; keine Langzeitprognosen |
Soziale Gerechtigkeit | Kritik an mangelnder Treffsicherheit; keine abschließende Bewertung |
Umwelt | Keine klimapolitische Lenkung; möglicher Anreiz zum PKW-Verkehr |
Reformen | Arbeitstagepauschale in Prüfung; Auswirkungen unklar |
Internationale Vergleiche | Keine Erkenntnisse über Österreich oder andere Länder |
Methodik | Keine Änderungen; Datenqualität bei Verkehrsmitteln eingeschränkt |
Quellenhinweis
© Statistisches Bundesamt (Destatis), 2025 – Vervielfältigung und Verbreitung, auch auszugsweise, mit Quellenangabe gestattet.