In der aufgeheizten Debatte über Migration und Asylpolitik in Deutschland und Europa erhebt der Migrationsforscher Gerald Knaus seit Jahren eine Stimme, die sich deutlich von populistischen Kurzschlüssen und parteipolitischem Opportunismus abhebt. Als Architekt des EU-Türkei-Abkommens von 2016 steht Knaus für einen Ansatz, der zwischen normativer Prinzipientreue und realpolitischer Wirksamkeit vermittelt – eine Linie, die insbesondere in Deutschland, wo politische Lager zunehmend polarisieren, an Bedeutung gewinnt.
Zentral in Knaus’ Denken ist die Überzeugung, dass Migrationspolitik weder durch rechtliche Ignoranz noch durch bloße Symbolhandlungen zu bewältigen sei. Stattdessen fordert er eine „humane Kontrolle“, die sich an europäischem Recht, internationaler Flüchtlingskonvention und der politischen Realität gleichermaßen orientiert. Pauschale Zurückweisungen an den Grenzen, wie sie von rechtskonservativer Seite regelmäßig gefordert werden, lehnt Knaus strikt ab: Sie seien nicht nur juristisch fragwürdig, sondern auch praktisch ineffizient und politisch gefährlich. Eine Abschottung Deutschlands nach außen führe in letzter Konsequenz zur Erosion des Schengen-Systems – ein geopolitisches Eigentor, das mehr Schaden als Nutzen stifte.
Stattdessen plädiert Knaus für eine enge Kooperation mit sicheren Drittstaaten, in denen Asylverfahren ausgelagert und Rückführungen human durchgeführt werden können. Dies setzt jedoch voraus, dass diese Staaten menschenrechtlichen Standards genügen – ein Punkt, den Knaus kompromisslos verteidigt. Die vielzitierte Idee des „Ruanda-Modells“ etwa, wie sie in Großbritannien verfolgt wurde, lehnt er ab, sofern damit die faktische Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes einhergeht. Ziel sei nicht Abschreckung um jeden Preis, sondern eine glaubwürdige Ordnung der Migration, die zwischen Schutzbedürftigen und Nicht-Schutzberechtigten differenziert, ohne dabei fundamentale Rechte preiszugeben.
Ein besonderes Anliegen ist Knaus die Rückgewinnung politischer Glaubwürdigkeit. Die deutsche Politik, so seine Kritik, verliere sich oft in innenpolitischer Symbolik, statt europäisch konsistente Lösungen zu verfolgen. Wenn etwa über die Kürzung von Sozialleistungen für Asylbewerber diskutiert werde, ohne gleichzeitig tragfähige Rücknahmeabkommen oder sichere Drittstaatenregelungen voranzutreiben, sei das politisches Theater ohne praktischen Effekt. Knaus’ Mahnung ist klar: Nur durch realistische Versprechen, die auch umgesetzt werden können, lasse sich Vertrauen in die Steuerungsfähigkeit der Demokratie zurückgewinnen.
Gerade in dieser Frage rückt er die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Vorgehens in den Mittelpunkt. Nationale Alleingänge, wie sie von Polen, Ungarn oder mitunter auch Frankreich propagiert werden, gefährden das Fundament der EU – ein Binnenraum des Rechts, der Freizügigkeit und gemeinsamer Verpflichtungen. Deutschland müsse hier eine Führungsrolle übernehmen, nicht durch moralische Überlegenheit, sondern durch strategische Initiative: im Aufbau belastbarer Abkommen mit sicheren Drittstaaten, in der gerechten Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb Europas und in der Verstärkung legaler Migrationswege über Resettlement und Arbeitsmigration.
Knaus’ Vorschläge sind weder radikal noch utopisch. Sie sind Ausdruck eines liberal-konservativen Pragmatismus, der sich an funktionierender Ordnung ebenso orientiert wie an der moralischen Verantwortung Europas. In einer Zeit, in der Migration zum Spielball politischer Erregungskultur geworden ist, bietet sein Ansatz eine der wenigen Stimmen, die zwischen Alarmismus und Weltflucht einen gangbaren Weg skizzieren. Die Frage ist nicht mehr, ob Deutschland diesem Weg folgen will – sondern, ob es sich den Luxus leisten kann, es nicht zu tun.