Gesundheitsversorgung von Geflüchteten

Die vorliegende Unterlage ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Bünger, Julia-Christina Stange, Doris Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke zum Thema „Gesundheitsversorgung von Geflüchteten“ (Drucksache 21/1473). Die Anfrage wurde am 3. September 2025 beantwortet und thematisiert mehrere kritische Aspekte der medizinischen Versorgung von Geflüchteten in Deutschland, insbesondere im Kontext des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), der geplanten Neuregelung für ukrainische Geflüchtete sowie struktureller Probleme im Übergang zwischen Sozialleistungssystemen.


1. Kritik an der derzeitigen Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden

Die Fragesteller weisen auf gravierende Mängel im bestehenden System hin:

  • Eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung: Asylsuchende haben in den ersten drei Jahren ihres Aufenthalts in Deutschland nur Anspruch auf eine eingeschränkte medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
  • Unklare gesetzliche Formulierungen: Die Leistungen sind auf „akute Erkrankungen und Schmerzzustände“ (§ 4 AsylbLG) und Maßnahmen „zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Gesundheit“ (§ 6 AsylbLG) beschränkt. Diese ungenauen Formulierungen führen zu unterschiedlichen Auslegungen vor Ort und häufig zu Leistungsverweigerungen.
  • Praxis der Krankenscheine: In einigen Bundesländern erhalten Asylsuchende einen sogenannten Krankenschein, der für drei Monate oder im Einzelfall ausgestellt wird. Für Facharztbesuche oder Krankenhausaufenthalte ist ein neuer Antrag nötig.
  • Nicht-medizinisches Personal entscheidet über Behandlungen: Mitarbeiter*innen der Sozialämter, die keine medizinische Ausbildung haben, entscheiden oft über die Notwendigkeit medizinischer Maßnahmen, teilweise nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt. Dies führt zu Verzögerungen und Behandlungsabbrüchen.
  • Hoher Verwaltungsaufwand und gesundheitliche Folgen: Das System ist bürokratisch, führt zu Versorgungslücken, Verschlechterung von Erkrankungen, Schmerzleiden und in Einzelfällen sogar zu Todesfällen. Auch Ärzt*innen sind unsicher, welche Leistungen erstattet werden.

2. Alternativen: Elektronische Gesundheitskarte

  • Einige Bundesländer, angeführt von Bremen (seit 2005), haben eine elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete eingeführt. Diese ermöglicht einen unmittelbaren Zugang zur medizinischen Versorgung, vergleichbar mit der regulären Krankenversicherung.
  • Die Abrechnung erfolgt über die gesetzlichen Krankenkassen, der Kostenträger bleibt das Sozialamt oder das Bundesland.
  • Die Karte ist landesweit, teilweise oder gar nicht implementiert – es besteht keine bundeseinheitliche Regelung.
  • Nach 36-monatigem Aufenthalt erhalten Geflüchtete Analogleistungen und werden in die reguläre Krankenversicherung integriert.

Die Fragesteller kritisieren das AsylbLG als diskriminierend und fordern, dass Geflüchtete vollen Zugang zum Bürgergeld und zum vollen Leistungsspektrum der Krankenkassen erhalten sollten.


3. Probleme bei Übergängen zwischen Sozialleistungssystemen

Ein weiteres zentrales Problem betrifft Versorgungslücken beim Eintritt in ein Leistungssystem oder beim Rechtskreiswechsel (z. B. von AsylbLG zu SGB II oder SGB XII, nach Haftentlassung oder zwischen SGB II und SGB XII):

  • Es entstehen wochen- bis monatelange Bearbeitungszeiten bei Antragstellung, Prüfung und Ausstellung von Nachweisen (z. B. elektronische Gesundheitskarte oder Behandlungsschein).
  • In dieser Zeit verfügen Betroffene über keinen Nachweis für medizinische Versorgung, was besonders für chronisch Kranke und akut Erkrankte existenziell bedrohlich ist.
  • Obwohl Leistungen meist rückwirkend gewährt werden, entstehen reale Versorgungslücken.
  • Auf kommunaler Ebene werden teilweise Clearingstellen und Fonds eingerichtet, um Abhilfe zu schaffen, doch diese sind nicht flächendeckend und mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden.
  • Eine bundesweite Lösung fehlt.

4. Geplante Neuregelung für ukrainische Geflüchtete

Ein Schwerpunkt der Anfrage ist die geplante Verschlechterung der Leistungen für ukrainische Geflüchtete, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland kommen:

  • Bisher haben ukrainische Geflüchtete Anspruch auf Bürgergeld und damit auf vollwertige Gesundheitsversorgung.
  • Die Koalition aus CDU, CSU und SPD plant, diese Gruppe rückwirkend ab 1. April 2025 wieder unter das AsylbLG zu stellen – also auf niedrigere Leistungen und eingeschränkte medizinische Versorgung.
  • Dies führt nach Einschätzung der Fragesteller zu schlechterem Zugang zum Gesundheitssystem, Überlastung der Behörden und Doppelstrukturen.

5. Reaktion der Bundesregierung auf die Fragen

Die Bundesregierung beantwortet die Anfrage im Rahmen eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens und weist darauf hin, dass der Referentenentwurf zum „Leistungsrechtsanpassungsgesetz“ noch nicht final abgestimmt ist. Daher unterliegen viele Antworten einem noch nicht abgeschlossenen Willensbildungsprozess.

Zu den Versorgungslücken (Fragen 1–5):

  • Die Bundesregierung bestätigt, dass das Problem bekannt ist.
  • Sie betont jedoch, dass rechtlich ein lückenloser Anspruch auf medizinische Versorgung besteht – auch während Bearbeitungszeiten.
  • Tatsächliche Versorgungslücken werden nicht dementiert, aber als verwaltungsbedingt, nicht rechtlich begründet dargestellt.
  • Es wird auf Erstattungsregelungen hingewiesen, wenn Dritte (z. B. Ärzt*innen) vorab Kosten tragen.

Zur Neuregelung für Ukrainer*innen (Fragen 6–14):

  • Die Bundesregierung verweist auf den Referentenentwurf und die Begründung im Koalitionsvertrag.
  • Sie bestreitet keine Einsparungen, sondern spricht von einem „Nullsummenspiel“: Ausgaben sinken beim Bund (Bürgergeld), steigen aber bei Ländern und Kommunen (AsylbLG).
  • Die pauschalierte Kostenentlastung für die Länder wird anerkannt, aber konkrete Zahlen werden nicht genannt.
  • Kritik aus Bundesländern (z. B. Sachsen-Anhalt) wird zurückgewiesen oder mit Verweis auf den Entwurf beantwortet:
  • Vertrauensschutz: Die Bundesregierung ignoriert die Kritik, dass neu ankommende Ukrainer*innen, die bereits Bürgergeld beziehen, benachteiligt würden.
  • Arbeitsmarktintegration: Es wird behauptet, der Zugang zum Arbeitsmarkt bleibe unverändert – nun über die Arbeitsagenturen statt Jobcenter.
  • Doppelstrukturen: Der Entwurf sieht Übergangsregelungen vor, um Verwaltungsaufwand zu reduzieren.
  • Gleichheitsgrundsatz: Die Ungleichbehandlung zwischen vor und nach dem 1. April 2025 eingereisten Ukrainer*innen wird nicht inhaltlich gerechtfertigt, sondern auf die Begründung im Gesetzentwurf verwiesen.
  • Kritik aus anderen Ländern: Die Bundesregierung bestätigt keine konkreten Rückmeldungen und verweist auf laufende Abstimmungen.

Weitere Fragen:

  • Frage 15: Die Bundesregierung teilt die Einschätzung der Vorgängerregierung, dass die Zielauswahl von Geflüchteten aus der Ukraine auf vielfältigen Faktoren beruht – darunter auch Sozialleistungen, aber nicht ausschließlich.
  • Frage 16: Zahl der ukrainischen Geflüchteten mit neuem Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG im Jahr 2025 (Stand 31. Juli 2025): 67.474.
  • Monatliche Aufschlüsselung: Jan (11.856), Feb (10.666), Mär (10.181), Apr (8.522), Mai (8.110), Jun (7.788), Jul (10.351).
  • Frage 17: Die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte wird als sinnvoll erachtet, liegt aber in der Zuständigkeit der Länder. Die Bundesregierung empfiehlt die Einführung ausdrücklich zur Vereinfachung.
  • Frage 18: Mit der Umsetzung der GEAS-Reform (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) muss künftig Kindern von Asylsuchenden die gleiche Gesundheitsversorgung wie deutschen Kindern gewährt werden. Ein entsprechender Regierungsentwurf (GEAS-Anpassungsgesetz) wurde am 3. September 2025 verabschiedet.

Fazit der Antwort

Die Bundesregierung:

  • Bestätigt einzelne Probleme (z. B. Bearbeitungszeiten, fehlende Karten),
  • relativiert jedoch ihre Tragweite durch Hinweise auf bestehende Rechtsansprüche,
  • weicht auf Gesetzesentwürfe und laufende Verhandlungen aus, anstatt konkrete Positionen zu beziehen,
  • rechtfertigt nicht klar die geplante Verschlechterung für ukrainische Geflüchtete,
  • unterstützt indirekt die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, überlässt dies aber den Ländern.

Die Antwort zeigt eine defensive Haltung gegenüber Kritik an der Asyl- und Sozialpolitik und legt den Fokus auf die bundesgesetzliche Rahmengebung, während strukturelle und menschenrechtliche Bedenken der Fragesteller nur oberflächlich adressiert werden.


Hintergrund und Kontext

  • Die Debatte findet vor dem Hintergrund einer geplanten Verschärfung der Sozialleistungen für neu ankommende Geflüchtete statt.
  • Medienberichte (z. B. Tagesschau, MDR, BR) und Organisationen wie Pro Asyl, Ärzte der Welt und Ärzte für Menschenrechte dokumentieren seit Jahren systemische Versorgungsdefizite.
  • Die geplante Rückkehr ukrainischer Geflüchteter ins AsylbLG wird von vielen als politisches Signal zur Abschreckung weiterer Einwanderung interpretiert, obwohl die Bundesregierung dies nicht explizit so darstellt.

Forderungen der Fragesteller

  • Abschaffung des AsylbLG oder zumindest vollen Zugang zur regulären Krankenversicherung für Geflüchtete.
  • Bundesweite Einführung der elektronischen Gesundheitskarte.
  • Sicherstellung der medizinischen Versorgung während aller Übergangsphasen zwischen Sozialleistungssystemen.
  • Stopp der geplanten Verschlechterung für ukrainische Geflüchtete ab April 2025.

Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass diese Forderungen derzeit keine Berücksichtigung im politischen Kurs finden.


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