Die globale Geburtenrate sinkt. Während konservative Debatten sich oft auf „Werteverfall“ oder individuelle Lebensstile konzentrieren, liefert eine neue Umfrage des UN-Bevölkerungsfonds, analysiert von Katharina Buchholz (Statista), deutlich rationalere Erklärungen: Der Hauptgrund, warum Menschen weltweit weniger Kinder bekommen, als sie sich wünschen, liegt nicht in einem Mangel an Willen, sondern in strukturellen finanziellen Hürden. Diese nüchterne Erkenntnis konfrontiert politische Narrative mit einer unbequemen Wahrheit – dass die familienpolitische Wirklichkeit oft diametral zum moralischen Appell steht.
Wirtschaftliche Zwänge als globale Konstante
In allen 14 untersuchten Ländern – darunter Schwellenländer wie Indien, Indonesien und Brasilien ebenso Hochlohnländer wie Deutschland, Schweden oder Südkorea – nannten die Befragten finanzielle Belastungen als Hauptgrund, keine (weiteren) Kinder zu bekommen. Die Spannweite reicht von explodierenden Wohnkosten über teure Kinderbetreuung bis hin zu unsicheren Arbeitsverhältnissen. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Gründe kulturübergreifend konsistent auftreten – unabhängig von religiösen, politischen oder demografischen Rahmenbedingungen.
Besonders drastisch ist die Situation in Südkorea, das inzwischen eine beispiellos niedrige Fruchtbarkeitsrate von unter 1,0 aufweist – weit unter dem Niveau, das zur Bestandserhaltung nötig wäre. Die Studie belegt, dass die dortige Bevölkerung insbesondere die immensen Kosten für Erziehung, Bildung und Wohnen als prohibitiv empfindet. Hier wird ein bezeichnendes Paradox sichtbar: In einer hochtechnologisierten Gesellschaft mit enormem wirtschaftlichen Output empfinden viele junge Menschen die Familiengründung als ökonomisch unzumutbares Risiko.
Entwicklungsländer: Breite Betroffenheit, fehlende Absicherung
Während finanzielle Erwägungen in Industrieländern oftmals in Konkurrenz zu individuellen Lebensentwürfen treten, sind sie in Entwicklungsländern eine nackte Notwendigkeit. Hier sind Einkommensunsicherheit, mangelnde soziale Sicherungssysteme und unzureichende Gesundheitsversorgung keine abstrakten Sorgen, sondern alltägliche Lebensrealität. Der Unterschied ist dabei nicht nur graduell, sondern strukturell. Während etwa in Schweden nur 19 % der Befragten finanzielle Gründe nannten – gleichwohl die häufigste Antwort – sind es in Ländern wie Marokko oder Indien deutlich höhere Anteile, was auf eine viel breitere Betroffenheit hinweist.
Gleichzeitig treten in bestimmten Ländern auch nicht-ökonomische Faktoren in den Vordergrund: In Brasilien ist es die Sorge um die politische Zukunft, in Marokko die chronische gesundheitliche Belastung – beides Hinweise auf tiefere gesellschaftliche Verunsicherungen, die die Entscheidung für Kinder fundamental beeinflussen.
Die Rolle der Politik: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Erkenntnisse der Umfrage legen eine fundamentale Schwäche gegenwärtiger Familienpolitiken offen: Selbst in wohlhabenden Ländern mit ausgebautem Sozialstaat – etwa Schweden oder Deutschland – sind finanzielle Gründe nach wie vor das dominierende Argument gegen (mehr) Kinder. Dies deutet entweder auf eine unzureichende Wirksamkeit bestehender Maßnahmen hin oder auf eine tiefergehende Diskrepanz zwischen realen Lebenshaltungskosten und politisch adressierter Unterstützung.
Vor diesem Hintergrund erscheint der politische Appell an junge Menschen, sich „für Familie zu entscheiden“, bestenfalls naiv, schlimmstenfalls zynisch. Wer tatsächliche Geburtenförderung will, muss sich mit konkreten Maßnahmen der sozialen Entlastung, Lohngerechtigkeit, Wohnpolitik und Kinderbetreuung auseinandersetzen. Symbolpolitik ersetzt keine funktionierenden Strukturen.
Fazit: Kinderwünsche scheitern an gesellschaftlichen Realitäten
Die Analyse des UN-Bevölkerungsfonds konterkariert populäre Erklärungsmodelle über sinkende Geburtenraten. Es ist nicht der vielzitierte „Egoismus“ der jungen Generation oder ein wie auch immer gearteter kultureller Werteverfall, der Menschen vom Kinderkriegen abhält. Es sind die harten Bedingungen des Alltags – Löhne, Mieten, Unsicherheiten – die verhindern, dass Lebensentwürfe mit Familie Wirklichkeit werden.
Politische Strategien zur Stärkung der Geburtenrate müssen deshalb radikal umdenken. Es genügt nicht, symbolisch „Familienfreundlichkeit“ zu beschwören. Vielmehr braucht es substanzielle Reformen, die reale ökonomische und soziale Hürden abbauen. Nur wenn die Entscheidung für ein Kind nicht mehr als finanzielles Wagnis erscheint, sondern als tragfähige Option im Rahmen eines unterstützenden Gemeinwesens, können Wunsch und Wirklichkeit wieder näher zusammenrücken. Bis dahin bleiben viele Kinderwünsche – gewollt, aber verhindert.