Godesberger Programms der SPD (1959)

Das Godesberger Programm markierte einen tiefgreifenden ideologischen Wandel in der Geschichte der SPD und war ein bewusster Bruch mit dem marxistischen Erbe. Die Partei wandte sich dem demokratischen Sozialismus zu und bekannte sich zur parlamentarischen Demokratie, zur sozialen Marktwirtschaft und zu einer pluralistischen Gesellschaftsordnung. Ziel war eine neue, gerechtere Gesellschaftsordnung, die Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität vereint.

1. Einleitung und Grundwerte

Die programmatische Einleitung beschreibt die Widersprüche der modernen Zeit – technologischer Fortschritt gepaart mit Angst, Reichtum neben Armut, internationale Nähe trotz politischer Blockbildung. Daraus erwächst die Hoffnung auf eine neue Ordnung, die demokratischer Sozialismus schaffen soll. Als Grundwerte nennt das Programm Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Die SPD versteht sich als Partei des freiheitlichen Geistes, nicht als Wahrheitspartei.

2. Demokratie und Gesellschaft

Das Programm fordert eine gesamtgesellschaftliche Demokratisierung: politische Mitbestimmung, soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit in Bildung und Beruf, sowie ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein durch politische Bildung. Die Demokratie wird als einzig legitimer Weg zur Verwirklichung des Sozialismus betont. Totalitäre Systeme, insbesondere der Kommunismus, werden entschieden abgelehnt.

3. Staat und Verfassung

Die SPD bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik und zur deutschen Einheit in Freiheit. Der Staat soll als Kulturstaat wirken, Bürgerrechte sichern, soziale Daseinsvorsorge bieten und demokratisch kontrolliert sein. Eine lebendige Gemeindefreiheit sowie unabhängige Medien und Richter sind essenziell.

4. Sicherheit und Landesverteidigung

Die SPD akzeptiert die Notwendigkeit der Landesverteidigung, lehnt jedoch die Produktion und Stationierung von Massenvernichtungswaffen ab. Eine europäische Entspannungs- und Abrüstungszone wird angestrebt, ebenso wie das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

5. Wirtschafts- und Sozialordnung

Die Partei verabschiedet sich von der Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Stattdessen setzt sie auf eine „sozial gebändigte Marktwirtschaft“, in der staatliche Planungselemente und Wettbewerb koexistieren („Wettbewerb so weit wie möglich – Planung so weit wie nötig“). Ziel ist die gerechte Verteilung des Wohlstands, Chancengleichheit und Mitbestimmung der Arbeitnehmer.

6. Eigentum, Macht und soziale Kontrolle

Gegen Konzentration wirtschaftlicher Macht und ihre politische Einflussnahme wird eine stärkere öffentliche Kontrolle gefordert. Kleine und mittlere Unternehmen sowie Gemeinwirtschaft sollen gefördert, kartellartige Machtstrukturen aufgebrochen werden. Gemeineigentum wird dort gefordert, wo marktwirtschaftliche Regulierung nicht ausreicht.

7. Einkommens- und Vermögensverteilung

Das Programm kritisiert die ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen und fordert deren sozial gerechte Umverteilung durch Steuer-, Lohn- und Vermögenspolitik sowie durch Förderung von Eigentumsbildung in breiten Bevölkerungsschichten.

8. Landwirtschaft und Gewerkschaften

Die SPD bekennt sich zum bäuerlichen Eigentum und zur Stärkung leistungsfähiger Familienbetriebe. Gewerkschaften werden als tragende Säulen einer demokratisierten Wirtschaft gesehen. Sie haben ein Recht auf Mitbestimmung, und der Arbeitnehmer soll vom „Wirtschaftsuntertan“ zum „Wirtschaftsbürger“ werden.

9. Soziale Sicherheit und Wohnen

Ein umfassendes Sozialversicherungssystem sowie Mindestrenten werden gefordert. Gesundheitsvorsorge, Arbeitsschutz und soziale Wohnungsbaupolitik sind zentrale Themen. Soziale Gerechtigkeit soll konkret erfahrbar werden – durch menschenwürdiges Wohnen, gesicherte Altersvorsorge und medizinische Versorgung für alle.

10. Frauen, Familie, Jugend

Das Programm verlangt die vollständige rechtliche, soziale und wirtschaftliche Gleichstellung der Frau. Die Familie soll materiell gesichert und gefördert werden. Für Kinder und Jugendliche sollen gerechte Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten bestehen, die zu Mitverantwortung und Selbstbestimmung erziehen.

11. Kultur, Religion, Bildung und Wissenschaft

Kulturelle Vielfalt, Religionsfreiheit und weltanschauliche Toleranz sind essentielle Bestandteile einer freien Gesellschaft. Bildung wird als zentrale Voraussetzung für Demokratie begriffen. Alle Menschen sollen gleiche Bildungschancen haben, wobei auch der „Zweite Bildungsweg“ gestärkt werden soll. Wissenschaftliche Freiheit und Verantwortung sind Kernforderungen.

12. Internationale Politik

Frieden und Völkerverständigung stehen im Zentrum. Die SPD fordert die Stärkung der UN, regionale Sicherheitssysteme, Abrüstung und Solidarität mit Entwicklungsländern. Internationale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Kooperation sind Voraussetzungen für eine stabile Weltordnung.

13. Unser Weg

Abschließend betont das Programm die historische Rolle der Arbeiterbewegung im Kampf für Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und politische Rechte. Die SPD versteht sich nun als Volkspartei, die durch demokratischen Sozialismus die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit – insbesondere gegenüber Kommunismus und enthemmtem Kapitalismus – bewältigen will.

Kritische Einordnung

Das Godesberger Programm bedeutete eine programmatische Zeitenwende. Die SPD vollzog eine scharfe Abkehr vom Klassenkampfdenken, positionierte sich als reformorientierte Kraft der Mitte und akzeptierte die bestehende Wirtschaftsordnung – allerdings unter dem Primat sozialer Kontrolle. Dieser Schritt ermöglichte es der Partei, breitere Wählerschichten anzusprechen, brachte aber auch innerparteiliche Konflikte mit sich. Kritiker warfen der SPD vor, ihre sozialistischen Ideale zugunsten politischer Machbarkeit verwässert zu haben. Dennoch blieb der Anspruch bestehen, durch demokratische Mittel eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen.


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