Ein leiser, aber tiefgreifender Machtwechsel hat sich im Schatten geopolitischer Spannungen und monetärer Umbrüche vollzogen: Gold hat den Euro als zweitgrößte globale Reserveanlage überholt. Was auf den ersten Blick wie eine Randnotiz im globalen Finanzsystem erscheinen mag, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein markerschütterndes Signal – ein stilles, aber unmissverständliches Misstrauensvotum gegen das westliche Währungsregime.
Laut einer aktuellen Analyse der Europäischen Zentralbank (EZB) entfielen Ende 2024 rund 20 % der weltweiten Zentralbankreserven auf Gold – mehr als auf den Euro, dessen Anteil auf lediglich 16 % gefallen ist. Der US-Dollar bleibt mit 46 % weiterhin dominierend, doch auch dessen Hegemonie wirkt zunehmend fragil. Der Rest verteilt sich auf andere Währungen, deren kollektiver Anteil 18 % beträgt.
Gold erlebt damit eine Renaissance, wie sie zuletzt in der Ära vor dem Fiat-Zeitalter zu beobachten war. Zwischen 2022 und 2024 kauften Zentralbanken jährlich über 1.000 Tonnen des Edelmetalls – ein Niveau, das zuletzt in den späten 1970er-Jahren erreicht wurde. Heute entspricht das einem Viertel der gesamten jährlichen Fördermenge. Die offiziellen Zahlen dürften das wahre Ausmaß indes noch unterschätzen, da viele Notenbanken ihre Käufe nicht transparent offenlegen.
Geopolitik als Antriebskraft
Die Triebfeder dieses Trends liegt laut EZB in den geopolitischen Verwerfungen der vergangenen Jahre, insbesondere im russischen Angriff auf die Ukraine und den daraus resultierenden Sanktionen. Die weltweit ausgestrahlte Botschaft der westlichen Antwort – insbesondere die Blockade russischer Devisenreserven – war unmissverständlich: Kein staatliches Vermögen ist mehr sicher, wenn es in westlich kontrollierten Währungsräumen lagert. Entsprechend suchen zahlreiche Länder nach Absicherungsmöglichkeiten jenseits des Dollar-Systems.
So zeigt die EZB-Analyse: In fünf der zehn Jahre mit den höchsten Goldzuwächsen in den Staatsreserven seit 1999 waren die betreffenden Länder im selben oder vorhergehenden Jahr Ziel internationaler Sanktionen. Gold, das keiner politischen Gerichtsbarkeit unterliegt und physisch kontrolliert werden kann, erscheint da als letzte Bastion monetärer Souveränität.
Der Euro – ein Abstieg mit Ansage
Dass der Euro im Rennen um Vertrauen in monetäre Stabilität hinter Gold zurückfällt, muss für die Europäische Union ein Alarmsignal ersten Ranges sein. Die Gemeinschaftswährung ist nicht erst seit gestern unter Druck – die institutionelle Zersplitterung Europas, die anhaltende Niedrigzinspolitik der EZB und das wachsende Haushaltsdefizit einiger Mitgliedsstaaten tragen zur Erosion der Glaubwürdigkeit bei. Dass nun selbst traditionell stabile Zentralbanken beginnen, den Euro zugunsten von Gold zu entwerten, ist ein weiterer Schritt auf einem absteigenden Pfad.
Doch auch die westlichen Fiat-Währungen insgesamt sind nicht frei von Mitschuld. Die jahrelange expansive Geldpolitik, die massive Erhöhung der Geldmengen in Folge der Pandemie und der Versuch, fiskalische Verantwortung durch geldpolitische Lockerung zu ersetzen, haben die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken untergraben. Gold erscheint in dieser Gemengelage als letzter verlässlicher Wertspeicher – jenseits von politischen Versprechen und digitalem Kreditgeld.
Preisrallye als Spiegel der Nervosität
Der Goldpreis stieg 2024 um 30 %, und allein in der ersten Hälfte 2025 um weitere 27 %, womit er sich der Marke von 3.500 US-Dollar pro Unze nähert. Diese Preisrallye ist Ausdruck einer neuen Bewertung des Metalls – weniger als Inflationsschutz, sondern zunehmend als geopolitischer Sicherungsanker. Vor allem der jüngste völkerrechtswidrige Angriff Israels auf iranische Ziele, einschließlich der gezielten Tötung von Nuklearwissenschaftlern, hat erneut deutlich gemacht, wie volatil die globale Ordnung geworden ist.
Zwar warnen Marktbeobachter wie Janet Mui von RBC Brewin Dolphin vor kurzfristiger Überhitzung, langfristig aber dürfte das Interesse an Gold kaum abebben. Noch stammt rund 70 % der Nachfrage aus dem privaten Sektor – von Investoren und der Schmuckindustrie. Doch es ist die institutionelle Nachfrage der Zentralbanken, die aktuell das Signal sendet: Das Vertrauen in politische Währungen wankt.
Ein monetäres Paradigmenwechsel?
Was sich hier andeutet, ist mehr als eine Portfolioanpassung. Es ist ein möglicher Paradigmenwechsel. Die Rückkehr zu Gold als sicherem Hafen ist Ausdruck wachsender Skepsis gegenüber einem globalen Finanzsystem, das zunehmend durch politische Macht, Sanktionen und monetäre Repression geprägt ist. Die Welt bewegt sich damit – bewusst oder unfreiwillig – in Richtung eines neuen, vielleicht multipolaren Geldsystems, in dem nicht politische Allianzen, sondern physische Sicherheiten Vertrauen stiften.
Die Frage ist nicht mehr, ob das Vertrauen in die westlichen Währungen schwindet. Die Frage ist, wie lange es dauert, bis auch die Märkte beginnen, systematisch darauf zu reagieren.