Green Growth ist der neue Ablasshandel – schön fürs Gewissen, schlecht fürs Klima

Wer heute die Schlagworte „Green Growth“* oder „grünes Wachstum“ hört, spürt sofort Erleichterung: Endlich ein Ausweg aus der Klima- und Ressourcenkrise, ohne auf Wohlstand verzichten zu müssen. Die Wirtschaftsleistung soll weiter steigen, die Natur dabei geschont werden. Innovationen sollen es richten – effizientere Technologien, saubere Energie, geschlossene Materialkreisläufe. Die Vision ist verlockend: Wachstum ja, Ökozid nein.

Doch dieser grüne Optimismus erinnert fatal an einen alten Trick der Geschichte: den Ablasshandel des Mittelalters. Damals wurde den Menschen suggeriert, sie könnten sich von ihren Sünden freikaufen. Heute kaufen wir uns über „grünes Wachstum“ von den ökologischen Konsequenzen unseres Lebensstils frei.

Die Problematik ist offensichtlich: Bisher gibt es kaum empirische Belege dafür, dass Wirtschaftswachstum global absolut vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden kann. Effizienzsteigerungen werden regelmäßig durch Rebound-Effekte neutralisiert – was eingespart wird, wird an anderer Stelle vielfach konsumiert. Die Weltwirtschaft wuchs von 1970 bis 2020 um das Vierfache, der Ressourcenverbrauch stieg um etwa 70 %. Wo bitte ist da die Entkopplung?

Green Growth ist deshalb vor allem eines: ein Narrativ, das politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen und Konsumenten ein gutes Gefühl verschafft. Weiterhin konsumieren, weiterhin expandieren – aber mit einem grünen Etikett. Neue Elektroautos ersetzen nicht den Verkehrskollaps, grün gelabelte Investmentfonds retten keine sterbenden Ökosysteme.

Natürlich: Technologien wie erneuerbare Energien und Recycling sind unerlässlich. Aber sie genügen nicht, solange sie nicht mit radikalen Verhaltensänderungen, echter Ressourcenreduktion und neuen sozialen Leitbildern einhergehen. Ohne eine Kultur der Genügsamkeit und eine Neuverhandlung dessen, was „Wohlstand“ bedeutet, bleibt grünes Wachstum eine Illusion.

Statt auf ein technologisches Wunder zu warten, müssen wir uns ehrlich machen: Nachhaltigkeit bedeutet Einschränkung, Umverteilung und Prioritätenwechsel. Green Growth alleine ist keine Lösung, sondern das beruhigende Mantra einer Welt, die sich davor scheut, ihre eigenen Grundannahmen zu hinterfragen.

Wer heute noch predigt, wir könnten uns mit grüner Technologie aus der Krise konsumieren, der verkauft uns modernen Ablasshandel. Schön fürs Gewissen – aber letztlich fatal für das Klima.


*Green Growth (grünes Wachstum) versucht einen Mittelweg: Es akzeptiert die Notwendigkeit von Wachstum, setzt aber auf eine radikale Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch:

  • Technologische Innovationen (z. B. erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft) sollen ermöglichen, dass das BIP wächst, während der ökologische Fußabdruck sinkt.
  • Die Idee beruht auf der Annahme, dass bessere Technologien, effizientere Prozesse und ein bewussterer Konsum es ermöglichen, die natürlichen Grenzen zu respektieren, ohne auf Wohlstandssteigerung zu verzichten.

Zentrale Initiativen:

  • UN-Programme wie die Green Economy Initiative.
  • Nationale Strategien wie der Green Deal der Europäischen Union.

Kritik am Konzept:

  • Bisher ist absolute Entkopplung auf globaler Ebene nicht nachweisbar: Der Ressourcenverbrauch und die Emissionen steigen weltweit weiter.
  • Viele Green-Growth-Ansätze konzentrieren sich auf technologische Lösungen, ignorieren aber die strukturellen Triebkräfte des Konsums und Wachstumsdrucks.
  • Die Gefahr besteht, dass „grünes Wachstum“ eine Art von Greenwashing wird, das zwar beruhigend klingt, aber den tatsächlichen Ressourcenverbrauch kaum mindert.

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