Iran weist Afghanen aus – ein autoritärer Staat nutzt Flüchtlinge als geopolitische Schachfiguren

Seit dem Frühjahr 2025 erleben die Grenzregionen zwischen Iran und Afghanistan ein humanitäres Drama historischen Ausmaßes. Hunderttausende afghanische Männer, Frauen und Kinder werden täglich unter teils brutalen Umständen abgeschoben, viele von ihnen nach Jahren, teils Jahrzehnten im Exil. Die iranische Regierung setzt damit eine Migrationspolitik um, die ebenso rücksichtslos wie strategisch kalkuliert ist – und weit über das hinausgeht, was mit bloßem Migrationsmanagement zu erklären wäre.

Nach Angaben internationaler Organisationen wie dem UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden seit Bekanntgabe der Rückkehrfrist durch die iranische Regierung im Mai 2025, deren Umsetzung sich insbesondere im Juni und Anfang Juli massiv beschleunigte, bereits über 640.000 Afghaninnen und Afghanen aus dem Iran zurückgeführt – davon mehr als die Hälfte unter Zwang. Der Begriff „freiwillige Rückkehr“ ist dabei irreführend: Festnahmen, willkürliche Verhöre und ein Klima der Einschüchterung lassen den Betroffenen oft keine Alternative. Selbst anerkannte Flüchtlinge und besonders schutzbedürftige Gruppen – etwa alleinstehende Frauen, unbegleitete Minderjährige oder Kranke – werden nicht verschont. Allein zwischen Juni und Anfang Juli kehrten fast eine halbe Million Menschen nach Afghanistan zurück – in ein Land, das weder sicher noch aufnahmefähig ist.

Was auf den ersten Blick wie ein innenpolitisch motivierter Versuch erscheint, die iranische Gesellschaft von „illegalen Ausländern“ zu befreien, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Ausdruck eines ideologisch und machtpolitisch motivierten Programms.

Denn die Flüchtlinge, die heute massenhaft ausgewiesen werden, sind nicht irgendeine amorphe Masse: Es handelt sich mehrheitlich um sunnitische Afghanen, die im schiitisch geprägten Iran seit jeher auf institutionelle und gesellschaftliche Diskriminierung stoßen. Während die Hazara – eine schiitische Minderheit aus Afghanistan – in der Vergangenheit zumindest formell besser integriert waren und in Milizstrukturen wie der „Fatemiyoun-Division“ kämpften, sind sie heute ebenso von der Repression betroffen. Der Unterschied: Die sunnitischen Flüchtlinge genießen von Anfang an keinen Schutz und sind ein willkommenes Ziel für populistische Rhetorik.

Dass Religion dabei eine Rolle spielt, wird von offizieller Seite in Teheran zwar geleugnet – doch die Praxis spricht eine andere Sprache. Der schiitisch-islamische Gottesstaat Iran steht der sunnitisch-extremistischen Taliban-Herrschaft in Kabul mit tiefem Misstrauen gegenüber. Grenzscharmützel, Streit um Wasserrechte und regionale Einflusszonen vergiften das Verhältnis. Die Massenabschiebung kann somit auch als geopolitische Machtdemonstration gelesen werden: Der Iran signalisiert den Taliban seine Entschlossenheit, Druck zu erzeugen – auf Kosten unschuldiger Zivilisten.

Gleichzeitig verfolgt Teheran innenpolitische Ziele: In einer von Wirtschaftskrise, hoher Inflation und wachsendem innenpolitischen Unmut geprägten Gesellschaft bieten die Afghanen ein willkommenes Feindbild. Die Rhetorik erinnert frappierend an nationalpopulistische Narrative westlicher Migrationsdebatten – nur mit dem Unterschied, dass der autoritäre Staat hier nicht durch Asylverfahren oder Gerichtsurteile gebunden ist, sondern mit der vollen Macht des Sicherheitsapparats agiert.

Die humanitären Folgen sind katastrophal. Afghanistan, das ohnehin durch Dürre, Armut, Terror und internationale Isolation gezeichnet ist, kann die Rückkehrenden nicht integrieren. Es fehlen Unterkünfte, Lebensmittel, medizinische Versorgung. Besonders für Frauen und Mädchen droht ein Leben in struktureller Entrechtung – unter dem autoritären islamistischen Regime der Taliban, das Bildung und öffentliche Teilhabe verweigert.

Was sich derzeit an den Grenzen des Iran abspielt, ist kein bloßer Verwaltungsakt. Es ist ein Akt politischer Grausamkeit mit religiöser Schlagseite, ein geopolitisches Kalkül auf dem Rücken von Schutzbedürftigen. Der Iran nutzt Migranten als innenpolitisches Druckventil und außenpolitische Verhandlungsmasse. Und die Weltgemeinschaft? Sie sieht weitgehend schweigend zu.

Statt sich an Zahlen abzuarbeiten, sollte die internationale Debatte endlich benennen, was hier geschieht: Der Missbrauch des Flüchtlingsstatus als politisches Instrument in einem regionalen Machtkampf. Die Abschiebung zehntausender Menschen aus einem krisengebeutelten Staat in einen kollabierenden Staat ist keine souveräne Migrationspolitik – sondern menschenverachtende Realpolitik.


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