Die Drucksache 21/1237 enthält die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion zum Verfassungsschutzbericht 2024. Die Fragen fokussieren sich auf das islamistische Personenpotenzial, gewaltorientierte Extremisten, sowie auf linksextremistische Gruppen wie „Antifa Süd“ und das Netzwerk „Antifa Ost“. Hier eine strukturierte Zusammenfassung mit kritischer Einordnung:
1. Islamistisches Personenpotenzial
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schätzt das islamistische Personenpotenzial 2024 auf 28.280 Personen. Die Bundesregierung hält diese Zahl für realistisch. Die Frage, ob es sich um eine systematische Unterbewertung handelt – etwa im Vergleich zu Linksextremismus (38.000) und Rechtsextremismus (50.250) – wird nicht vertieft beantwortet, obwohl Hinweise auf Radikalisierung etwa an Schulen oder über soziale Medien seit Jahren bekannt sind.
Kritik: Die fehlende kritische Selbstreflexion in Bezug auf mögliche Fehlbewertungen und die Rolle des migrationspolitischen Kontextes seit 2015 lässt erhebliche Fragen offen. Die Bundesregierung verlässt sich auf die Methodik des BfV, ohne eine externe Validierung der Zahlen in Betracht zu ziehen.
2. Millî Görüş und drastische Reduzierung des Personenpotenzials
Die Neuberechnung des islamistischen Potenzials ab 2015/2016 – insbesondere durch die Neubewertung von Millî Görüş – führte zu einem Rückgang von über 21.000 Personen. Die Bundesregierung hält die Entscheidung weiterhin für vertretbar.
Kritik: Diese Entscheidung ist politisch hochbrisant, da sie den Eindruck erwecken kann, dass durch Re-Definitionen ein erheblicher Teil des Problems statistisch eliminiert wurde. Die Differenzierung innerhalb einer Organisation wie IGMG mag faktisch korrekt sein, bleibt aber politisch und sicherheitstechnisch fragwürdig.
3. Neu eingeführte Kategorien: Gewaltorientierte Islamisten & Auslandsbezogener Extremismus
Erstmals nennt der Bericht 2024:
- 9.540 gewaltorientierte Islamisten
- 22.000 gewaltorientierte auslandsbezogene Extremisten
Vergleichswerte aus früheren Jahren existieren nicht, da diese Kategorien zuvor nicht erhoben wurden. Das BfV reagierte hier auf die Eskalation nach dem Hamas-Angriff auf Israel (7. Oktober 2023).
Kritik: Dass eine solche entscheidende Kategorie erst 2024 eingeführt wurde, wirft Fragen auf über die bis dahin fehlende Differenzierung innerhalb des islamistischen Spektrums. Rückwirkende Daten wären dringend geboten, um Trends erkennbar zu machen.
4. Gefährdungspotenzial im Vergleich zu Rechtsextremismus
Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit wird dem auslandsbezogenen Extremismus ein geringeres Gefährdungspotenzial für die innere Sicherheit Deutschlands zugeschrieben. Dies liegt laut Bundesregierung an der geringen Gewaltanwendung innerhalb Deutschlands, obwohl viele dieser Personen Organisationen mit terroristischem Charakter im Ausland unterstützen.
Kritik: Die Argumentation wirkt widersprüchlich: Einerseits gelten Unterstützer von Terrororganisationen als gewaltorientiert, andererseits wird deren Gefährlichkeit im Inland relativiert. Diese Einschätzung könnte die strukturelle Gefahr – etwa durch Radikalisierungsnetzwerke – unterschätzen.
5. Antifa Süd und Antifa Ost
- „Antifa Süd“ (ca. 250 Mitglieder) gilt als gewaltbereit, wenngleich es keine bekannten Taten auf dem Niveau der „Antifa Ost“ gebe.
- Die „Antifa Ost“ zählt niedrig zweistellige Mitgliederzahlen.
- Fragen nach Waffenschulungen und Auslandskontakten bleiben unbeantwortet – aus Gründen des Staatswohls und Quellenschutzes.
Kritik: Die pauschale Verweigerung der Auskunft mit Verweis auf das Staatswohl ist aus sicherheitspolitischer Sicht verständlich, wirft aber Transparenzfragen auf. Bei einer so kleinen Gruppe (unter 20 Personen) ist jedoch auch fraglich, ob diese wirklich ein sicherheitsrelevantes Potenzial besitzt, das einen solchen Geheimhaltungsvorbehalt rechtfertigt.
6. Linksextremismus in der Partei Die Linke
Nur noch „marx21“ wird im Verfassungsschutzbericht 2024 erwähnt. Andere Gruppierungen wie die „Kommunistische Plattform“ oder „Sozialistische Linke“ erscheinen nicht mehr.
Kritik: Die Nicht-Erwähnung kann entweder auf eine tatsächliche Bedeutungslosigkeit dieser Gruppen oder auf eine veränderte Bewertung durch das BfV hinweisen. Hier bleibt unklar, ob dies einer politischen Zurückhaltung oder einer realen Relevanzverschiebung geschuldet ist.
7. Größte Gefahr für Leib und Leben
Die Frage nach dem größten Risiko für Leib und Leben der Bevölkerung wird nicht direkt beantwortet. Stattdessen verweist die Bundesregierung auf frühere Antworten und die generelle Einschätzung in den Verfassungsschutzberichten.
Kritik: Diese ausweichende Haltung ist angesichts zunehmender sicherheitspolitischer Bedrohungslagen – sei es durch religiösen Extremismus, importierten Antisemitismus oder politischen Fanatismus – unzureichend. Eine klare Priorisierung würde hier zu einer sachorientierten öffentlichen Debatte beitragen.
Fazit
Die Drucksache offenbart einen sicherheitsrelevanten Statusbericht mit politischen Implikationen. Die Bundesregierung bemüht sich um eine faktenbasierte Einordnung, doch bleiben zentrale Fragen nach Trends, Relevanz und politischer Bewertung unbeantwortet oder nur oberflächlich beantwortet. Insbesondere die islamistische Szene wird zahlenmäßig kleiner dargestellt als die rechte oder linke Szene – ohne dass diese Diskrepanz systematisch erklärt wird. Auch die neu eingeführten Kategorien geben zwar neue Einblicke, lassen aber aufgrund fehlender historischer Vergleichsdaten große Lücken im Verständnis der sicherheitspolitischen Entwicklung offen.