Der Vorwurf, Deutschland sei bereits „Kriegspartei“ im russisch-ukrainischen Krieg, lässt sich nur sauber beurteilen, wenn man Politik, Völkerrecht und Rhetorik deutlich voneinander trennt.
Zunächst zur juristischen Terminologie. Nach humanitärem Völkerrecht wird ein Staat dann Partei eines internationalen bewaffneten Konflikts, wenn er selber Gewalt anwendet oder seine Streitkräfte in die Operationen einer Kriegspartei integriert – mithin ein „belligerent nexus“ aus Kausalität und Koordinierung besteht . Bloße Waffenlieferungen oder finanzielle Hilfen reichen nach der geltenden Lehrmeinung nicht aus; das bestätigten sowohl der Internationale Rotkreuz-Komitee-Beitrag als auch eine Bundestags-Expertise von 2023, die sich auf die Tadić-Rechtsprechung des Jugoslawien-Tribunals beruft .
Waffenlieferungen
Deutschland hat seit 2022 schwere Waffensysteme – von Gepard-Flakpanzern bis zu Leopard-2-Kampfpanzern – an Kiew abgegeben. Gleichwohl gilt: Ohne operative Mitwirkung an Zielauswahl und Gefechtsführung begründen Lieferungen keinen Konfliktparteistatus. Selbst die in Berlin geführte Debatte um den bunkerbrechenden Marschflugkörper Taurus ändert daran rechtlich nichts, solange deutsche Soldaten nicht den Feuerleitvorgang steuern. Genau diese Unterscheidung betont auch Professor Stefan Talmon: Waffenexport plus Ausbildung mache Deutschland noch nicht zur Kriegspartei .
Ausbildung und Aufklärung
Seit Frühjahr 2022 trainieren Bundeswehr- und EU-Instruktoren ukrainische Soldaten auf deutschem Boden. Die Bundesregierung verweist darauf, dass diese Ausbildung keine „aktive Kriegsteilnahme“ darstelle . Kritisch würde es, sollte Deutschland an der taktischen Einsatzführung – etwa beim targeting – beteiligt sein; dafür gibt es bislang keine nachgewiesenen Belege. Meldungen über russische Spionageversuche in Stuttgart unterstreichen jedoch, dass Moskau genau diesen Verdacht politisch instrumentalisieren möchte .
Wirtschaftssanktionen
Berlin ist treibende Kraft bei den EU-Sanktionen gegen Russland, zuletzt beim Vorgehen gegen die sogenannte „Shadow Fleet“ von Öltankern . Sanktionen sind nach vorherrschender Lesart völkerrechtlich zulässige Zwangsmittel „unterhalb der Schwelle bewaffneter Gewalt“; sie gelten als Alternative, nicht als Äquivalent zum Krieg . Gleichwohl verweisen Kritiker auf die Hunger- und Belagerungswirkung umfassender Embargos und nennen sie „Wirtschaftskrieg“ . Dieses Werturteil ändert aber nichts am formalen Befund: Sie begründen keinen IHL-Kriegseintritt, sondern unterliegen primär dem UN-Sanktions- bzw. Retorsionsrecht.
Russische und innenpolitische Rhetorik
Der Kreml erklärt regelmäßig, jede Lieferung weitreichender Systeme mache die Lieferstaaten zur Konfliktpartei – zuletzt, als Bundeskanzler Friedrich Merz die Reichweitenbeschränkungen deutscher Waffen aufhob . Die Bundesregierung hält dem entgegen, man prüfe jede Maßnahme an der „roten Linie“, keine Partei werden zu wollen; Scholz formulierte das bereits am 8. Mai 2022 explizit . Faktisch handelt es sich um ein politisches Narrativ beider Seiten: Moskau versucht, Abschreckung zu betreiben und westliche Unterstützung zu delegitimieren; Berlin vermeidet jede Formulierung, die im innenpolitischen Diskurs Eskalationsängste schürt.
Grenzbereiche und Eskalationsrisiken
Rechtlich eindeutig wäre ein deutscher Kriegseintritt, wenn deutsche Kräfte russische Ziele unmittelbar bekämpften oder ukrainische Angriffe aus Deutschland heraus geleitet würden. Politisch dagegen reichen bereits Symbolhandlungen – etwa die Aufhebung von Reichweitenlimits – aus, um russische Drohkulissen zu aktivieren und im Inland den Vorwurf der „Schlafwandelei“ zu nähren. Je stärker Kiew mit westlichen Hochpräzisionswaffen Ziele auf russischem Territorium trifft, desto dünner wird die Linie zwischen bloßer Unterstützung und operativer Mitwirkung.
Bilanz
Nach geltendem Völkerrecht ist Deutschland derzeit nicht Kriegspartei, weil es weder eigene Streitkräfte einsetzt noch in die Gefechtsführung integriert ist. Sanktionen und Waffenlieferungen bewegen sich unterhalb der Schwelle bewaffneter Gewalt. Anders lautet die politische oder moralische Lesart: Wer einen Krieg mitfinanziert, verlängert oder verschärft, trägt Mitverantwortung und gerät ins Fadenkreuz gegnerischer Propaganda. Die Bundesregierung navigiert damit in einem schmalen Korridor zwischen rechtlicher Unbedenklichkeit und strategischer Eskalationsgefahr. Die Frage, ob Deutschland „Kriegspartei“ ist, bleibt somit weniger eine juristische als eine politisch-rhetorische Chiffre – ihr Bedeutungsgehalt hängt davon ab, welche Linie man zwischen legitimem Beistand und aktiver Teilnahme zieht.