Ist es sinnvoll, Aktien kurz vor der Dividendenausschüttung zu kaufen?
Dividenden sind für viele Anleger ein attraktives Merkmal von Aktien. Sie repräsentieren eine regelmäßige Zahlung, die Unternehmen an ihre Aktionäre ausschütten. Doch ist es wirklich sinnvoll, Aktien kurz vor der Dividendenausschüttung zu kaufen, um von dieser Zahlung zu profitieren? In diesem Beitrag analysieren wir diese Frage aus verschiedenen Perspektiven, unter Einbeziehung empirischer Daten und internationaler Unterschiede.
Der Kursrückgang kompensiert die Dividende
Ein häufiger Irrtum ist die Annahme, dass man durch den Kauf von Aktien kurz vor der Dividendenausschüttung automatisch einen Gewinn erzielen kann. Tatsächlich fällt der Aktienkurs am sogenannten Ex-Dividende-Tag in der Regel um den Betrag der Dividende. Dieser Kursrückgang ist keine Zufälligkeit, sondern eine logische Konsequenz der Dividendenzahlung.
Warum fällt der Kurs?
Der Kursverlust erklärt sich durch die Tatsache, dass die Dividende als Wert aus dem Unternehmen entnommen wird. Ein anschauliches Beispiel ist ein Sparschwein, aus dem Geld entnommen wird: Der verbleibende Betrag im Sparschwein ist entsprechend geringer. Am Ex-Dividende-Tag hat der neue Aktionär keinen Anspruch mehr auf die Dividende, was zu einer Kursanpassung führt.
Eine Analyse historischer Daten zeigt, dass die Kursanpassung in den meisten Märkten sehr genau der ausgeschütteten Dividende entspricht. Beispielsweise ergaben Untersuchungen an der Frankfurter Börse und der New Yorker Börse, dass der Kursrückgang im Durchschnitt 95-100 % der Dividende ausmacht.
Dividend Irrelevance Theory: Dividenden sind irrelevant
Die von den Wirtschaftsnobelpreisträgern Franco Modigliani und Merton Miller entwickelte „Dividend Irrelevance Theory“ argumentiert, dass die Dividendenpolitik eines Unternehmens keinen Einfluss auf dessen Gesamtwert hat. Entscheidend für den Wert eines Unternehmens sind die zukünftigen Gewinne und nicht, ob diese in Form von Dividenden ausgeschüttet oder reinvestiert werden.
Praktisch bedeutet dies, dass Anleger durch den kurzfristigen Kauf einer Aktie vor der Dividendenausschüttung keinen nachhaltigen finanziellen Vorteil erzielen. Vielmehr sollten sie sich auf Faktoren wie das Unternehmenswachstum, die Marktposition und die langfristigen Gewinnpotenziale konzentrieren.
Steuerliche Aspekte: Ein relevanter Faktor
In Deutschland unterliegen Dividenden der Abgeltungssteuer von etwa 25 % (zzgl. Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer), sofern der persönliche Freibetrag überschritten wird. Dieser steuerliche Abzug reduziert den Nettogewinn aus der Dividende erheblich.
Betrachtet man dies im Kontext des Kursrückgangs, ergibt sich für viele Anleger ein Nettoverlust. Beispielsweise kann bei einer Bruttodividende von 1 Euro und einem Kursrückgang von 1 Euro die Steuerlast dazu führen, dass weniger als 0,75 Euro verbleiben. Dadurch sinkt der Gesamtwert des Portfolios.
In anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien gibt es unterschiedliche Steuerregeln. Beispielsweise sind in den USA bestimmte Dividendenarten begünstigt, was den Nettoertrag für Anleger verbessern kann. Dies zeigt, wie wichtig es ist, die steuerlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Marktes zu berücksichtigen.
„Dividend Rally“: Ein seltenes Phänomen
Ein interessantes, jedoch selten belegtes Phänomen ist die sogenannte „Dividend Rally“. Dabei wird beobachtet, dass Aktienkurse vor der Dividendenausschüttung leicht ansteigen können. Dieser Anstieg wird häufig mit einer erhöhten Nachfrage durch kurzfristig orientierte Anleger erklärt.
Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass dieses Phänomen nicht universell auftritt. Beispielsweise ergab eine Analyse des US-Marktes, dass Dividend Rallys zwar existieren, jedoch meist sehr geringfügig ausfallen und durch Transaktionskosten oder unerwartete Kursbewegungen schnell neutralisiert werden.
Transaktionskosten und kurzfristiger Handel
Der Kauf und Verkauf von Aktien ist mit Transaktionskosten verbunden, wie Brokerage-Gebühren oder Spreads. Diese Kosten belasten insbesondere kurzfristige Handelsstrategien. Selbst wenn eine Dividend Rally auftritt, können diese Kosten den potenziellen Gewinn schnell eliminieren.
Gibt es Ausnahmen?
Trotz der allgemeinen Nachteile können bestimmte Situationen den kurzfristigen Kauf vor der Dividendenausschüttung rechtfertigen:
- Steuerfreie Dividenden: In einigen Ländern oder bei bestimmten Investmentvehikeln (z. B. REITs) können Dividenden steuerfrei sein.
- Langfristige Investitionen: Anleger, die eine Aktie ohnehin langfristig halten möchten, können von einer Dividendenausschüttung profitieren, ohne den Kursrückgang als Verlust wahrzunehmen.
- Marktanomalien: In seltenen Fällen können Marktineffizienzen kurzfristige Vorteile bieten.
Fazit: Langfristige Strategien sind überlegen
Es lässt sich zusammenfassen, dass der Kauf von Aktien kurz vor der Dividendenausschüttung in den meisten Fällen keine sinnvolle Strategie ist. Der Kursrückgang am Ex-Dividende-Tag kompensiert die Dividende, während Steuern und Transaktionskosten die Rendite weiter schmälern.
Langfristige Investitionen auf Basis solider Unternehmensfundamentaldaten bleiben die bessere Wahl. Dividenden sollten dabei als zusätzlicher Bonus und nicht als Hauptmotiv für den Kauf einer Aktie betrachtet werden. Anleger sollten ihre Entscheidungen stets im Kontext der individuellen steuerlichen und marktbezogenen Rahmenbedingungen treffen.